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„Das Zukunftskonzept der Freien Universität ist einfallsreich"

Ein Gespräch mit dem geschäftsführenden Rektor der University of Essex, Sir Ivor Crewe

Auf dem Weg zur „International Network University" wird die Freie Universität Berlin von einem internationalen Beraterteam begleitet. Dem International Council gehören hochrangige Wissenschaftler an, darunter der geschäftsführende Rektor der University of Essex und ehemalige Vorsitzende der britischen Hochschulrektorenkonferenz, Professor Sir Ivor Crewe. Mit ihm sprach Carsten Wette.


Worin sehen Sie die Vorteile des britischen Hochschulsystems gegenüber dem deutschen?

Um diese Frage zu beantworten, müsste man wahrscheinlich ein Buch schreiben! Um es kurz zu machen: Zu den Vorteilen des britischen Systems - wobei man eigentlich zwischen Schottland, Wales und England unterscheiden müsste - gehört die Möglichkeit der Universitäten, die Studierenden selbst auszuwählen, ferner eine hohe Absolventenquote und eine Mischkalkulation bei der Finanzierung des Studiums aus Gebühren, Darlehen und Stipendien. Zu nennen ist auch das leistungsbezogene und flexible System, mit dem in Großbritannien wissenschaftliches Personal angeworben und befördert wird, und über das jede Universität selbst wacht.

Welche Nachteile gibt es im Vergleich zu Deutschland?

Britische Jugendliche sind schlechter auf ein Studium vorbereitet als deutsche. Das liegt vor allem daran, dass man bei uns einen Schulabschluss auch erwerben kann, ohne ein breites Fächerspektrum vorzuweisen. Weitere Pluspunkte für Deutschland sind, dass die Wirtschaft sich stärker in die Forschung einbringt, dass die angewandte Forschung dort einen höheren Stellenwert hat und dass die Berufsausbildung insgesamt größeres Ansehen genießt als in Großbritannien.

Wie finanzieren sich britische Universitäten?

Es gibt eine Basisfinanzierung für Personal und Ausstattung sowie zusätzliche Mittel für Forschungsvorhaben. Je weniger Universitäten an Studiengebühren einnehmen und je mehr dort gelehrt wird, desto stärker hängen sie von der Finanzierung durch den Staat ab. Es gibt daher einen Wettbewerb um ausländische Studierende. Der Etat der London School of Economics beispielsweise besteht zu weniger als einem Fünftel aus öffentlichen Mitteln, andere Universitäten sind zu 80 Prozent auf den Staat angewiesen.

Was hat Sie motiviert, Mitglied des International Council der Freien Universität Berlin zu werden?

Ich möchte die Freie Universität unterstützen - eine Universität, die ich immer bewundert habe. Hinzu kommt, dass sich die Herausforderungen ähneln, mit denen die europäischen Hochschulsysteme konfrontiert sind: Ich bin sehr daran interessiert, die Strategie Deutschlands mit der meines Landes zu vergleichen.

Im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder hat die Freie Universität erneut das Finale erreicht. Wie bewerten Sie ihr Konzept einer internationalen Netzwerk-Universität?

Für mich zählt die Freie Universität im internationalen Vergleich zu den Einrichtungen ersten Ranges. Ihr Plan, eine internationale Netzwerk-Universität zu werden, ist einfallsreich und spannend. Ich hoffe, dass ich einen bescheidenen Beitrag zu ihrem Erfolg leisten kann.

ZUR PERSON

Experte für Hochschulreformen

Sir Ivor Crewe Foto: University of Essex

Professor Sir Ivor Crewe, Jahrgang 1945, ist seit 1995 geschäftsführender Rektor der University of Essex, der er seit 1971 angehört. Er studierte an der Oxford University und der London School of Economics. Professor Crewe veröffentlichte zahlreiche Bücher über Wahlen, Parteien und Meinungsforschung in Großbritannien. Sir Ivor Crewe ist Mitglied bedeutender Wissenschaftsgremien seines Landes. Von 2003 bis 2005 amtierte er als Präsident der Vereinigung „Universities UK“ – dem britischen Pendant der Hochschulrektorenkonferenz. Während seiner Amtszeit wurde das Hochschulsystem Großbritanniens weitreichend reformiert: Die Regierung hob Studiengebühren deutlich an und differenzierte die Aufgaben der Universitäten aus. Forschungsorientierte Hochschulen profitierten von der Reform, weil Forschungsmittel stärker gebündelt und die Forschungsinfrastruktur deutlich verbessert wurden. cwe