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Die Frage nach dem Glück

Zu einem Familienmodell des 19. Jahrhunderts gibt es kein Zurück, so die Philosophin Cornelia Klinger

Cornelia Klinger ist eine der renommiertesten feministischen Philosophinnen der Gegenwart. Seit Jahren beschäftigt sie sich kritisch mit den philosophischen Traditionen und den Geschlechterordnungen des Abendlandes. Sie lehrt in Tübingen und Wien. Catherine Newmark, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Freien Universität, sprach mit Klinger über den Einfluss von Simone de Beauvoir und die feministische Theorie heute.

Frau Klinger, wann haben Sie zum ersten Mal Simone de Beauvoir gelesen?

Schon früh, während meines Studiums in den siebziger Jahren in Köln. Das waren die Jahre, in denen die feministische Diskussion in Gang gekommen ist. Ich habe Philosophie studiert und mich darum besonders für Beauvoir interessiert, weil sie von der fachlichen Konstellation her für mich ein Anknüpfungspunkt war.

Woran haben Sie konkret angeknüpft?

Zum einen an Beauvoirs Vorstellungen von Immanenz und Transzendenz. Ein theoretischer Leitfaden zur Bestimmung des Geschlechterverhältnisses ist für sie die Feststellung, dass Frauen sehr stark in der Materialität des Irdischen verhaftet sind, während Männer gewissermaßen ihre Freiheit auf dieser Materialität aufbauen. Und diese Konnotation von Männlichkeit mit Transzendenz und Weiblichkeit mit Immanenz ist für mich zum Kristallisationspunkt für die Frage nach der Bildung von Dualismen geworden – eines meiner Hauptthemen. Ein zweiter Themenstrang, der einen nachhaltigen Einfluss auf meine Überlegungen ausgeübt hat, ist die Frage nach Freiheit und Glück. Freiheit ist ja eines der Hauptthemen für Beauvoir, und es gibt von ihr in „Das andere Geschlecht“ ein paar wunderbare, prägnante Aussagen über das Verhältnis von Freiheit und Glück und dass es ihrer Art von Feminismus nie um Glück geht, sondern nur um Freiheit. Und da habe ich ein kritisches Verhältnis zu Beauvoir. Ich glaube, dass die Vernachlässigung des Glücks verhängnisvoll war für die feministische Idee. Denn die Frage des Geschlechterverhältnisses ist die Frage nach dem Glück.

Aber Glück wird doch ebenso von konservativen Modellen in Anspruch genommen. Sollte man sich nicht genau deshalb auf Freiheit beschränken und die Frage nach dem Glück vermeiden?

Im Gegenteil. Man muss sie ernst nehmen, damit man die Verhältnisse verändern kann. Ich würde sagen, dass die Frauenbewegung in großen Teilen die Frage nach dem Glück nicht ernst genommen hat und damit die Frauen, die Männer und die Familien allein gelassen hat. Es ist dadurch in der Argumentation eine Lücke geblieben, ich würde sagen, die Lücke der Utopie. Es gibt da einen Mangel an utopischer Fantasie und auch an gesellschaftlicher Gestaltungskraft.

Wie schätzen Sie denn die Bedeutung des Feminismus für junge Frauen heute ein?

Für die jungen Frauen ist vieles einfacher geworden. Dass Frauen studieren etwa, ist in der Gesellschaft weitgehend akzeptiert, viel mehr als zu meiner Studienzeit. Und das führt dazu, dass sie während des Studiums vielleicht ein theoretisches Problembewusstsein haben, wenn sie Seminare besuchen oder Bücher lesen, aber kein praktisches. Sie stoßen noch nicht auf massive Hindernisse und geschlechtsspezifische Hürden. Die sind eigentlich in der Schul- und Studienzeit beseitigt. Die berühmte „gläserne Decke“ kommt erst danach. Sie hat sich altersmäßig, im Lebenszyklus von Frauen verschoben, aber sie kommt. Ich habe schon vor vielen Jahren gesagt: Die Frauenbewegung ist keine Jugendbewegung. Weil die Probleme erst in einer späteren Lebensphase auftreten – Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum Beispiel.

Es gibt diesbezüglich derzeit wieder Stimmen, die eine Abkehr von der emanzipierten Selbstverwirklichung fordern und eine Rückkehr zu einer bestimmten Sorte Weiblichkeit, die sich in Familienarbeit und Kinderkriegen verwirklicht.

Ich würde nicht den Gegensatz aufmachen zwischen einem Ideal der Selbstverwirklichung und einem schönen heilen Familienideal. Wir sind in der gesellschaftlichen Entwicklung über beide Pole längst hinaus. Es kann gar keine Rede davon sein, zu einem Familienmodell des 19. Jahrhunderts zurückzugehen, das nur für eine schmale, besitzende Schicht des Bürgertums jemals eine Chance auf Verwirklichung gehabt hat. Die meisten Frauen müssen arbeiten, ob sie sich dabei selbst verwirklichen oder nicht. Wenn heute jemand Sehnsucht nach „Familie“ empfindet, dann geht das an der Wirklichkeit vorbei. Diese nostalgischen Begriffe werden dazu verwendet, um Schuld zu verteilen – das ärgert mich. Die wild gewordenen feministischen Weiber, die ihre Selbstverwirklichung à la Beauvoir zu Lasten der Gesellschaft betreiben wollen – das ist ein aufgeblasenes Feindbild, das der Wirklichkeit Nicht entspricht