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Die (Ohn-)Macht des Völkerrechts

Die amerikanische Juristin Ingrid Brunk Wuerth beschreibt, wie die Genfer Konventionen die USA in ihrem Krieg gegen den Terror beeinflussen

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist die Bedeutung des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus gewachsen. Die hierbei eingesetzten Mittel sind jedoch umstritten: Dürfen etwa Terroristen gezielt getötet werden? Die US-amerikanische Rechtswissenschaftlerin Ingrid Brunk Wuerth von der University of Cincinnati School of Law untersucht die Haltung der US-Regierung und die Wirkung des internationalen Völkerrechts auf die Vereinigten Staaten.

Fünf Jahre sind seit den Anschlägen vom 11. September 2001 vergangen. In den Monaten danach haben die Staaten der Welt und auch internationale Organisationen die Anschläge verurteilt und die Vereinigten Staaten großzügig unterstützt – selbst als der Krieg in Afghanistan begann. Als man im Januar 2002 aber die ersten Häftlinge aus Afghanistan im US-Gefängnis Guantanamo internierte, wurde den Vereinigten Staaten vorgeworfen, sie hätten das Völkerrecht, insbesondere die Genfer Konventionen, missachtet. Eine Kritik, vor allem aus Europa, die in den folgenden Jahren immer lauter wurde. Anlässe gab es genügend: sei es der Beginn des Irak-Krieges, für den ein klares Mandat des Weltsicherheitsrats fehlte; seien es die unfassbaren Folterungen von Abu Ghraib, die Erweiterung von Guantanamo oder die Geheimflüge, die mutmaßlichen Geheimgefängnisse und Entführungen durch die CIA in Europa.

All diese Ereignisse – und noch mehr könnten genannt werden – legen die Frage nahe, ob die Vereinigten Staaten als einzig verbliebene Supermacht im Krieg gegen den Terrorismus ohne Rücksicht auf die verbindlichen Normen des Völkerrechts handeln. Offensichtlich mangelt es an einer zentralen, effektiven Kraft, die den völkerrechtlichen Normen Geltung verschafft; eine Kraft, die auch gegen das Veto einer Supermacht im Weltsicherheitsrat wirksam ist. Trotzdem zeigt sich nach fünf Jahren immer deutlicher, dass das Völkerrecht auch auf die Vereinigten Staaten Wirkung hat. Auf verschiedenen Ebenen wird es durchgesetzt, am klarsten vielleicht durch die amerikanischen Gesetzgeber und Gerichtshöfe, aber auch durch den politischen Druck, den Staaten wie Deutschland auf die USA ausüben. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen.

Im Januar 2002 verkündete US-Präsident George W. Bush, die Genfer Konventionen gälten nicht für Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer. Nach heftiger Kritik machte er einen winzigen Rückzieher, um festzustellen, die Konventionen seien nicht für Al-Qaida gültig, aber doch für die Taliban (da Afghanistan dem Genfer Abkommen angehört), obwohl nach dem Text des Abkommens die Taliban nicht geschützt seien. Schon damals war klar, dass selbst in der US-Regierung verschiedene Meinungen zum Inhalt der Konventionen kursierten.

Kurz nachdem die Medien im Jahr 2004 Fotos von Abu-Ghraib veröffentlicht hatten, spielte das Völkerrecht auch eine Rolle im Fall Hamdi. Hier ging es vor allem um die Frage, ob der US-Gesetzgeber den Präsidenten ermächtigt hatte, auch amerikanische Staatsbürger ohne Gerichtsprozess langfristig festhalten zu dürfen. Die zuständige Richterin Sandra Day O’Connor interpretierte die Zustimmung zur Anwendung von Gewalt, die der Kongress dem Präsidenten mit dem so genannten Patriot Act erteilt hatte, in Bezug auf das Völkerrecht. Dabei kam sie zu dem Urteil, dass Verstöße gegen das Völkerrecht nicht durch diese „Vollmacht“ des Präsidenten gedeckt sind.

Zu demselben Schluss kam das Oberste Gericht der USA erneut im Sommer 2006, als es die Militärtribunale in Guantanamo für unrechtmäßig erklärte. Eine knappe Mehrheit der Richter entschied, dass die von der Bush-Administration eingerichteten Tribunale nicht rechtens seien, da sie gegen die Genfer Konventionen verstießen. Entscheidend hierbei war Artikel 3 der Konventionen, der die Verurteilungen nur durch ein „ordnungsmäßig bestelltes Gericht“ erlaubt. Nach Ansicht der Richter trifft dies auf die Guantanamo-Tribunale nicht zu. Hier wird deutlich: Das Völkerrecht bestimmt nicht nur zum Teil die Grenzen der vom Kongress verabschiedeten Gesetze; entscheidend ist auch die Tatsache, dass der Inhalt der Genfer Konventionen nicht durch die US-Regierung, sondern durch Richter ausgelegt wird.

In den USA wird nun versucht, den Militärtribunalen in Guantanamo eine gesetzliche Grundlage zu verschaffen, wobei die Regierung hier eine enge Interpretation der Menschenrechts-Konventionen durchzusetzen versucht. Und obwohl die Republikaner in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit besitzen, erlitt die Regierung bereits im Januar 2006 mit dem McCain-Gesetz eine Niederlage. Dieses machte klar, dass das Verbot der UN-Anti-Folter-Konvention gegen grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung für jeden Häftling gilt, der sich in amerikanischer Hand befindet. Anhand dieser Beispiele zeigt sich: Egal, ob durch Richterspruch oder US-Gesetz – das Völkerrecht weist indirekt auch die US-Regierung in ihre Schranken.

