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Freiheit, Erinnerung, Perspektiven

Von Dieter Lenzen

In wenigen Tagen ist es so weit. Im Beisein von Bundes- und Landespolitikern, von Vertretern des diplomatischen Korps, von Künstlern und Wissenschaftlern, von Mitgliedern und Freunden der Freien Universität Berlin wird die Skulptur „Perspektiven“ enthüllt. Das beeindruckende Werk des prominenten Berliner Bildhauers Volker Bartsch wird seinen dauerhaften Platz auf dem Campus der Freien Universität finden.

Einige ganz besondere Gäste werden zu diesem Ereignis erwartet. Es sind die Hinterbliebenen jener Studenten der Freien Universität Berlin, die in den ersten Jahren nach der Gründung der Hochschule in Dahlem durch den sowjetischen Geheimdienst entführt, verschleppt und ermordet wurden. Unter dem Vorwand, gegen die sowjetische Besatzungsmacht agitiert zu haben, verurteilten Militärtribunale sie zum Tode.

Ihr Schicksal war lange ungeklärt, doch heute wissen wir, dass die Studenten ihr Eintreten für akademische und politische Freiheit mit dem Leben bezahlt haben. Diejenigen, deren Hinterbliebene noch lebten, konnten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf Antrag der Angehörigen rehabilitiert werden. Manche Hinterbliebene erfuhren erst durch die Freie Universität Berlin vom Schicksal ihrer Angehörigen. Als das Präsidium von den Morden erfuhr, war die Entscheidung schnell klar: Die Freie Universität wird ein sichtbares Zeichen der Erinnerung an das historische Geschehen und an diese jungen Menschen setzen, die für den Leitbegriff unserer Universität einstanden: Freiheit von Indoktrination und von politischem Missbrauch des Akademischen. Denn gegründet wurde die Freie Universität Berlin 1948 als Ort freien Denkens und einer freien Gesellschaft – als Reaktion auf die politische Drangsalierung an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin-Mitte, im sowjetisch besetzten Ostteil der Stadt.

Das Zeichen der Erinnerung ist eine gleichzeitig imposante und doch filigrane Skulptur aus Bronze mit dem Titel „Perspektiven“. Sie ist derzeit die größte und zugleich komplexeste Bronzeskulptur in Deutschland, die sich nicht nur der Betrachtung, sondern ebenso zum Verweilen und Innehalten anbietet. Die Skulptur der Freien Universität wird an der Boltzmannstraße zwischen dem juristischen und dem wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereich stehen, vis-à-vis dem Henry-Ford-Bau, in direkter Blickbeziehung zueinander.

Die Skulptur ist ein Geschenk des Bankhauses Sal. Oppenheim, dessen Geschichte in besonderer Weise mit der Gründungsgeschichte der Freien Universität verbunden ist. Seine jüdischen Eigentümer mussten Deutschland verlassen, so wie etliche der jüdischen Wissenschaftler die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Nach der Befreiung vom Hitler-Faschismus konnten sie ebenso einen Neuanfang wagen wie jene jüdischen Wissenschaftler, die in den Gründungsjahren der Freien Universität nach Berlin zurückkehrten und an der soeben gegründeten Universität im Westteil der Stadt, in Dahlem, ihre Lehre und ihre Forschung wiederaufnahmen, Zu den Remigranten gehörten namhafte Gelehrte wie Ernst Fraenkel, Richard Löwenthal und Otto von Simson.

Eine kleine Bronzetafel – eine Schenkung Volker Bartschs an die Freie Universität – wird künftig an das entsetzliche Geschehen erinnern. Die Tafel trägt die Inschrift: „Zur Erinnerung an die Studenten der Freien Universität Berlin und der Deutschen Hochschule für Politik, die für die Freiheit ihr Leben verloren haben.“ Die Bronzetafel wird der Ort der ersten Kranzniederlegung durch die Hinterbliebenen und das Präsidium der Freien Universität sein.

Es ist eine Verpflichtung für uns alle, stets in Erinnerung zu halten, welche mutigen jungen Menschen die Freie Universität gegründet und verteidigt haben. Dies umschließt die Aufgabe, gegen Unfreiheit aufzutreten und Wissenschaft an dieser und an anderen Universitäten in der Welt auch als Erhaltung dieser Freiheit zu verstehen. Es ist dies das Humboldt’sche Vermächtnis, das die Freie Universität seit ihrer Gründung wahrt und schützt.

Der Autor ist Präsident der Freien Universität.