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Noch eine Kommission für Berlin?

Als vor einigen Jahren die Auseinandersetzungen der Berliner Wissenschaft mit der Politik einen weiteren Höhepunkt erlebten, schlossen sich Vertreter der Wissenschaft und der Wirtschaft zu einem Dialog unter dem Titel „an morgen denken“ zusammen. Das Ziel war es, der Berliner Politik zu verdeutlichen, dass Investitionen in die Wissenschaft für die Stadt sich auch wirtschaftlich auswirken und dass das Gleiche naturgemäß auch für Kürzungen gilt. Das vehemente Eintreten von Vertretern und Verbänden der Berliner Wirtschaft für die Wissenschaft hat Früchte getragen, insoweit die beabsichtigten radikalen Kürzungen in dem Hochschulsektor deutlich zurückgedrängt werden konnten.

Jetzt hat eine zweite Phase der gemeinsamen Arbeit begonnen: Die Partner wollen herausfinden, in welchen Feldern, den so genannten „Clustern“, eine Zusammenarbeit für die Stadt Erfolg versprechend sein kann. Es geht um die Identifikation von Wirtschaftsclustern, nicht zu verwechseln mit den Clustern, die in der Freien Universität Berlin bereits seit fast drei Jahren aufgebaut werden und die im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder zur Ausschreibung stehen. Es handelt sich also um große Schwerpunktbereiche, in denen Wirtschaft und Wissenschaft Forschungskompetenz besitzen. Die Berliner Wissenschaftskommission (BWK) unter der Leitung des Tübinger Professors Dietrich Niethammer hat vorläufig folgende Bereiche identifiziert:

  • Lebenswissenschaften,
  • Verkehr/Mobilität,
  • Kommunikation, Medien und Kultur, Gesellschaft, Geschichte, Politik,
  • Optische Technologien und Mikrosystemtechnik.

Die zur Dimensionierung dieser Cluster eingerichteten Arbeitsgruppen werden in den nächsten Monaten prüfen müssen, ob und in welcher Form diese Schwerpunkte in Berlin tragend sein können. Dabei ist es sehr wichtig festzustellen, dass diese Cluster nur ein Ausschnitt aus der gesamten Wissenschaftslandschaft sein können. Es darf und wird nicht geschehen, dass die dringend erforderliche Grundlagenforschung in den Natur-, den Sozial- und den Geisteswissenschaften, die auch ganz unabhängig von wirtschaftlicher Nähe wichtig sind und betrieben werden müssen, Einschränkungen erfahren.

Grundlagenforschung in allen Fächergruppen ist die Voraussetzung für jede Innovation. Nur wenn sie ohne Absicht und aus der Logik der Wissenschaften heraus betrieben wird, hat sie Chancen, Grundlage für spätere angewandte Wissenschaft zu werden. Man kann und darf der Wissenschaft nicht vorschreiben, vordergründigen Verwertungszwecken zu dienen. Das bedeutet gleichzeitig aber auch nicht, dass eine Volkswirtschaft, die sehr viel Geld in Wissenschaft investiert, nicht daran interessiert sein dürfte, aus Entdeckungen und Erfindungen auch Nutzen für das bessere Leben zu ziehen. Denn das ist der Grund dafür, dass die Mitglieder einer Gesellschaft persönliche Opfer für den Unterhalt der Wissenschaften erbringen. Ein besonderes Augenmerk muss bei dieser Diskussion den Geisteswissenschaften gelten. Sie haben seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert mit dem Wandel der Kultur, der Künste, der Zivilisation insgesamt selbst starke Veränderungen erfahren. Ihre Freiheit und Zweckungebundenheit muss immer wieder verteidigt werden. Das zeigt sich bei der jüngst entfachten Debatte um das „Manifest Geisteswissenschaft“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) von Carl Friedrich Gethmann, Dieter Langewiesche, Jürgen Mittelstraß, Dieter Simon und Günter Stock.

Wer den Geisteswissenschaften unmittelbare Verwertungserwartungen auferlegen will, beraubt sie um das, was sie in den letzten Jahrzehnten gewonnen haben: einen besonderen Platz zwischen Geschichte und Zukunft, zwischen Kunst und Empirie.

Wenn diese Besonderheit berücksichtigt wird, hat die Universitas auch in den Berliner Wissenschaftseinrichtungen weiterhin eine große Zukunft.

Der Autor Prof. Dr. Dieter Lenzen ist Präsident der Freien Universität Berlin.