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Alte Rätsel im Visier moderner Technik

Ein neues Master-Modul macht Studierende der Altertumswissenschaft und Physik mit Archäometrie vertraut

06.04.2017

Intensiver Blick auf die Mona Lisa: Das Spektrometer misst die Röntgen-Fluoreszenz. So lassen sich Farben und deren Pigmente untersuchen, was Rückschlüsse auf die Epoche erlaubt, in der ein Kunstwerk entstanden ist.

Intensiver Blick auf die Mona Lisa: Das Spektrometer misst die Röntgen-Fluoreszenz. So lassen sich Farben und deren Pigmente untersuchen, was Rückschlüsse auf die Epoche erlaubt, in der ein Kunstwerk entstanden ist.
Bildquelle: ESRF/A. Solé

Die Arbeit von Archäologen ist mühsam und langwierig: Ganz vorsichtig legen sie während einer Grabung mit einem Pinsel Scherben frei. Dann kommen die Fragen: Wie alt ist das Gefäß, zu dem diese Fragmente einmal gehörten? Und was wurde darin aufbewahrt? Oft fehlen Beifunde, die den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern genaue Zuordnungen ermöglichen. Museen haben noch ganz andere Rätsel zu lösen. Bei Exponaten, die nicht selten vom Schwarzmarkt angeboten werden, stellt sich vielfach die Frage: Ist das echt oder nur eine gut gemachte Fälschung?

Bei der „Himmelsscheibe“ von Nebra etwa waren selbst Bronzezeit-Experten wie Elke Kaiser, Professorin für Prähistorische Archäologie an der Freien Universität Berlin, zunächst skeptisch. Dank einer ganzen Reihe naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden, die zur Klärung solcher archäologischen Fragen eingesetzt werden, konnte die Echtheit des einzigartigen Stückes jedoch zu 99,9 Prozent bewiesen werden. Auch der eigentliche Fundort ließ sich mit derartigen archäometrischen Analysen herausfinden und die Herkunft der verwendeten Erze stark eingrenzen.

Nicht nur Archäologen, auch Archäoanthropologen profitieren von naturwissenschaftlichen Verfahren: Ohne die molekularbiologische Analyse uralter DNA-Reste und deren Vergleich mit dem Erbgut heutiger Menschen wüssten sie weder, auf welchen Wegen unsere Vorfahren einst die Kontinente besiedelten, noch, dass bis heute ein bisschen Neandertaler in uns allen steckt.

Dies sind nur einige von zahlreichen Beispielen, die zeigen: Ohne Archäometrie sähen Altertumswissenschaftler ganz schön alt aus. Die Palette dieser Querschnittswissenschaft ist groß und bunt. Neben Chemikern und Physikern steuern unter anderem Mineralogen, Geophysiker, Archäobotaniker und -zoologen,Mediziner, Epidemiologen, Molekularbiologen, Informatiker und Werkstoffkundler ihr Fachwissen bei, um die Zeugnisse längst vergangener Kulturen freizulegen. Viele technische Verfahren, die heute in den Altertumswissenschaften eingesetzt werden, haben etwa physikalische Wurzeln. Als man diese einst „ausgrub“, war Kulturgutanalyse noch Science Fiction. Beispiel Computertomografie (CT): Von der Entdeckung der Röntgenstrahlung im Jahr 1895 bis zur modernen bildgebenden medizinischen Diagnostik unserer Tage war es ein weiter Weg. Heute lassen sich mittels CT sogar verkohlte Papyrusrollen aus dem antiken Herkulaneum via Voxel (winzigste Volumenelemente) virtuell entrollen, sodass die alten Texte wieder lesbar werden.

Ein Messwagen mit hochempfindlichen Magnetfeldsensoren erzeugt ein digitales Abbild des Untergrundes. So werden archäologische Strukturen wieMauern, Gruben oder Feuerstellen als Anomalien sichtbar.

Ein Messwagen mit hochempfindlichen Magnetfeldsensoren erzeugt ein digitales Abbild des Untergrundes. So werden archäologische Strukturen wieMauern, Gruben oder Feuerstellen als Anomalien sichtbar.
Bildquelle: Thomas Schenk

Heinz-Eberhard Mahnke, emeritierter Physiker vom Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie und Honorarprofessor am Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin, bedauert ebenso wie die Prähistorikerin Elke Kaiser, dass im Archäologie-Studium viele archäometrische Methoden kaum eine Rolle spielten. Das wollten sie ändern: Im vergangenen Wintersemester boten die beiden Wissenschaftler an der Freien Universität Berlin deshalb erstmals das Master-Modul „Einführung in die Archäometrie“ für Studierende der Archäologie und Physik an. „Noch nie war eine Veranstaltung so schnell auf die Beine gestellt!“, schwärmt Christin Keller, promovierte Prähistorikerin und Koordinatorin des Archäometrie-Netzwerks Berlin-Brandenburg. „Innerhalb von zehn Tagen hatten wir die Zusagen aller Referenten.“ Aufgrund des großen Erfolgs sollen die Veranstaltungen nun regelmäßig im Wintersemester stattfinden.

