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Wahlkampf 2008 - die USA am Scheideweg

Eine politische Analyse zwölf Monate vor der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten

Von Harald Wenzel

Ein konservativer Präsident, der in höchstem Maße unpopulär ist. Ein Land, das in Fragen der Wirtschaft und der Sicherheit vor tief greifenden Herausforderungen steht. Neue Technologien, die die Macht der alten Medien brechen. Eine Kohorte neuer Immigranten und eine wachsende Generation junger Menschen, die bereit ist, das politische Kalkül zu verändern. Das liest sich wie eine Beschreibung der gegenwärtigen Situation in den USA vor den Präsidentschaftswahlen 2008. Die Vordenker des Neuen Progressivismus, Simon Rosenberg und Peter Leyden, geben mit diesen Worten jedoch eine Charakterisierung der letzten Tage der Regierungszeit Herbert Hoovers, der 1933 von Franklin Delano Roosevelt abgelöst wurde. Dieser hatte die Vereinigten Staaten erfolgreich aus der Wirtschaftskrise und durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs geführt. Obwohl auch Hoover progressivistischen Ideen zugeneigt war, gelang erst Roosevelt mit dem New Deal ein völlig neuer und erfolgreicher Ansatz. Und es ist die Sehnsucht nach einem solchen Neuansatz der Politik in der Demokratischen Partei der USA, der gerade jetzt einen Neuen Progressivismus hervorbringt. Schon der alte Progressivismus formulierte als eine seiner Kernideen den Umweltschutz (das System der Nationalparks geht auf ihn zurück), zentral war jedoch die Idee der sozialen Gerechtigkeit – die in der Social Gospel- Bewegung eine breite religiöse Unterstützung fand.

Stehen wir also vor einer neuen Ära, einer neuen Politik und einer neuen Demokratischen Partei, die ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin bei der kommenden Wahl durch einen Erdrutschsieg ins Amt bringen wird?

Nach wie vor sind die Vereinigten Staaten gespalten in ein konservatives und ein liberal-moderates Lager. Der umstrittene knappe Sieg Bushs gegen Al Gore im Jahr 2000 hätte eigentlich Anlass dazu gegeben, eine Politik des Ausgleichs zwischen diesen Lagern zu betreiben. Doch die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses hat den Präsidenten und seine Partei dazu verleitet, eine polarisierende Strategie einzuschlagen – auch wenn diese unter den Einheitsbeteuerungen im Kampf gegen den Terrorismus nicht offen zutage trat. Doch nicht nur die Mehrheiten im Kongress, auch eine effiziente Medienmaschinerie hat den Republikanern ein Gefühl der Macht verliehen, ihre Ziele ohne Rücksicht auf das andere Lager durchzusetzen. In einer in die 1970er Jahre zurückreichenden Strategie ist es ihnen gelungen, das liberale Meinungsklima der USA zu kippen: Konservative Talkradios und Nachrichtensender haben Rush Limbaugh, Bill O'Reilly und andere Galionsfiguren des Neokonservatismus zu Meinungsführern gemacht, das Internet hat den konservativen Graswurzelaktivisten neue Mobilisierungsinstrumente in die Hand gegeben wie Direct Mailing und Blogs. Think Tanks wie die Heritage Foundation, das American Enterprise Institute oder das Cato Institute versorgen die klassischen Medien mit konservativen Ideen. Dahinter steht ein konservativer Philanthropismus großer amerikanischer Vermögen (und ihrer Erben), die diese Infrastruktur zu großen Teilen finanzieren.

Dennoch war 2004 für die Demokratische Partei ein Neuanfang. Graswurzelaktivisten mobilisierten die Wähler der Partei in einem bisher nicht gekannten Umfang – indem sie etwa wie die von dem Milliardär George Soros unterstützte Gruppe ACT (America Coming Together) versuchten, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Zwei wichtige Randbedingungen des Wahlkampfs haben sich zudem verändert: die Medien und die Religion. Der Wahlkampf ist weniger „fernsehlastig“ geworden, dafür hat das Internet an Bedeutung gewonnen. Tatsächlich können heute gerade jüngere Wähler leichter über das Internet erreicht werden. Ein Kandidat kann Angriffe eines Gegners fast in Echtzeit durch Einstellen eines Videos auf Youtube beantworten (wie jüngst Hillary Clinton als Antwort auf die Kritik ihrer demokratischen Mitbewerber). Neue Internettechnik wie Hotspots oder das iPhone machen die Anbindung an den Kommunikationsfluss an jedem Ort und zu jeder Zeit möglich. Das Internet macht die Wähler selbst zu Meinungsmachern im Wahlkampf – das gilt selbstverständlich für Blogger und die, die auf sie antworten. Das gilt aber auch für jene Amerikaner, die in kurzen Videoclips Fragen an die Kandidaten beider Parteien für die Youtube-CNN-Debatten formulieren. Sicherlich werden die Fernsehdebatten der Kandidaten nach wie vor ein Höhepunkt des Wahlkampfs sein – die wichtigsten Ausschnitte dieser Debatten werden jedoch im Internet zugänglich sein und dort von den Amerikanern ausgiebig diskutiert werden. Das Internet macht den Wahlkampf insgesamt in seinem Ausgang unsicherer. Hauptgrund dafür ist die außerordentlich hohe Mobilisierbarkeit von Aktivisten und in der Folge von Wählern. So hat ein Nutzer des Internetdienstes Facebook, der normalerweise hilft, Netzwerke von Freunden und Bekannten zu entwickeln, innerhalb eines Monats fast 280 000 Unterstützer für Barack Obama rekrutiert.

