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Die ewig jungen Alten

Wissenschaftler der Berlin Media Professional School erforschen Jugendkulturen im digilogen Zeitalter

Von Matthias Thiele

„Das Problem mit der Jugend von heute ist, dass man nicht mehr zu ihr gehört“, hat Salvador Dalí vor seinem Tod im Jahr 1989 gesagt. Gut 20 Jahre später versucht es die ältere Generation trotzdem: Die Großeltern laufen mit ihren Enkeln im Trainingsanzug die Spree entlang, sie surfen wie selbstverständlich im Internet und fahren zum Tauchen in die Karibik. Die Aura der ewigen Jugend wird mit jedem iPod verkauft – selbst wenn die Hand, die ihn bedienen soll, schon Altersflecken hat.

„Jugend hat heute längst nichts mehr mit dem Alter zu tun“, das ist die These von Klaus Siebenhaar, Direktor der Berlin Media Professional School der Freien Universität. „Jugendkulturen im digilogen Zeitalter“ heißt das Forschungsprojekt, das er zusammen mit Jo Groebel und dessen Deutschem Digital-Institut verfolgt. Seit Januar untersucht ein Team von Wissenschaftlern und Studierenden die neue Form der Jugendkultur in unserer Zeit, in der sich die analoge Welt in eine digitale wandelt.

„In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Jugendszenen von ihren alten Prägemustern entfernt“, sagt Siebenhaar. „Heute verstehen sich Jugendkulturen nicht mehr unbedingt als Gegenkulturen zum Establishment, und sie sind auch weitestgehend von der sozialen Herkunft entkoppelt.“ Web 2.0 und Blogosphäre lassen räumliche Distanz, Schichten- und Altersunterschiede verschwinden.

Und sie machen Jugendkultur individuell und unverbindlicher: Die Mods, eine Jugendbewegung in den 1970ern, trugen Parka, fuhren Roller und hörten „The Who“. Wer Mod war, konnte nicht gleichzeitig ein Punk sein, denn die hörten „The Clash“ und fuhren lieber schwarz.

Wer sich heute bei der Netzgemeinschaft StudiVZ anmeldet, darf als vegetarischer CDU-Wähler auch Hip-Hop als Lieblingsmusik angeben. Auf dem virtuellen Campus trifft er in der Gruppe „Hilfe, Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg“ vielleicht den Grün wählenden Jazzfreund, der sonntags zur Kirche geht. Und wenn er keine Lust mehr hat auf StudiVZ, kann er seine Mitgliedschaft mit wenigen Klicks beenden.

„Jugend ist seit einiger Zeit mehr als eine biographische Phase. Und sie ist nicht länger das Etikett einer einzelnen Generation. Jugend ist ein generationenübergreifendes Lifestyle-Etikett“, sagt Steffen Damm, der als wissenschaftlicher Assistent der Freien Universität an dem Projekt beteiligt ist. Und weil Jugend einfach chic ist, bleibt heute jung, wer früher alt wurde; auch wenn er dabei nicht besonders chic aussieht. Rainer Langhans lässt sich noch mit 67 Jahren nackt fotografieren und trägt das Haupthaar lang. Die meisten seiner Altersgenossen gehen zwar regelmäßig zum Friseur und fahren statt Motorroller lieber Mercedes oder Volvo – des Rückens wegen: Aber das Gefühl von Jugend, Rebellion und Freiheit erleben die ergrauten Ewigjungen bei jedem Stones-Konzert aufs Neue – auch heute noch.

Besonders die Medien sind von diesem Wandel betroffen – schließlich sind sie nicht erst seit „Love Me Do“ und AntiVietnam-Flugblatt die Kommunikationsplattform der Jugendbewegungen: „Eigentlich sollen wir erwachsen werden“, war lange Zeit der Untertitel der Jugendzeitschrift „Neon“ – und sie sprach damit Leser an, die längst erwachsen waren; der durchschnittliche Neon-Leser ist 30 Jahre alt.

Aber das Verlagshaus Gruner + Jahr – in dem Neon verlegt wird – macht sich angesichts stetig sinkender Auflagen Sorgen um den Lesenachwuchs seiner Druckerzeugnisse und investiert kräftig in den Ausbau seines Internetangebots. Und als habe es die Jahrtausendwende nie gegeben, moderiert der „Berufsjugendliche“ Markus Kavka noch immer bei MTV – mit 41 Jahren. Seine Zuschauer sind nicht bedeutend jünger – die 20-Jährigen schauen sich Musikclips und Stuntshows lieber auf Youtube an.

„Die Medienanbieter reagieren auf den Individualisierungstrend mit immer weiter gefassten Angeboten und forcieren ihn damit noch“, sagt Klaus Siebenhaar. Das Fernsehgerät, das Lagerfeuer der Moderne, hat ausgedient.

Der Mensch dieser zweiten Moderne braucht kein Lagerfeuer; er hat sein mediales Feuerzeug allzeit bereit in der Jackentasche: Mit dem Multimedia-Handy, WLAN oder UMTS empfängt er die Tagesschau nicht nur zur vollen Stunde, und Börsenkurse erreichen ihn auch unterwegs in Echtzeit. „Wer dabei welche Medien nutzt, hängt weniger von der Persönlichkeit und dem Alter ab, sondern ist von der Situation und der Stimmung einer Person abhängig“, sagt Siebenhaar.

Um trotzdem ableiten zu können, nach welchem Muster Medien genutzt werden, sollen im Forschungsprojekt besonders die themengebundenen digitalen Gemeinschaften untersucht werden. „Wir gehen davon aus, dass der Begriff Jugendkultur neu gefasst werden muss.“ Und auch den Begriff der Generation hält Siebenhaar in diesem Zusammenhang für überholt, bezeichnete er doch bislang ein chronologisches Unterscheidungsmerkmal der Geburtenjahrgänge. „Die Web-Generation hat immer weniger mit dem Alter zu tun. Ihr kann der 70-Jährige ebenso angehören wie der Teenager.“ Salvador Dalí würde diese Nachricht sicher freuen.