Auch durch außenpolitischen Druck wird dem Völkerrecht in den USA Geltung verschafft. Zwar schien den Vereinigten Staaten ein möglicher Verstoß gegen die UN-Charta zu Beginn des Irak-Krieges nahezu gleichgültig zu sein. Doch obwohl der Krieg nach Ansicht der USA durch den Weltsicherheitsrat genehmigt worden war, reichte diese Interpretation der betreffenden Resolution nicht aus, um Frankreich und Deutschland von der Rechtmäßigkeit des Krieges zu überzeugen. Natürlich ist es wichtig, hier auch darauf hinzuweisen, dass der Irak mehrmals durch den Weltsicherheitsrat verurteilt wurde und dass dieser Krieg nicht als allgemeiner Präzedenzfall für andere Kriege gelten kann. Nach fünf Jahren wird aber deutlich, dass es die Vereinigten Staaten viel kostet, ohne größere Unterstützung durch andere Länder einen solchen Krieg zu führen. Diese Kosten, die indirekt durch den Verstoß gegen das Völkerrecht entstehen, sind schwierig zu messen, und sicherlich haben die enormen Ausgaben auch andere Ursachen. Dennoch ist der Schluss zulässig, dass für die USA – hätten sie im klaren Einklang mit dem Völkerrecht gehandelt – vieles anders gelaufen wäre.

Zahlreiche Länder fordern die Schließung von Guantanamo. Nach Ansicht der US-Regierung steht das Gefangenenlager jedoch im Einklang mit dem Völkerrecht. Zwar hat sich die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA nicht unmittelbar mit dieser Frage beschäftigt. Aber die Richter stellten klar, dass Artikel 3 der Genfer Konventionen, der nicht nur die Gerichtsbarkeit, sondern zum Teil auch das Festhalten von Gefangenen regelt, auch in Guantanamo gilt. Vielleicht noch wichtiger war aber, dass Staaten wie Deutschland und England die Schließung des Gefangenenlagers mit Hinweis auf dessen Rechtswidrigkeit forderten. So gab Bush im Laufe des vergangenen Jahres nach und kündigte an, Guantanamo schließen zu wollen. Gleichzeitig gaben die USA auch in Bagrab und Abu Ghraib Verstöße gegen das Völkerrecht zu.

Schließlich reagierte man diesseits des Atlantiks zunächst empört, als die Medien von Geheimflügen, Gefängnissen und Entführungen des CIA in Europa berichteten. Dabei ist es eher wahrscheinlich, dass Länder wie Schweden, Polen und Deutschland über die Tätigkeiten der CIA informiert waren. Nun wird in mehreren europäischen Ländern und auch durch den Europarat ermittelt. Denn anders als in den Vereinigten Staaten können in Europa Internationale Gerichtshöfe den Menschenrechten Geltung verschaffen. Natürlich sind die Vereinigten Staaten nicht an die europäischen Verträge gebunden, aber ihnen kommt eine wichtige Bedeutung zu, wenn es um Maßnahmen der USA gegen den Terrorismus in oder mit Europa geht. Nicht zuletzt die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs Ende Mai über die Weitergabe von Flugpassagierdaten an US-Behörden hat dies bereits gezeigt. Das Interesse an persönlichen Daten der Fluggäste ging den Richtern zu weit. Nun muss das Passagierdatenabkommen zwischen der EU und den USA neu verhandelt werden.

Dass isolierte Betrachtungen einzelner Staaten im Völkerrecht nicht möglich sind, zeigt auch der Fall des deutschen Staatsbürgers Al-Masri, der von der CIA in Mazedonien entführt worden war. Hier ist es denkbar, wenn auch unwahrscheinlich, dass seine Klage Erfolg vor amerikanischen Gerichten haben könnte.

Hat das Völkerrecht die Vereinigten Saaten nun in irgendeiner Weise in ihrem Krieg gegen den Terror beeinflusst? Die mutmaßlichen Verstöße der USA gegen das Völkerrecht sind vor allem eine Enttäuschung. Wir hätten Besseres von den Vereinigten Staaten erwarten können. Hätten wir aber auch mehr vom Völkerrecht erwarten können? Meistens wirkt es sich nicht unmittelbar und auch etwas verzögert aus. Aber das Völkerrecht hat immerhin klar die Machtgrenzen der Bush-Regierung gezogen. Und es hat die Reaktionen anderer Länder und auch die Argumente innenpolitische Kritiker teilweise geprägt. Ohne Völkerrecht wäre die Situation in Guantanamo, Abu Ghraib und anderswo noch schlimmer – und es gibt Gründe, optimistisch zu sein, dass es besser wird. Gegen ein sehr mächtiges Land, das nur zögernd Menschenrechtsverträge unterschreibt und gleichzeitig einen Krieg führt, ist das ein wichtiger – wenn auch kein befriedigender – Erfolg.

 

ZUR PERSON

Expertin für Internationale Beziehungen

Ingrid Brunk Wuerth arbeitet seit 2000 als Professorin für Rechtswissenschaft an der University of Cincinnati School of Law (USA), Forschungsschwerpunkt Internationale Beziehungen und Internationales Recht. Sie studierte Jura an der University of North Carolina und der University of Chicago. Später arbeitete sie in den USA zunächst bei Gericht, bevor sie 1997 ein Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt Association of America erhielt. Im Sommersemester 2006 forscht Prof. Wuerth als Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Freien Universität zum Thema „Deutsche und europäische Reaktionen auf den ,War on Terror’“. oh