Der religiös-konservative, evangelikale Wählerblock war für die Wahl Bushs im Jahr 2000 wie auch bei der Wiederwahl 2004 entscheidend. Es gibt jedoch klare Anzeichen dafür, dass sich dieser Block bei den Wahlen 2008 nicht mehr so einheitlich verhalten wird. Ein Grund dafür mag sein, dass die Republikaner über keinen erfolgversprechenden Kandidaten verfügen, der ein homogenes Wahlverhalten dieses Blocks motivieren könnte. Robert Giuliani, mehrfach geschieden und wiederverheiratet, in seinen bisherigen politischen Entscheidungen eher liberal denn religiös-konservativ, ist sicherlich nicht der Idealkandidat für diese Wählergruppe – obwohl er die Unterstützung von prominenten Evangelikalen wie Pat Robertson erhalten hat. Hillary Clinton und Robert Giuliani führen in ihren Parteien jeweils die Kandidatenliste mit einem zweistelligen Prozentvorsprung an. Beide gehören dem politischen Establishment an, sind ausgezeichnete Einwerber von Spenden, versprechen ein hartes, professionelles Rennen – und weisen in ihren Programmen nur geringe sachliche Unterschiede auf. Sie gehören der gleichen Generation an, den Baby Boomers. Die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in konservative und progressive Kräfte ist vor allem eine Spaltung dieser Generation – man könnte die Haltung zum Vietnamkrieg exemplarisch als Ausgangspunkt für diese Spaltung benennen. Es spricht mehr dafür, dass beide Kandidaten diese Spaltung nicht überwinden, sondern an den Rändern ihrer politischen Lager pragmatisch nach Mehrheiten suchen werden. Barack Obama gehört der Folgegeneration an, die Erfahrung des Vietnamkriegs hat sein politisches Orientierungssystem nicht mehr prägen können, er steht nicht für den pragmatischen Umgang mit der Spaltung Amerikas, sondern für seine Überwindung, die weit über Amerika hinaus globale Folgen haben würde. Ein Beobachter der Lage, der Publizist Andrew Sullivan, hat jüngst darauf reflektiert, ob ein amerikanischer Präsident, der einen großen Teil seiner Schulzeit an einer mehrheitlich islamisch geprägten Schule verbracht hat und einen dunklen Teint hat, wohl ebenso leicht in der islamischen Welt dämonisiert werden könnte wie George Walker Bush – wohl kaum. Obama ist zudem der einzige aussichtsreiche Kandidat, der sich offen gegen den Irak-Krieg bekannt hat.

Wer wird das Rennen machen? Robert Giuliani, Hillary Clinton oder Barack Obama? Die Antwort auf eine solche Frage ist nach der Wiederwahl Bushs eher schwieriger geworden. Viel interessanter ist allerdings die Frage, wie ein stark veränderter Wahlkampfkontext (Medien und Religion) den laufenden Wahlkampf beeinflussen wird. Wird Giuliani ausreichend Unterstützung durch den evangelikalen Block erhalten? Wenn nicht, welche wahlentscheidenden Wählergruppen wird er mobilisieren können? Wird Hillary Clinton die Unterstützung ihrer Partei bekommen, oder werden im letzten Moment Internetaktivisten Barack Obama auf das Podest heben? Werden die Demokraten im Neuen Progressivismus eine neue Agenda haben, die die Wähler überzeugen kann – wie sie die Wähler Roosevelts überzeugt hat? Gerade die letzten beiden Fragen versprechen einen spannenden Wahlkampf. Die Demokatische Partei ist dabei, sich neu aufzustellen – wer wird davon profitieren? Wären die Wahlen erst im Jahr 2010, würde wohl an Barack Obama kein Weg vorbeiführen.

— Der Autor ist Professor am John-F.-Kenndy-Institut der Freien Universität Berlin