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Das Prinzip Fortschritt

Technik und Sprache: Ariel Bagg verbindet auf faszinierende Weise beide Disziplinen


Auf die Kanalisation kommt es an. An ihr lässt sich der Stand einer Zivilisation ablesen – jedenfalls historisch betrachtet. In Mesopotamien, wo heute der Irak liegt, entstanden vor über 5000 Jahren die ersten großen Städte. In und um einige Hauptstädte lebten mehrere tausend Menschen. Um sie zu versorgen, mussten zahlreiche technische Probleme gelöst werden. Wie kommt das Wasser zu den Menschen und auf die Felder? Was passiert mit dem Abwasser? Wohin mit dem Müll? Wie kann eine Stadt geschützt werden? „Man kann bei der Lösung dieser Probleme schwer von einzelnen Erfindungen sprechen“, erklärt der Leiter des Zentrums für Technikgeschichte des Vorderen Orients am Institut für Altorientalistik der FU, Ariel Bagg, „vielmehr sind es ganze Prozesse.“ Es fasziniert ihn, wie auf immer neue Probleme neue Antworten gefunden wurden. Um einen Wasserlauf durch einen Berg führen zu können, mussten beispielsweise Tunnel gebaut werden. Das dabei gewonnene Wissen konnte unter Umständen für große Paläste und Tempel genutzt werden und umgekehrt. Und wer große Paläste baut, baut auch stabile Stadtmauern. Für große fahrbare Sturmtürme müssen große Rampen gebaut werden. Ein (Fort-)Schritt nach dem anderen.

Die Liste der Sprachen, die Ariel Bagg beherrscht und von denen Laien vielleicht einmal gehört haben, ist eindrucksvoll: Akadisch, die älteste semitische Sprache mit Dialekten wie Assyrisch oder Babylonisch, außerdem Sumerisch, die älteste schriftlich überlieferte Sprache, und zahlreiche andere wie Althebräisch, Altaramäisch, Phönizisch oder Hethitisch. „Doch die Sprachen sind nicht so sehr das Problem“, erklärt Bagg, „hinzu kommen die Schriften und dei Tatsache, dass viele Quellen noch nicht publiziert sind.“ Sie sind zum Beispiel in Keilschrift überliefert, die erst mal entziffert werden muss. Für die Antike reichen Griechisch und Latein. Deshalb begann Technikgeschichte früher meist erst bei den Römern oder sie befasste sich mit Mittelalter und Neuzeit. Die Zeit davor wurde technisch-historisch kaum erforscht. Diese Lücke will Ariel Bagg schließen. Die Technikgeschichte vom Ende des vierten bis zum ersten Jahrtausend vor Christus war für viele Forscher oft deshalb nicht zugänglich, weil sie schlicht entweder die nötigen Sprachen nicht beherrschten oder nicht das nötige technische Verständnis hatten.

Ariel Bagg verbindet beides miteinander. Er studierte nach dem Gymnasium in seiner Heimatstadt Buenos Aires zunächst Ingenieurwissenschaften und fing direkt danach an, im Stahlbau zu arbeiten. „Ich habe mich aber schon als Kind sehr für Geschichte interessiert“, sagt Bagg. Er schrieb sich an der philosophischen Fakultät ein und studierte neben der Arbeit weiter: Alte Geschichte, klassische Philologie und Althebräisch. Und weil dem Ingenieur nichts zu schwer ist, besuchte er außerdem noch die Musikhochschule. Besonders faszinierte ihn die Geschichte des Vorderen Orients. Das allerdings konnte er in Argentinien nicht studieren. So machte er sich frisch verheiratet auf den Weg nach Deutschland. In Tübingen studierten er und seine Frau Altorientalistik und Vorderasiatische Archäologie und promovierten dort. Nebenbei verdiente Bagg seinen Lebensunterhalt als Fachübersetzer.

Ein so vielseitiger Menschen wie Bagg beschränkt sich nicht auf das Studium alter Texte. Er hat auch an Grabungen in Syrien, Jordanien, Israel und im Libanon teilgenommen. Faszinierend findet er Erfindungen, die Bestand haben. Das Prinzip einer Vorrichtung zum Wasserschöpfen etwa, das vor 5000 Jahren entwickelt wurde, wird noch heute in Jordanien genutzt. Oder kleine Schiffe, die von den Assyrern benutzt wurden, werden im Irak noch heute gefertigt. Doch in den Irak selbst ist Bagg noch nicht gefahren. Das war immer zu gefährlich. „Es gibt auch Grenzen“, sagt er.

Von Oliver Trenkamp