„Wir waren verblüfft, wie intensiv sich alle Teilnehmer, die im begleitenden Hauptseminar ’Kulturgutforschung’ ein Referat halten mussten, in die Grundlagen der archäometrischen Methoden eingearbeitet haben“, sagt Elke Kaiser. Das Themenspektrum reichte von Altersdatierungen mithilfe der Radiokarbon-Methode oder Thermolumineszenz über die Provenienz-Bestimmung bei Metallen (etwa durch Bleiisotopenanalyse) bis zur Ionenstrahlanalytik von Keramikfarben oder der Untersuchung historischer Übermalungen von Gemälden mittels Neutronenautoradiografie oder Röntgenfluoreszenzrastern. „Auch ich habe viel dabei gelernt!“, betont Elke Kaiser. Einziges Manko: „Am Wunsch der Studierenden nach einem praktischen Teil müssen wir noch arbeiten. Denkbar wäre eine Summer School.“

Die Idee zu den Veranstaltungen war im Archäometrie-Netzwerk Berlin-Brandenburg entstanden. Es wurde 2015 unter dem Dach des Berliner Antike-Kollegs gegründet und ist ein Zusammenschluss von mehr als 20 Institutionen. Neben Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen gehören dazu Museumslabore – darunter die der Staatlichen Museen zu Berlin und des Naturkundemuseums – sowie Firmen. „Während sich anfangs überwiegend Naturwissenschaftler unserem Netzwerk angeschlossen haben, kommen inzwischen immer mehr Archäologen dazu, um methodisch auf dem neuesten Stand zu bleiben“, sagt Christin Keller.

Anthropologinnen des Deutschen Archäologischen Instituts untersuchen archäologische Skelette auf Hinweise krankhafter Prozesse.

Anthropologinnen des Deutschen Archäologischen Instituts untersuchen archäologische Skelette auf Hinweise krankhafter Prozesse.
Bildquelle: Julia Gresky/Deutsches Archäologisches Institut

Berlin war einst Vorreiter in Sachen Archäometrie. Ende des 19. Jahrhunderts fanden immer mehr Schätze aus Ausgrabungen in aller Welt den Weg auf die Museumsinsel. Um sie im Zuge der Restaurierung auch naturwissenschaftlich untersuchen zu können, beschlossen der Kunsthistoriker und Museumsgründer Wilhelm Bode und der Chemiker Friedrich Rathgen die Einrichtung eines Forschungsinstituts. 1880 nahm das „Chemische Laboratorium der königlichen Museen“ seine Arbeit auf. „Es wurde zum Vorbild für den Louvre, das British Museum in London und das Metropolitan Museum in New York“, berichtet Heinz-Eberhard Mahnke.

Heute ist das Rathgen-Forschungslabor ein eigenes Forschungsinstitut innerhalb der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und begleitet die Staatlichen Museen zu Berlin bei ihren Studien und Untersuchungen zur Provenienz, Restaurierung und Konservierung sowie bei der Vorbereitung von Ausstellungen.

Berlin ist weltberühmt für seine Museen und zugleich ein großartiger Wissenschaftsstandort. „Die Verbindungen zwischen beiden Bereichen könnten durch eine Einbindung der Archäometrie gestärkt werden“, sagt Mahnke. Ginge es nach ihm, würde im ehemaligen Ethnologischen Museum in Dahlem auch ein archäometrisches Zentrum entstehen. Noch gibt es kein konkretes Nutzungskonzept, aber erste Ideen der Freien Universität: zum Beispiel die Umsiedlung ihrer wissenschaftlichen Abguss-Sammlung von Charlottenburg nach Dahlem. Einen ähnlichen Vorschlag hatte kürzlich Hermann Parzinger gemacht: Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Gründungsintendant des Humboldt-Forums hatte angeregt, den Museumskomplex in den Forschungscampus Dahlem zu integrieren, damit dort die wissenschaftliche Grundlagenarbeit der Museen und ihrer Kooperationspartner geleistet werden kann.

In Dahlem besteht – nicht zuletzt durch die langjährige Kooperation im altertumswissenschaftlichen Exzellenzcluster Topoi – bereits eine enge Zusammenarbeit zwischen der Freien Universität, mehreren Max-Planck-Instituten und dem Deutschen Archäologischen Institut. Die Einrichtung eines eigenen Masterstudiengangs für das Fach Archäometrie würde sich der Physiker Heinz-Eberhard Mahnke deshalb wünschen. Dies wäre für Altertums- wie Naturwissenschaftler gleichermaßen attraktiv.