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Die besseren Beobachter?

Wie ausländische Zeugen den Bombenkrieg in Deutschland dokumentieren

Die Frage, wie die Deutschen mit der Zerstörung ihrer Städte umgingen, ist kontrovers diskutiert worden. Mit einer provokanten These hatte der Schriftsteller W. G. Sebald die Debatte 1997 eröffnet: Deutsche Autoren hätten vor der Aufgabe versagt, vom Luftkrieg Zeugnis abzulegen. Die meisten hätten ihn entweder verschwiegen oder künstlerisch verfehlt. Das Buch des Historikers Jörg Friedrich, „Der Brand“, löste eine weitere Auseinandersetzung aus: Wie können Deutsche überhaupt angemessen an das Leid erinnern, das auch ihnen im Zweiten Weltkrieg widerfuhr, ohne es gegen die eigenen Verbrechen aufzurechnen und sich selbst zu Opfern zu machen?

Ein Gesichtspunkt spielte in diesen Diskussionen bislang kaum eine Rolle: Was erfahren wir aus den Zeugnissen ausländischer Beobachter? Was haben Schriftsteller wie die Dänin Karen Blixen („Briefe aus einem Land im Krieg“), der Italiener Curzio Malaparte („Kaputt“), der Franzose Louis-Ferdinand Céline („Rigodon“) oder der US-Amerikaner Kurt Vonnegut („Schlachthof-fünf“) überliefert, die den Luftkrieg in Deutschland als Reporter, Flüchtling oder Kriegsgefangener erlebten? Was empfanden im Dritten Reich lebende Engländer, wenn ihre Landsleute zum Angriff anflogen? Was haben Journalisten in neutrale Länder wie Schweden oder die Schweiz berichtet? Und wie ertrugen Häftlinge in Gefängnissen oder Konzentrationslagern die Bombardements? Zahlreiche Ausländer, die sich zwischen 1939 und 1945 in Deutschland aufhielten, haben Aufzeichnungen hinterlassen, in denen sie ihre Erfahrungen des Krieges zur Sprache bringen: in Tagebüchern, Reportagen, Erzählungen. William Shirer übertrug seine Radiosendungen 1940 aus der Reichshauptstadt live in die USA, während britische Angriffe im Gang waren. Der italienische Außenminister Galeazzo Ciano erschrak darüber, dass die Kollegen vom Auswärtigen Amt immer mehr das Leben von „Höhlenmenschen“ führten. Als sie während der Deportation aus dem Zugfenster die Trümmer einer norddeutschen Großstadt sehen konnte, notierte die holländische Jüdin Mirjam Levie: „Das hat die ganze Fahrt wettgemacht.“

Ausländische Zeugen befanden sich in einer außergewöhnlichen Situation. Sie waren mittendrin und selbst durch die Abwürfe bedroht, zugleich aber distanziert. Mit fremdem Blick konnten sie vieles anders wahrnehmen als deutsche Zeitzeugen. So beobachteten sie, wie sich die Einheimischen verhielten: ob sie hasserfüllt oder apathisch reagierten oder die alliierten Operationen als Vergeltung begriffen. Sie verfolgten, wie die Deutschen die Propaganda ihrer Regierung aufnahmen, die den „Terror“ feindlicher „Luftpiraten“ verurteilte, während sie die eigenen Schläge feierte – gegen Warschau, Rotterdam, London, Coventry, Stalingrad. „Hier kann man das wahre deutsche Volk kennen lernen“, bemerkte der Schwede Arvid Fredborg im Luftschutzkeller. „Wenn die Bomben fallen, fällt seine Maske ab.“ Die Frage nach dem Verhalten der Zivilbevölkerung steht im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen: Was wussten die Deutschen über Kriegsschuld, Vernichtungskrieg und Völkermord?

