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Nicht nur Fußball ist unser Leben

Sponsoring bringt den Sport voran, doch die Wirtschaft benötigt das Geld für Innovationen

Franz Beckenbauer hatte wie immer Recht: „Wir wissen, dass es Kritik hageln wird. Mit der Organisation des Verkaufs der WM-Tickets machen wir uns bis zuletzt keine Freunde“, sagte der Chef des WM-Organisationskomitees zu Beginn der ersten Verkaufsphase. Und in der Tat: Noch heute, nach Start des Turniers, ärgern sich viele Fußballfans. Nicht nur über das komplizierte Bestellverfahren, sondern auch darüber, dass nur ein Teil der WM-Tickets in den freien Verkauf gegangen ist. 555 000 Tickets, immerhin ein Sechstel, waren für die 15 WM-Sponsoren reserviert – etwa für die Deutsche Telekom oder McDonald’s. Jedes dieser Unternehmen zahlte dafür 45 Millionen US-Dollar – so viel verlangt der Weltfußballverband FIFA im Jahr 2006.

Sportsponsoring ist heute aus dem Marketingmix der Unternehmen nicht mehr wegzudenken. 85 Prozent der deutschen Großunternehmen betreiben es, und jedes zweite schaltet anlässlich der WM eine Werbekampagne. Laut der Studie „Sponsor Visions“ fließen 2006 in Deutschland 2,7 Milliarden Euro ins Sportsponsoring. Ein vorläufiger Höhepunkt dank WM-Hype. Aber woher kommt eigentlich das Interesse der Wirtschaft am Sport? Warum ist ein Unternehmen wie etwa die Telekom bereit, neben dem WM-Sponsoring 20 Millionen Euro jährlich in den FC Bayern München zu stecken?

Sportsponsoring ist noch immer ein relativ junges Instrument im Marketingmix der Unternehmen. Erst Mitte der 80er-Jahre stieg die deutsche Wirtschaft ernsthaft ein. Kein Zufall, denn damals offenbarte sich, dass die goldenen Zeiten des Wirtschaftswunders endgültig vorbei sind. Die Arbeitslosenzahlen stiegen in die Millionen. Seit der Ölkrise in den 70er-Jahren waren die Unternehmen immer häufiger mit dem Phänomen stagnierender Märkte konfrontiert. Eine ungewohnte Situation. Wie sollte man damit umgehen?

Eine Handlungsoption wäre gewesen, verstärkt in Forschung und Entwicklung (FuE) zu investieren, um dadurch neue Märkte zu erschließen. Abgesehen von Einzelfällen ist diese Vorgehensweise von der Mehrheit der Unternehmen jedoch nicht gewählt worden. Ein Blick in die amtlichen Statistiken des Bundes verrät: Die Unternehmensausgaben für FuE sind – bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt – seit den 80er-Jahren stetig zurückgegangen und liegen heute bei nur 0,85 Prozent (etwa 18,5 Milliarden Euro). Es verwundert daher nicht, dass Deutschland im internationalen Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit des World Economic Forum (WEF) hinter den USA, Japan und den skandinavischen Ländern den 15. Platz belegt. Als Ursache hierfür gilt laut WEF neben der hohen Staatsverschuldung eine „mangelhafte Innovationskultur“. So hätten beispielsweise 2004 nur zehn Prozent der deutschen Unternehmen es gewagt, außerhalb ihres Kerngeschäfts zu investieren.

Stattdessen floss immer mehr Geld in die Kommunikationspolitik der Unternehmen: 2006 etwa 22 Milliarden Euro – deutlich mehr als in FuE. Zur Kommunikationspolitik gehören diejenigen Instrumente im Marketingmix eines Unternehmens, über die es den Kontakt zum Konsumenten sucht: Werbung, im Fernsehen zum Beispiel, Verkaufsförderungsaktionen am Verkaufsort selbst, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Sportsponsoring spielt seit 20 Jahren eine immer wichtigere Rolle.

In Märkten, die nur eine geringe Wachstumsquote aufweisen, kommt der Kommunikationspolitik im Wettbewerb der Anbieter eine besonders wichtige Funktion zu. Mit ihrer Hilfe, insbesondere dem Sportsponsoring, soll ein emotionaler Zusatznutzen aufgebaut werden, der die Konsumenten zum Kauf des Beworbenen veranlassen soll. Die Unternehmen erhoffen sich einen positiven Imagetransfer vom Gesponserten auf den Sponsor. Der ursprünglich im Vordergrund des Marketings stehende technisch-funktionale Kernnutzen eines Produkts oder einer Dienstleistung tritt in den Hintergrund der Kommunikation, denn in stagnierenden Märkten sind austauschbare Leistungen die Regel. Studien zufolge ist die Anzahl stagnierender Märkte seit den 70er-Jahren stetig gewachsen. Drei Viertel aller Branchen Japans, Westeuropas und der USA sind inzwischen davon betroffen – so viele wie nie zuvor in der modernen Wirtschaftsgeschichte: Bier und Babynahrung ebenso wie Spielzeug oder Autos.

