Springe direkt zu Inhalt

Mit Kind, Katze und Kuh

Ein Förderprogramm für Veterinärmedizinerinnen lotst werdende Eltern durch das Studium

„Herzlichen Glückwunsch, Sie sind schwanger!“ Als Janine Bräuer erfährt, dass sie Mutter wird, ist sie 20 Jahre alt und studiert im zweiten Semester Tiermedizin. Nachwuchs hatte sie eigentlich erst sieben Jahre später eingeplant. Die Studienanfängerin war verunsichert, denn schwangere Studentinnen waren ihr im Hörsaal bis dahin nie aufgefallen. Und das, obwohl Frauen in ihrem Studiengang eine beeindruckende Mehrheit bilden. Die Bedenken von Bekannten, Kind und Curriculum seien nicht zu vereinbaren, verwarf sie bald. „Ein Abbruch der Schwangerschaft stand für mich nicht zur Diskussion und weiterstudieren wollte ich unbedingt. Ich wollte beides schaffen“, sagt die selbstbewusste junge Frau, die vor der Geburt ihres Sohnes Florian neben dem Studium noch eine kleine Firma leitete.

Die Entscheidung war gefallen, doch wie es weiter gehen sollte, wusste Janine nicht. Während der Schwangerschaft weiter zu studieren, wäre in den meisten anderen Fächern ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, in der Veterinärmedizin ist die Lage jedoch eine besondere: „Wir dürfen, sobaldwir schwanger sind, weder an anatomischen noch pathologischen Sektionsübungen im Präpariersaal teilnehmen, noch uns in Ställen oder Laboren aufhalten. Durch das Infektionsrisiko besteht die Gefahr von Fehlentwicklungen beim Ungeborenen“, beschreibt Bräuer das Dilemma. Hinzu kommt, dass die elf Semester Regelstudienzeit streng durchgeplant sind. Wann welche Kurse, Praktika und Prüfungen zu absolvieren sind, gibt die Studienordnung den zukünftigen Tierärztinnen und Tierärzten vom ersten Unitag an vor. Wer diese Termine verpasst, muss mitunter lange warten, ehe sich die nächste Gelegenheit ergibt, regelgerecht weiter zu machen.

Ein ganzes Jahr lang aussetzen wollte die Studentin bei allem Mutterglück aber nicht. Zu viele Fragen waren offen. Zum Beispiel die, welcheRechte sie als Studentin und Mutter eigentlich hat. Ob sie Scheine und Prüfungen auch während des Urlaubssemesters machen darf. Was geschieht, wenn das Kind krank wird und so Termine ins Wanken geraten. Sie brauchte Rat und sie brauchte ihn schnell. Während ihr Bauch wuchs, arbeitete sie sich in die Mutterschutzgesetze, Hochschulgesetze und Regelungen der Tierärztekammern der Veterinäre ein. Sie kontaktierte Professorinnen, trat in die Fachschaft ein und setzte alle Hebel in Bewegung,umandere Mütter und weitere Verbündete zu finden. Dabei kam der Studentin wahrscheinlich ein Umstand entgegen, der kaum bekannt ist: Die Tiermedizin ist das Fach an der Freien Universität Berlin mit dem höchsten Frauenanteil. Über 90 Prozent der rund 1255 Studierenden sind weiblich. „Das trifft auf alle deutschen und auf viele europäische veterinärmedizinische Ausbildungsstätten zu", beschreibt Prof. Dr. Jophanna Plendl dasGeschlechterverhältnis in ihrem Fach. „Und Studentinnen sind nun mal nicht nur Studierende, sondern auch Frauen, die Kinder bekommen“, ergänzt sie.

