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Körper, Körper und (k)ein Ende in Sicht

Ein Rückblick auf das auslaufende Graduiertenkolleg „Körper-Inszenierungen“ an der Freien Universität Berlin

Von Kristiane Hasselmann

Die Inszenierung des Körpers ist Teil der menschlichen Kultur. Arme, Beine, Haut, Gesicht wurden – bewegt oder im Stillstand, verhüllt oder entkleidet, natürlich oder künstlerisch verfremdet – in allen Epochen wahrgenommen und interpretiert. Diese verschiedenen Formen der Körper-Inszenierung und ihre Bedeutung im kulturellen Kontext zu untersuchen, war Ziel des am theaterwissenschaftlichen Institut der Freien Universität Berlin angesiedelten Graduiertenkollegs „Körper-Inszenierungen“. Nun endet diese von Professor Erika Fischer-Lichte 1997 initiierte Einrichtung, die durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde, nach neunjähriger Laufzeit. Rund 60 Doktoranden und Postdoktoranden der unterschiedlichsten Fachrichtungen – darunter die Theater-, Tanz-, Literatur-, Film-, Kunst- und Kulturwissenschaften bis hin zur Kulturanthropologie, Philosophie, Politologie und Medizin – wurden durch das Kolleg gefördert und konnten sich ihrer Forschungsarbeit in Vollzeit widmen.

Die Gründung des Kollegs war eine Reaktion auf die zunehmende Beschäftigung der internationalen Kultur- und Geisteswissenschaften mit den performativen Qualitäten des Körpers. Dahinter steht die Annahme, dass der Körper nicht nur eine passive Folie ist, auf der sich kulturelle Werte und Normen einschreiben, sondern selbst imstande ist, Kultur hervorzubringen. So machte man sich in zahlreichen Publikationen, Konferenzen und Colloquien daran, Kulturgeschichte als eine Geschichte von „Körper-Inszenierungen“ neu zu verfassen.

Die Herangehensweisen waren so vielfältig, dass hier nur einige genannt werden können: Historisch-anthropologische und ethnologische Analysen – wie zum Beispiel die zum strategischen Ver- und Enthüllen des menschlichen Körpers oder jene zu seiner kulturellen Fragmentierung – hinterfragten, inwiefern Körper-Inszenierungen zentrale gesellschaftliche Schemata der Wahrnehmung und Interpretation anschaulich machen. Zudem galt es, leibliche Prozesse in ihrer Eigendynamik zu betrachten, leibliche Kommunikation und ihre Bedeutung für die Orientierung in der Welt zu hinterfragen, ohne die Historizität von Erfahrung zu leugnen. Eine der ersten Ringvorlesungen des Kollegs widmete sich deshalb der „historischen Konstruktion der Gefühle“. Es wurde der Körper-Kraft als geistigem Potenzial nachgegangen, anhand der „Ansteckungs“-Metapher die Körperlichkeit ästhetischer Prinzipien herausgearbeitet, medienspezifische Aspekte der Inszenierung des Leibes und Tendenzen seiner Verklärung untersucht sowie dem körperlichen Ursprung kultureller Erklärungsmuster – wie zum Beispiel dem der Krise – nachgegangen.

Thematisiert wurden durch biotechnologische Neuerungen inspirierte zukunftsträchtige Visionen, die sich am Körper realisieren und im Einwandern der Utopie in den Körper bisher gekannte fundamentale Grenzziehungen verflüssigen und teilweise eine grundlegende Revision rechtsphilosophischer Grundlagen des „Menschseins“ fordern. Doch die Rechtsprechung selbst ist ein performativer Akt, ein vielschichtiger Kommunikations- und Vermittlungsprozess. Recht und Politik machen den menschlichen Körper zu ihrem Medium, visualisieren den Rechtsakt als theatrales Spektakel. Gemeinschaftsbildung und Neuverknüpfung bilden dabei spezifische ästhetische Verfahren, die in symbolischen und biopolitischen Strategien der In- und Exklusion politisch und gesellschaftlich funktionalisiert und missbraucht werden können. All dies galt es am historisch konkreten Gegenstand zu erforschen.