Pionier in Sachen Sportsponsoring war in Deutschland die Opel AG. Der Automobilkonzern schloss 1989 seinen ersten großen Sponsorenvertrag mit Bayern München. Sechs Millionen Mark pro Jahr war den Rüsselsheimern ihr Engagement beim Rekordmeister wert – eine Verpflichtung, von der die Fußballbundesliga bis dahin nur träumen konnte. Vom Sponsoring des FCB erhoffte sich Opel eine Imagekorrektur. Opel-Fahrer galten damals als konservativ, spießig und jenseits der 50 – ausgestattet mit Bierbauch und Hosenträgern. Neben den Bayern nahm Opel später noch die Nationalmannschaft Frankreichs sowie europäische Spitzenklubs wie Paris St. Germain und AC Mailand unter Vertrag. Mit Erfolg: Rangierte Opel 1989 beim Autoverkauf meist an zweiter, dritter Stelle, waren sie Mitte der 90er-Jahre beim Absatz die Nummer eins: in München, in Bayern, in Europa.

Die wirtschaftlichen Probleme vieler Unternehmen sind jedoch trotz des Sportsponsoring-Booms nicht einmal im Ansatz gelöst worden. Im Gegenteil: Die schwache deutsche Wirtschaft ist seit 2000 nur noch ein Prozent pro Jahr gewachsen. Märkte mit geringen Wachstumsquoten sind zur Regel geworden. Es rächt sich nun, dass die Unternehmen seit den 80er-Jahren alles andere als offensiv mit den veränderten wirtschaftlichen Begebenheiten umgegangen sind. Anstatt mit Produktinnovationen der wirtschaftlichen Stagnation zu trotzen und neue Märkte zu erschließen, hat das Management immer mehr Geld in die emotionale Aufladung der schon vorhandenen Produkte gesteckt – und damit, wenn auch unbeabsichtigt, die wirtschaftliche Krise sogar noch weiter verschärft.

Der Sport, insbesondere der professionelle Fußball, hat vom Stillstand der Wirtschaft profitiert. Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten, als nahezu 100 Prozent der Erlöse aus Eintrittsgeldern stammten, stehen die deutschen Fußballvereine heute auf einer gesünderen Basis: In der Bundesliga erwirtschaften die 18 Klubs im Durchschnitt 27 Prozent ihrer Einnahmen aus der Werbung, insgesamt 358 Millionen Euro – ein Spitzenwert im europäischen Fußball.

Durch den Einstieg der Sponsoren erfuhr die Professionalisierung der Ballbranche einen entscheidenden Schub. Das „klassische“ Finanzierungsmodell des Mäzenatentums wurde verdrängt. Wer jetzt Geld in den Verein steckt, versteht das nicht nur als einseitige Unterstützung, sondern als Geschäft auf Gegenseitigkeit und verlangt professionelle Ansprechpartner auf Vereinsseite. In der Bundesliga hat so bis heute in nahezu allen Vereinen betriebswirtschaftliches Management Einzug gehalten – anders als noch in den 80er-Jahren, als eine große Anzahl von Klubs von Vereinsfunktionären in Feierabendmanier geführt wurde. Gerade auch die „kleinen“ Vereine konnten durch konsequent marktorientiertes Handeln die Chancen der Kommerzialisierung nutzen. So haben sich die Etats der Fußball-Bundesligisten angleichen können: In der Saison 1983/84 beispielsweise realisierte der damals finanziell schwächste Verein, der VfL Bochum, lediglich zehn Prozent des Etatstärksten. 2005/06 liegt die Quote bei 19 Prozent. Bayern München ging mit einem Etat von 60 Millionen Euro an den Start, das „Schlusslicht“ Mainz mit 11,5 Millionen Euro.

Sportsponsoring ist heute aus dem Marketing der Unternehmen zwar nicht mehr wegzudenken, aber im Zuge der WM zeigen sich erste Abnutzungserscheinungen: Selbst von den 15 offiziellen WM-Sponsoren werden wohl nur vier von den Konsumenten als solche wahrgenommen: Adidas, die Telekom, McDonald’s und Coca Cola. Alle anderen sind in der WM-Werbeschlacht untergegangen – aus unternehmerischer Sicht ein bedenklicher Trend. Hoffentlich führt er dazu, dass in den Chefetagen solche Engagements in Zukunft skeptischer betrachtet werden und dass wieder mehr Geld in Forschung und Entwicklung gesteckt wird. Denn nur so wird es möglich sein, die wirtschaftliche Stagnation zu überwinden.

Von Stefan Chatrat, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Marketing-Department der Freien Universität Berlin.

 

ZUR PERSON

Marketingexperte und Sportredakteur

Stefan Chatrath, Jahrgang 1976, ist seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Marketing-Department der Freien Universität Berlin. Er studierte Betriebswirtschaft in Berlin und Birmingham. In seiner Diplomarbeit befasste er sich mit „Geschäftskundenbindung durch Event-Marketing“.

Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Sportmarketing, insbesondere Fußball. Derzeit arbeitet Chatrath an einer Veröffentlichung zu „Kriterien zur Segmentierung des Zuschauermarktes im Profifußball“. Vor seinem Engagement an der Freien Universität war er Sportredakteur beim Politik- und Wissenschaftsmagazin Novo. FU