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Etwas ganz Besonderes

von Dieter Lenzen

Wir haben uns daran gewöhnt, Dezennien als Meilensteine der Vergangenheit zu betrachten. Manchmal auch der Zukunft. In diesem Jahr, 2008, wird die Freie Universität Berlin 60 Jahre alt. Etwas  Besonderes?

Von einer der ersten Studentinnen dieser Universität hat uns jüngst folgender Brief erreicht – als einer von vielen, in denen sich Ehemalige erinnern: 

„Die Vergangenheit – für heutige junge Menschen fast unglaublich – war vor allem traurig, aber auch ein wenig hoffnungsvoll. Nach Jahren des vergeblichen Bemühens, einen Studienplatz in der damaligen sowjetisch besetzten Zone zu erlangen –  was damals ausschließlich Bauern- und  Arbeiterkindern vorbehalten war – erreichte mich eine erfreuliche Nachricht: Im  Rundfunk hörte ich von der Gründung einer Universität in Dahlem, also im US-Sektor von Berlin, und ich machte mich, gestärkt von dem Zureden meiner Eltern, auf die damals abenteuerliche Bahnreise von meiner Heimatstadt Dessau in die US-Zone von Berlin. Auf der heimatlichen Herdplatte Gebackenes führte ich im Reisegepäck mit, um die befreundete Quartiergeberin nicht zu belasten. Die Reise hatte Erfolg: Im November 1948 wurde ich für ein Studium an der philosophischen Fakultät immatrikuliert. (…)
Ich ging mit einem überschäumenden Optimismus an die ,FU‘, den ich mit ,meinen Kreisen‘ – Flüchtlinge aus der sowjetisch besetzten Zone, entlassene Kriegsgefangene – teilte, obwohl Sperrstunden für elektrische Beleuchtung und auch für Heizung in Kauf genommen wurden. Man saß dann winterlich bekleidet, mit Mantel, Wollmütze, Handschuhen, bei Kerzenlicht in den Vorlesungen, die von namhaften, aus Universitäten in der sowjetisch besetzten Zone geflüchteten Professoren gehalten wurden. (…)
Ein von der US-Besatzungsmacht beschlagnahmtes Kino war für Vorlesungen zur Verfügung gestellt worden. Den abendlichen  Filmbesuch von US-Soldaten bezeugten Kaugummi-Reste unter den Klappsitzen. Rückblickend empfinde ich meine Studienjahre als abenteuerlich: Mit 80 DM pro Monat durch die Jahre! Von dieser Summe wurden etwa 40 DM Miete gezahlt, von dem Rest eine Tauschsumme (für ,Ostgeld‘) gespart und von dem übrigen Geld –  nun ja – gelebt. (…)“
 
60 Jahre Freie Universität Berlin. Etwas Besonderes. 

Der Autor ist Präsident der Freien Universität Berlin