Im Verlauf der vergangenen Dekade ist der Begriff des „Performative Turn“ zum Modewort avanciert. Die Fragen nach der kulturhistorischen und zeitgenössischen Relevanz leiblicher Phänomene haben sich im geisteswissenschaftlichen Diskurs etabliert und gleichzeitig zu vertiefenden Forschungsfragen geführt. Über die Grenzen des akademischen Arbeitens hinaus hat der Körperdiskurs mittlerweile seine Fortsetzung auch mit künstlerischen Mitteln gefunden. Darum suchte das Kolleg mit seinen „Art Lectures“ die Auseinandersetzung mit einem außeruniversitären Publikum in den Ateliers, Theatern und Kinos – Orte, an denen Kunst entsteht und erlebt wird –, um künstlerische Produktionsprozesse und ihre Wahrnehmung zu diskutieren. Auch die zuletzt veranstaltete Universitätsvorlesung „Kampf der Künste! Kunstproduktion im Zeichen von Medienkonkurrenz und neuen Event-Strategien“ nahm Berliner Kulturevents zu ihrem Ausgangspunkt und analysierte jene Mittel, mit denen die Künste beim Publikum um Aufmerksamkeit kämpfen.

Das Kolleg machte es sich zur Aufgabe, bestehende Theoriebildung in wissenschaftlichen Einzelprojekten auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen und fortzuentwickeln. Hier konnte der Körperschwerpunkt einen neuen, bisher nicht da gewesenen Blick auf kulturelle Zusammenhänge öffnen. Dabei veränderte die Arbeit an der Frage zuweilen die Frage selbst. Die Abschlusskonferenz des Kollegs, die im Mai dieses Jahres unter dem Titel „Körperwellen. Zur Resonanz als Modell, Metapher und Methode“ in Berlin stattfand, sollte diese wechselnden Bezugsrahmen abschließend thematisieren und zugleich ausblickend akzentuieren. Sie tat dies, indem sie eine bisher vernachlässigte Dimension, die Akustik, in das Projekt einbrachte.

Ausgestattet mit einer Gesamtbewilligungssumme von knapp 2,7 Millionen Euro konnte sich das Kolleg als einflussreiche und begehrte Stätte der Graduiertenförderung etablieren. Seinen Einladungen folgten nicht nur renommierte Wissenschaftler, sondern Graduierte aus aller Welt suchten die Anbindung als Gäste. Im Laufe seines neunjährigen Bestehens haben insgesamt 47 Doktoranden – zählt man die Gäste hinzu, sogar weit über 100 – und zwölf Postdoktoranden das Kolleg durchlaufen. Dabei ergaben sich, wie zu erwarten war, auch Synergieeffekte mit den benachbarten Sonderforschungsbereichen (SFB), dem SFB Kulturen des Performativen und dem SFB Ästhetische Erfahrung.

Mittlerweile ist das Kolleg – Dissertationen nicht eingerechnet – mit insgesamt 19 Buchpublikationen auf dem wissenschaftlichen Markt vertreten und kann auf Kooperationsveranstaltungen mit den großen Theaterhäusern Berlins und zahlreichen kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen im In- und Ausland zurückblicken. Im Rückblick will man allerdings nicht verharren, sondern den wissenschaftlichen Ansatz auch für zukünftige Projekte fruchtbar machen. Diese Perspektive bietet das ebenfalls von Erika Fischer- Lichte initiierte Internationale Graduiertenkolleg „InterArt/Interart Studies“, das von der DFG kürzlich als Nachfolgeprojekt bewilligt wurde. Als interdisziplinäres Forschungsprogramm, an dem die Literatur-, Theater-, Tanz-, Film- und Musikwissenschaft sowie die Kunstgeschichte beteiligt sind, wird es von Kunstwissenschaftlern der Freien Universität Berlin zusammen mit der Universität Kopenhagen durchgeführt.

Ziel dieses neuen Kollegs ist die Auseinandersetzung mit Kunstwerken beziehungsweise -ereignissen der verschiedensten Epochen, um neue methodische Zugänge zu den jeweils anders in Erscheinung tretenden Interart-Phänomenen zu erarbeiten. Damit soll es zugleich der Entwicklung neuer ästhetischer Kategorien dienen, welche die Tendenzen zu Multimedialisierung, Hybridbildung und Performativierung angemessen fassen. Längerfristig wird eine neue Theoriebildung angestrebt, die sich auf unterschiedliche Arten von Interart-Phänomenen bezieht, denen eine einzelne Kunstwissenschaft mit ihrer spezifischen Theoriebildung nicht mehr gerecht wird. Zweifelsohne ein weiteres, viel versprechendes Vorhaben, das von sich hören machen wird.

Die Autorin ist Postdoktorandin des Graduiertenkollegs „Körper-Inszenierungen“ an der Freien Universität Berlin.