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Mit Zeus nach Europa

Das neu gegründete Interdisziplinäre Zentrum „Europäische Sprachen: Strukturen – Entwicklung – Vergleich“

ZEUS – unter diesem Namen haben sich die Sprachwissenschaftler der Freien Universität Berlin zu einem Interdisziplinären Zentrum für Europäische Sprachen zusammengefunden. Ziel ist es, die jeweiligen Forschungsschwerpunkte auf Gemeinsamkeiten abzuklopfen und sich in neuen Initiativen zusammenzufinden, die in gemeinsame Forschungsprojekte und Drittmittelanträge münden sollen. Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund: Welche Sprachen spricht Europa? Welche kann, soll und wird es in Zukunft sprechen? Wie ist die europäische Vielsprachigkeit entstanden und wie wird sie sich in Zukunft darstellen? Wie kann sie theoretisch modelliert werden? Was bedeutet es überhaupt, eine „Sprache sprechen“ zu können beziehungsweise zu „erlernen“?

All diesen Fragen stellten sich in einzelnen Forschungsprojekten Sprachwissenschaftler der englischen, romanischen, deutschen und niederländischen Philologie, der Philosophie, der Nordamerikastudien, der Indogermanistik, der Turkologie, der Islamwissenschaften sowie des Sprachenzentrums. In dem neu gegründeten Interdisziplinären Zentrum (IZ) „Europäische Sprachen: Strukturen – Entwicklung – Vergleich“ wird nun eine Bündelung der Forschungs- und Lehrinteressen unter dem gemeinsamen Forschungsobjekt der europäischen Sprachen angestrebt. Die europäische Ausrichtung entspricht der Tradition, den besonderen Möglichkeiten und Stärken der Sprachwissenschaften an der Freien Universität Berlin, wie bereits vorliegende Forschungsarbeiten und drittmittelgeförderte Forschungsprojekte belegen. Das IZ verfügt damit über ein eigenes Profil, das sich von dem der Universitäten und Institute im Berliner Raum deutlich unterscheidet und eine wichtige Ergänzung zu den bestehenden sprachwissenschaftlichen Forschungszentren bildet.

Als Logo des IZ wurde eine Darstellung der mythologischen Gestalt der Europa gewählt, um die Verbindung von europäischen und außerhalb Europas liegenden sprachlichen Wirklichkeiten zu repräsentieren. Aus dem Titel des interdisziplinären Zentrums Europäische Sprachen ergibt sich zudem die Abkürzung ZEUS, also der Name des Göttervaters, der Europa trägt. Mit dem renommierten Sprachwissenschaftler der University of Cambridge, John A. Hawkins, als Gastredner feierte das IZ kürzlich seine Eröffnung. Hawkins gab seinem Vortrag den programmatischen Titel „Building bridges in the language sciences – Interdisziplinarität in der Linguistik“. Unter den Gästen befand sich eine große Anzahl der im Berliner Raum forschenden Linguisten, ein positiver Indikator für die geplanten fruchtbaren Kooperationen mit interessierten Kollegen über die Freie Universität Berlin hinaus.

Künftig wird sich das IZ verschiedenen Fragestellungen widmen: Neben der Beschreibung der Geschichte und wesentlicher Konzepte der europäischen Sprachphilosophie, insbesondere der Schriften Wilhelm von Humboldts, steht der systematische Vergleich von europäischen Spracheigenschaften (Sprachtypologie). Die Frage nach der Wandelbarkeit von Sprache allgemein und nach der Geschichte der europäischen Sprachen, vor allem der germanischen und der romanischen Sprachen, stellt einen weiteren Schwerpunkt dar. Grammatiktheoretische Modelle für die menschlichen Sprachfähigkeit überhaupt und ihre einzelsprachliche Ausprägung bieten zusammen mit vergleichenden Untersuchungen zum Erst- und Zweitspracherwerb eine starke Anbindung an die kognitionswissenschaftliche und neurolinguistische Forschung. Untersuchungen zu den Varietäten europäischer Sprachen, zu den auf diesen Sprachen basierenden Kreolsprachen sowie zu Sprachen von Minderheiten, also soziolinguistische Untersuchungen zu den Sprachen der EU und Europas allgemein bieten Verknüpfungsmöglichkeiten mit den Sozial- und Politikwissenschaften. Dies alles verleiht dem IZ neben seiner „philologieübergreifenden'“ auch eine über die sprachbezogenen Wissenschaften hinausreichende interdisziplinäre Komponente. Durch die Vertretung unterschiedlichster theoretischer Ansätze und Konzeptionen ist eine mehrperspektivische Ausrichtung des IZ gesichert. Das IZ ist dementsprechend bereits in geplante größere interdisziplinäre Forschungsverbünde im Rahmen des bundesweiten Exzellenzwettbewerbs integriert und beteiligt sich an der Ausarbeitung universitätsweiter thematischer Akzentsetzungen.

Die Forschungsaktivitäten des interdisziplinären Zentrums werden sich insbesondere der Neuorganisation interdisziplinärer Drittmittelprojekte, konkret der Konstituierung von Forschergruppen, widmen, wobei der Sprach-, aber auch der Methodenvergleich den thematischen Rahmen bilden sollen.

Bereits zum jetzigen Zeitpunkt stellt das IZ das wichtigste Austausch- und Informationsforum für sprachwissenschaftliche Forschung an der Freien Universität Berlin dar. Die zehn gemeinsamen Studientage, die schon in der Planungsphase eingeführt und seit April 2004 regelmäßig abgehalten wurden, haben die Vernetzungsbestrebungen der Sprachwissenschaften an der Freien Universität Berlin unterstützt und den fachlichen Austausch entscheidend verstärkt. In rund fünfzig Vorträgen wurde eine weitreichende Auswahl sprachwissenschaftlicher Themen vorgestellt. Internationale Gastredner diskutierten dabei, unter anderem unter der wechselnden Verantwortlichkeit einzelner IZ-Mitglieder, mit Nachwuchswissenschaftlern und dem universitäts-internen und -externen interessierten Publikum allgemeine Probleme der Sprachtypologie, die Besonderheit der Einzelsprache Baskisch in Europa, das Grammatikmodell des bekannten MIT-Professors Noam Chomsky, die historische Anthropologie der Sprache und Fragen des Sprachwandels. Dabei wurde ein außergewöhnlich hohes Maß an intensiver fächerübergreifender Diskussion erreicht, ein für die zukünftige Zusammenarbeit entscheidender Faktor.

Neben der Beantragung gemeinsamer Drittmittelprojekte, verstärkter Öffentlichkeitsarbeit, weiteren gemeinsamen Studientagen, internationalen Kolloquien und Universitätsvorlesungen sowie einem gemeinsamen Vorlesungsverzeichnis ist die Entwicklung eines gemeinsamen Masterstudiengangs „Sprachwissenschaft“ geplant; weitere Masterstudiengänge wie ein interdisziplinärer Studiengang „Sprachpolitik“ stehen zur Diskussion.

Auch in der „Langen Nacht der Wissenschaften“ im Mai 2006 wird das IZ als eigene Einrichtung mit einem Veranstaltungsprogramm zur europäischen Sprachenvielfalt, zu deren Vorzügen und ihrer Bedrohung vertreten sein.

Weitere Informationen: Sprecherin: Prof. Dr. Elisabeth Stark, estark@zedat.fu-berlin.de. Koordinatorin: Dr. Eva-Maria Remberger, remberg@lingrom.fu-berlin.de, www.sprachwissenschaft.fu-berlin.de

Von Elisabeth Stark