Die Professorin für Veterinäranatomie beantragte vor zwei Jahren Gelder von der Frauenförderkommission der Freien Universität Berlin, um Schwangeren und Eltern das Studium zu erleichtern. „Wir wollen eine rezeptive Atmosphäre am Fachbereich schaffen. Jeder soll wissen, dass wir hier auf Eltern und Kinder eingerichtet sind“, skizziert Plendl ein Ziel des Programms. Binnen weniger Tage wurden dafür 6000 Euro bewilligt. Diese fließen jetzt unter anderem in die Schwangerenberatung, die Janine Bräuer je nach Bedarf anbietet. Schnell hat sich herum gesprochen, dass es sie gibt. Manchmal bekommt sie täglich E-Mails oder Anrufe von Frauen. Die meisten Fragen drehen sich um den zukünftigen Studienverlauf und um Rechtsansprüche. Aber auch wenn es ums Stillen, die Kita-Suche und Kinderkrankheiten geht, finden die (werdenden) Eltern in Janine die wohl kompetenteste Beraterin am Fachbereich.

„Sie ist der Rettungsring der Schwangeren“, beschreibt Plendl die Arbeit der 26-Jährigen. „Sie hat das alles selbst erlebt und kennt die Besonderheiten des Tiermedizin-Studiums“, ergänzt die Professorin. Und das nicht nur ein Mal. Sohn Florian ist mittlerweile fünf Jahre alt und hat bereits ein Brüderchen bekommen – Luca ist jetzt drei. „Das funktioniert auch deshalb, weil mir mein Mann den Rücken frei hält, wenn ich mich aufs Lernen konzentrieren muss“, verweist die Mutter auf die Rolle des Partners.

Wie man am besten Elternschaft und Studium miteinander vereinbart, beschreibt ein Studienführer speziell für Schwangere und Mütter in der Veterinärmedizin, den Bräuer und Plendl demnächst herausgeben. „Da steht alles Wichtige in Kürze drin“, verspricht die Studentin, unter anderem auch, in welche Lehrveranstaltungen man seine Kinder mitbringen kann. Außerdem soll schon bald ein Internetforum eingerichtet werden, über das sich werdende Eltern Tag und Nacht austauschen können.

Die „rezeptive kinderfreundliche Atmosphäre“, die sich die Programmkoordinatorinnen gewünscht hatten, hat sich an ihrem Fachbereich tatsächlich eingestellt. „In allen Vorlesungen und in bestimmten Kursen, wie den histologischen Mikroskopierkursen, sind Kinder willkommen“, versichert Johanna Plendl. Für Lehrende und Studierende ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass auch mal ein Baby seinen Mittagsschlaf im Hörsaal hält oder größere Kinder während einer Klausur anatomisch eigenwillige Tiere malen. „Wenn der Kindergarten im Sommer Pause macht, geht es ja auch gar nicht anders“, meint Bräuer. Eltern müssten nun mal ständig organisieren und improvisieren. Dazu scheinen immer mehr Studentinnen bereit zu sein. „Mittlerweile sprechen mich Frauen an, wann es denn günstig wäre, schwanger zu werden, um die Prüfungen nicht zu verpassen“, verrät Janine Bräuer. Sie freut sich über den gestiegenen Mut zum Kind.

Wenn es nach Johanna Plendl und Janine Bräuer ginge, dann wäre das erst der Anfang. Die Professorin wünscht sich mehr finanzielle Unterstützung für Frauen, die auch mit Kindern promovieren wollen. Sie plant außerdem ein Mentoring- Programm für Mütter. Gestandene Tierärztinnen, die selbst Kinder haben, könnten dann die jungen Frauen beraten, sie darin bestärken, im Beruf ihren Weg zu gehen. So eine Mentorin würde sich auch Janine Bräuer wünschen. Der Spagat, den sie im Studium zwischen Hörsaal und Kinderzimmer gemeistert hat, den wird sie auch nach dem Staatsexamen noch machen müssen. Johanna Plendl ist sich sicher, dass sie das schaffen wird: „Tierärztinnen, das sind starke Frauen, die große Herausforderungen suchen. Der Beruf verlangt Mut – weil die Tiere manchmal gefährlich sind – und Einfühlungsvermögen, denn die Patienten können nicht sprechen“.

Von Anke Assig