Die Einschätzung der ausländischen Beobachter veränderte sich. Solange die Schäden nur sporadisch sichtbar waren, haben viele die Möglichkeiten eines entfesselten Luftkrieges unterschätzt. Sie hofften zunächst, dass mit wenigen Opfern eine entscheidende Wirkung zu erzielen sei. Während die Sprengkörper fielen, lief der US-amerikanische Journalist Howard Smith auf die Straße und schrie: „Mehr davon! Größere!“

Als die Luftangriffe sich verschärften, wurde immer offener die Frage nach ihrer Rechtfertigung gestellt. Viele Beobachter erkannten, dass sie kontraproduktiv waren. Sie zwangen die Deutschen, sich um ihr bloßes Überleben zu kümmern, und lenkten sie von politischen Erwägungen ab. Allenfalls führten sie zu einer zwischenmenschlichen Solidarisierung. Vor allem aber lieferten sie der nationalsozialistischen Propaganda ein „Gottesgeschenk“, wie ein schwedischer Beobachter 1944 in der US-amerikanischen Zeitschrift „Collier’s“ warnte. Joseph Goebbels konnte seine Landsleute erst recht auffordern, gegen einen Feind durchzuhalten, der sie als Volk vernichten zu wollen schien. Viele Beobachter stellten fest, dass die Deutschen zwar vom Krieg kaum begeistert waren, ihn aber mit großem Einsatz führten – aus Furcht vor Rache und Strafe. Hat die Zerstörung, so fragten sie, die Kampfmoral des Gegners angefeuert: zum Weitermachen aus Schuldgefühl?

Ausländische Zeugen stellen Überlegungen an, die den Sinn von Attacken gegen zivile Ziele – die zumindest als „Kollateralschäden“ auch heute noch ein Thema sind – erheblich in Zweifel ziehen: In seinem im trostlosen Berlin gedrehten Film über einen deutschen Jungen, der zuerst zum Mörder und dann zum Selbstmörder wird, „Deutschland im Jahre Null“ (1947), stellte der Italiener Roberto Rossellini eine komplizierte Frage: Sind die Trümmer ein Ausdruck der sittlichen Verwahrlosung, oder haben sie diese beschleunigt? Dieser Gedanke deutet sich in mehreren Dokumenten an: Hatten verstörte Obdachlose, die in verkohltem Schutt hausten, es weniger leicht, gegenüber einer mörderischen Umwelt ihre Menschlichkeit zu bewahren? Haben die Bomben die Grundlagen eines bürgerlichen Lebens weiter erschüttert und hergebrachte Moralvorstellungen zusätzlich geschwächt? Hat der Luftkrieg Hemmschwellen gesenkt? Hat er dazu beigetragen, Tätern, Mitläufern und Zuschauern manche Verbrechen entschuldbar oder sogar gerechtfertigt erscheinen zu lassen? Der Satz eines Offiziers in Bergen-Belsen, den Mirjam Levie nach einem Luftangriff hörte, ist der wohl zynischste Ausdruck dafür: „Lass sie kaputtgehen, bei uns gehen so viele kaputt.“

Im Unterschied zu den deutschen Autoren, die Sebald kritisierte, berichten die meisten ausländischen Zeugen sehr konkret und unverkünstelt von den Schrecken der Zerstörung. Vor allem aber lösen sie diese keineswegs aus der Geschichte heraus, sondern sehen sie in historischen Zusammenhängen. Während Edward Murrow 1943 als „eingebetteter Reporter“ an einer tödlichen Mission gegen Berlin teilnahm, erinnerte er sich, dass er fünf Jahre zuvor mit Flüchtlingen nach England geflogen war, für deren Vertreibung man nun „Rache“ nahm. Als Murrow 1945 nach Deutschland zurückkehrte, begann er in einem Rundfunkbericht, die entsetzlichen Verheerungen zu beschreiben – bis er das Lager Buchenwald betrat und es ihm dort die Sprache verschlug.

Der Schweizer Paul Stämpfli, der die Bomben im Gefängnis Plötzensee fürchten musste und zugleich hoffnungsvoll erwarten konnte, machte einen radikalen erinnerungspolitischen Vorschlag: Die Ruinen sollten für lange Zeit stehen bleiben. Als landesweite Gedenkstätte verstanden, wäre die deutsche Städtelandschaft mit ihren Neubauten und Brachen – mehr noch als jedes künstliche Holocaust- Mahnmal – ein bleibendes und nicht zu übersehendes Symbol: nicht vordergründig für ihre Zerstörung, sondern für die deutschen Verbrechen, die diese heraufbeschworen.

Der Autor ist wissenschaftlicher Assistent am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin. – Literatur: „Berichte aus der Abwurfzone. Ausländer erleben den Bombenkrieg in Deutschland 1939-1945“, herausgegeben von Oliver Lubrich, Frankfurt: Eichborn 2007 (Die Andere Bibliothek, Band 266), 480 Seiten.