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Der deutsch-französische Kulturtransfer nach 1945

AKTIONSWOCHE Krieg und Frieden – die Lage der Wissenschaft nach 1945

Exilierte Kunst

Im September 1955 wurde in Schloss Morsbroich bei Leverkusen die Gedächtnisausstellung „Ausgewanderte Maler“ eröffnet – ein historisches Ereignis angesichts der kulturellen Vergangenheitsbewältigung der damals noch jungen Bundesrepublik. Zehn Jahre nach Kriegsende wurden erstmals Arbeiten von Künstlern gezeigt, die im Dritten Reich ihrer jüdischen Herkunft, ihrer politischen Überzeugung, ihrer Weltansichten oder ihrer künstlerischen Ausdrucksformen wegen Deutschland hatten verlassen müssen – unter ihnen Hans Arp, Max Beckmann, Hans Hartung, Wassiliy Kandinsky, Paul Klee und Wols. Mit der Ausstellung wollte man, so stand es im Katalog, „an ein blühendes und aufnahmebereites deutsches Kunstleben" erinnern. Doch die Ausstellung, die erst auf Drängen einiger emigrierter Maler zustande gekommen war, wurde von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Mitte der fünfziger Jahre war es offensichtlich noch zu früh, sich mit der Vergangenheit und ihren Opfern auseinanderzusetzen. Zwar wurde die Kunst, welche die Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert hatten, in Museen und Ausstellungen rehabilitiert, aber man zeigte wenig Interesse am Schicksal und an einer Rückkehr der emigrierten Künstler.

Auch die kunsthistorische Forschung hat sich mit diesem dunklen Kapitel der Moderne lange schwer getan und sich ihm erst in den letzten Jahren verstärkt zugewandt. Meist richtet sich der Blick dabei gen Amerika, nur selten nach Frankreich – und das, obwohl die Geschichte der Avantgarden primär eine deutsch-französische gewesen ist. Dass die bilateralen Kulturbeziehungen trotz Terrors und Kriegs nie ganz abrissen, ist ein Verdienst der nach Frankreich emigrierten Künstler, Kritiker und Kunstvermittler gewesen. Wollten nach 1945 die wenigsten von ihnen in ihr Geburtsland zurückkehren, waren sie dennoch maßgeblich an der Wiederaufnahme des künstlerischen Austauschs beteiligt. Mit diesem Thema beschäftigt sich das von der Fritz-Thyssen-Stiftung geförderte Forschungsprojekt „Französische Kunst im Nachkriegsdeutschland – Deutsche Moderne in Frankreich nach 1945, eine Kooperation des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris mit dem Kunsthistorischen Institut der Freien Universität. Hierbei wurde man auf Herta Wescher (1899-1971) aufmerksam.

Die engagierte Kunsthistorikerin hatte aus politischen Gründen emigrieren müssen. In Paris schloss sie sich dem Freien Künstlerbund an, der 1938 als Antwort auf die nationalsozialistische Ausstellung „Entartete Kunst“ die verfemte Kunst in der französischen Kapitale zeigte. Dank ihrer profunden Kenntnisse der Klassischen Moderne wie der zeitgenössischen Kunst beider Nationen gehörte Herta Wescher zu den wenigen Kunstvermittlern, die nach Kriegsende den Dialog der deutschen Avantgarde mit der École de Paris fortsetzten. Hier wie dort berichtete sie über die Abstraktion, organisierte Ausstellungen, warb in Wort und Schrift für die junge Malerei und leistete somit einen elementaren Beitrag zur Internationalisierung der Nachkriegskunst. Unbestechlich und präzise in ihrem Urteil galt ihr Augenmerk dabei stets den emigrierten Freunden.

Von Martin Schieder, Privatdozent der FU und lehrt am Deutschen Forum für Kunstgeschichte, Paris.