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Rohdiamanten im Sonnenlicht

Physiker Emad Aziz arbeitet in einem europaweiten Verbund an einer Technologie, durch die Kohlendioxid in Kraftstoffe und wertvolle Chemikalien gewandelt werden soll

26.09.2016

Mithilfe von Sonnenlicht Energie zu gewinnen, ist eines der Ziele von Emad Aziz.

Mithilfe von Sonnenlicht Energie zu gewinnen, ist eines der Ziele von Emad Aziz.
Bildquelle: Fotolia/John Smith

„Unser Traum ist es, ihn zu imitieren“, sagt Emad Flear Aziz und zeigt auf einen Baum, „wir wollen Reaktoren entwickeln, die Kohlendioxid umwandeln.“ Eine Kopie der Photosynthese analog zu der in der Pflanzenwelt hat er dabei jedoch nicht im Sinn. Es geht nicht um einen Prozess, bei dem Farbstoffe wie Chlorophyll Sonnenlicht absorbieren und bei dem in einem hochkomplexen biochemischen Prozess unter anderem der für die Existenz fast aller Lebewesen wichtige Sauerstoff entsteht. Das Sonnenlicht spielt in der Vorstellung des gebürtigen Ägypters und seiner Kollegen zwar auch die Hauptrolle. Doch Sparringspartner des hellen Himmelskörpers sollen nicht Pflanzen sein, sondern künstlich hergestellte Nanodiamanten; zudem soll das Kohlendioxid aus der Luft und aus Industrieanlagen nicht in Sauerstoff gewandelt werden, sondern in wertvolle Chemikalien und in Kraftstoffe.

„Solarkraftstoff, also saubere Energie“, betont Emad Aziz, der vor einer Woche seinen 38. Geburtstag feierte. Gelingt die Umsetzung, halten er und seine Kollegen zudem ein Werkzeug in der Hand, das zur Begrenzung der globalen Erwärmung beitragen könnte.

Ein verrückter Traum? Die Europäische Union glaubt an diese Vision: Die Arbeitsgruppe des Wissenschaftlers ist Teil des länderübergreifenden Projekts DIACAT; das Vorhaben wird im Rahmen von Horizont 2020 gefördert, einem europäischen Programm für Forschung und Innovation. Beteiligt sind Partner aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Schweden: das Commissariat à l‘Énergie Atomique et aux énergies alternatives (CEA), die University of Oxford, die Uppsala Universitet sowie das Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik und die Julius- Maximilians-Universität Würzburg, deren Professorin Anke Krüger die Leitung des DIACAT-Konsortiums innehat. Dem Projekt gehört ferner das Unternehmen Iolitec Ionic Liquids Technologies GmbH an, ein Spezialist für Ionische Flüssigkeiten.

Die Arbeitsteilung in dem Verbund muss man sich wie die in einem über halb Europa verteilten Ameisenhaufen vorstellen: Für Außenstehende undurchschaubar, doch für die Beteiligten hocheffizient und kongenial. Alles ist im Fluss: Während einige der Partner Membranen mit Nanodiamanten beschichten, untersuchen andere deren Effizienz bei der Spaltung von Kohlendioxid, wenn diese dem Sonnenlicht ausgesetzt sind, und geben die Ergebnisse weiter. Wieder andere liefern die theoretischen Erklärungen für Fort- und Rückschritte sowie Hinweise für eine Bearbeitung der Diamanten, andere bringen die Ergebnisse Stück für Stück zur Anwendung. In unregelmäßigen Abständen finden Telefonkonferenzen und Workshops statt, bei denen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Ideen austauschen.

Vereinfacht gesagt werden in dem Prozess winzige synthetische Nanodiamanten auf einer ultradünnen Membran in einer Lösung mit Sonnenlicht bestrahlt; in einem sehr schnellen Prozess verlassen Elektronen bei einer bestimmten Wellenlänge des Lichts die Diamanten und knacken die Kohlendioxid-Moleküle mit den gewünschten Wirkungen. Doch wie müssen die Nanodiamanten im Idealfall beschaffen sein, um im Tageslicht als Katalysator wirken zu können, wie müssen sie angeregt werden, und welche Mengen an Kohlendioxid sollen gewandelt werden?

Emad Aziz’ Team kommt in dem Projekt die Aufgabe zu, die Prozesse in dem Diamanten in Echtzeit zu beobachten und dabei zu analysieren, wie gut verschiedene Diamantenproben jeweils geeignet sind, wenn ultrakurze Lichtimpulse auf sie treffen. Beobachtet wird nicht mit dem bloßen Auge – die Vorgänge laufen in Femtosekunden ab, also Billiardsteln von Sekunden. Die Forscher arbeiten dabei im Elektronenspeicherring BESSY II in Adlershof, einer bundesweit einmaligen Quelle für Photonen, also sogenanntes Synchrotronlicht – und am Joint LaserLab, einer gemeinsamen Einrichtung der Freien Universität und des Helmholtz-Zentrums Berlin (HZB).

Der Physiker Emad Aziz arbeitet unter anderem mit einem High Harmonic Generation Lab (HHG), das eine zeitaufgelöste Photoelektronenspektroskopie ermöglicht.

Der Physiker Emad Aziz arbeitet unter anderem mit einem High Harmonic Generation Lab (HHG), das eine zeitaufgelöste Photoelektronenspektroskopie ermöglicht.

Die angewendeten Untersuchungstechniken sind speziell für solche Herausforderungen wie die von Emad Azizs’ Team neu- und weiterentwickelt worden. Eine kommerzielle Nutzung der Nanodiamanten wird erst möglich sein, wenn der Prozess auch mit Sonnenlicht funktioniert. Daran arbeiten die Wissenschaftler des Konsortiums zurzeit.

Den Urknall für diese einzigartige europaweite Kooperation hat nach Ansicht von Emad Aziz im Jahr 2013 der Franzose Tristan Petit durch seinen Wechsel nach Berlin ausgelöst: Der am CEA in Gif-sur-Yvette südwestlich von Paris promovierte Physiker stieß im Rahmen eines Postdoktorandenstipendiums der Alexander von Humboldt-Stiftung zum Team von Aziz am Helmholtz- Zentrum und vernetzte dieses mit seinen ehemaligen Kollegen, die den Nutzen von Nanodiamanten für Anwendungen in der Biomedizin erforschen. Wie Teile in einem Puzzle fügten sich andere Institutionen schließlich zu dem zusammen, was seit Juli 2015 mit knapp 3,9 Millionen Euro von der Europäischen Union als DIACAT-Projekt gefördert wird. Tristan Petit wird mittlerweile als Freigeist Fellow der Volkswagen Stiftung am HZB-Institut für Methoden der Materialentwicklung gefördert, das Emad Aziz leitet.

Wie wird ein Sonnenkraftstoff-Reaktor aussehen, welche Größe wird er haben, was wird er kosten? Genaue Antworten auf diese Fragen kennt im Moment noch niemand im DIACAT-Verbund. Doch ein Prototyp soll im Idealfall im Jahr 2019 fertig sein. Der „Rest“ – die industrielle Umsetzung und spätere kommerzielle Nutzung – sei dann eine neue Herausforderung, sagt Emad Aziz: Wenn erst einmal der Beweis angetreten sei, dass es funktioniert, werde die Zeitspanne bis zur Marktreife ähnlich sein wie bei der Entwicklung von Photovoltaik, schätzt er. Deren intensive Erforschung begann Ende der 1980er Jahre; die Anlagen sind inzwischen erschwinglich und weit verbreitet.

Die Reaktoren der Zukunft, die Solarkraftstoff erzeugen, könnten dann also – überall, wo die Sonne scheint – das ausgestoßene Treibhausgas CO2 aus der Erdatmosphäre entfernen: Sie würden auf diese Weise zur Begrenzung der globalen Erwärmung ebenso beitragen wie Bäume.