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Abschied vom amerikanischen Traum?

Ein Präsidentschaftskandidat namens Trump, Proteste gegen Polizeigewalt, wachsende Unzufriedenheit trotz guter Wirtschaftsdaten – Wissenschaftler analysieren, warum die USA vor der Wahl so zerrissen sind.

23.09.2016

Umjubelter Hoffnungsträger. Barack Obama bei seinem Besuch 2008 in Berlin. Nicht als Präsidentschaftskandidat, sondern als Bürger sei er gekommen, sagte er damals vor Zehntausenden an der Siegessäule.

Umjubelter Hoffnungsträger. Barack Obama bei seinem Besuch 2008 in Berlin. Nicht als Präsidentschaftskandidat, sondern als Bürger sei er gekommen, sagte er damals vor Zehntausenden an der Siegessäule.
Bildquelle: Rainer Jensen/picture-alliance-dpa

Am 8. November wird in den USA gewählt, und es geht eine Ära zu Ende: Nach acht Jahren im Amt tritt mit Barack Obama der erste schwarze US-Präsident ab. Der Hoffnungsträger, der Obama des „Yes we can!“. Er hat viel erreicht, aber auch viele Hoffnungen enttäuscht. Die Vereinigten Staaten von Amerika geben zum Ende von Obamas zweiter Amtszeit ein verstörendes Bild ab: Sie erleben einen Wahlkampf der beiden unbeliebtesten Kandidaten, die je gegeneinander angetreten sind; sowohl Hillary Clinton als auch Donald Trump schlagen Unzufriedenheit und Ablehnung entgegen; es wächst die politische Polarisierung und dank Trump der offene Versuch, mit Ressentiments und Rassismus auf Stimmenfang zu gehen.

Und es ist nicht ausgeschlossen, dass der Gesundheitszustand der Kandidaten zum Zünglein an der Waage wird. Ist dies trotz oder wegen Obamas Präsidentschaft so? Und ist der derzeitige Wahlkampf nicht vielleicht nur ein Symptom für tieferliegende, krisenhafte Prozesse, die die USA derzeit durchlaufen? Der Politikwissenschaftler Christian Lammert verfolgt den Wahlkampf aus nächster Nähe:

Er betreibt ein Blog zum Thema und hat gemeinsam mit seinen Kollegen Boris Vormann und Markus B. Siewert im September 2015 das „Handbuch Politik USA“ herausgebracht, das die Eigenheiten der Politik und des Politischen in den USA ausleuchtet. Lammert, Professor of North American Politics and Policy am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin, konstatiert auf beiden Seiten des ideologischen Spektrums Enttäuschung über Obamas Politik. Zum Teil habe das mit der zunehmenden Polarisierung der politischen Positionen zu tun. Die moderate Mitte, die von der politischen Einstellung eher mit europäischen Ländern zu vergleichen sei, verschwinde mehr und mehr, die Ränder würden stärker.

„Für den rechten Flügel der Republikaner war Obama viel zu ,sozialistisch’“, sagt Lammert, „viel zu europäisch. Da würde man am liebsten alles wieder rückgängig machen, etwa Obamas Gesundheitsreform oder die Gesetze zum Klimaschutz. Hier mischt sich eine alte Stimmung gegen ‚big government’ mit rassistischen Elementen.“ Aber auch Teile der Linken seien mit Obama unzufrieden: Weil ihnen Obamas Linie nicht weit genug gegangen sei – etwa in der Gesundheitspolitik oder der Außenpolitik.

Obama habe zwar Truppen heimgeholt, aber dafür einen äußerst kontroversen Drohnenkrieg begonnen. Dass aber die Unzufriedenheit im Land ein derartig starkes Niveau erreicht hat, dass sie selbst jemanden wie Donald Trump nach oben spült, verdankt sich Lammert zufolge zwei Faktoren: Einmal einer tiefgreifenden demografischen Veränderung, die die USA gerade durchmachen, und zweitens der stetig wachsenden wirtschaftlichen Ungleichheit.

Christian Lammert spricht von einem „extremen demografischen Wandel“ – und meint damit jene Entwicklung, dank derer die ethnischen Minderheiten, allen voran Afroamerikaner und Einwohner mit hispano-amerikanischen oder spanischen Wurzeln, immer mehr an Bedeutung gewännen. Womit das weiße Amerika hadere, und wogegen es sich wehre. Für den Politikwissenschaftler Lammertwerden die demografischen Umwälzungen im Augenblick entlang der ideologischen konservativ-liberalen Bruchlinie reproduziert: „Wir haben bei den Republikanern eine Wählerkoalition aus weißen, älteren Männern, während die Demokraten sowohl bei den Minderheiten gut mobilisieren können sowie bei den jungen gut Ausgebildeten in den großen Städten, und auch bei den Frauen.“

Dies sei die vielleicht einfachste Erklärung des Phänomens Trump, betont Lammert: Er verkörpert ein Rückzugsgefecht. Ihn wählen die „grumpy white men“ – die mürrrischen weißen Männer – die es nicht ertrügen, dass sie in „ihrem“ Land nicht mehr uneingeschränkt den Ton angeben. Die Krise der Republikanischen Partei rühre teilweise auch daher, dass sie die Anpassung an den demografischen Wandel nicht schaffe, konstatiert der Politologe. Das sei aber nur einer der Gründe, warum das Establishment der Republikaner jedes Mal zurückrudere und um Schadensbegrenzung bemüht sei, wenn Trump ganze Bevölkerungsgruppen herabwürdigt, hebt Lammert hervor: „Die Parteigranden wissen, dass sie in Zukunft keine Wahl mehr für sich entscheiden können, ohne Latinos, ohne Schwarze und ohne Frauen für sich zu gewinnen.“

Allerdings wäre dieser Prozess Lammert zufolge nicht verständlich ohne die wirtschaftlichen Faktoren, die derzeit bei vielen Verunsicherung und Wut erzeugten: Trump, argumentiert Lammert, punkte vor allem bei jenen, die noch immer die Verlierer der Wirtschaftskrise 2008 sind. Es stimme zwar, dass die amerikanische Wirtschaft sich erholt habe, wenn man bloß die Makrodaten betrachte, denn die Arbeitslosigkeit sinke und die Wirtschaft wachse.

Aber, sagt Lammert, „die ganze Entwicklung befördert auch die Ungleichheit, die Einkommensschere hat sich in den USA in den letzten 30 Jahren kontinuierlich weiter geöffnet. Durch die Finanzkrise nach 2008 wurde die Ungleichheit noch einmal verstärkt.“ Und eine ganze Gruppe bleibe abgehängt, meint er: „Die Verlierer der Finanzkrise sind die, die ihr Eigenheim verloren haben, Teile ihre Altersvorsorge und die jetzt wieder von vorn anfangen müssen.“

Es sei kein Zufall, bemerkt Lammert, dass Trump in den Vorwahlen besonders in jenen Regionen stark gewesen sei, in denen die Arbeitslosigkeit zum Teil noch bei mehr als zehn Prozent liege: etwa in den Industriegebieten, die von der Finanz- und Wirtschaftskrise extrem getroffenwurden: der Stahlindustrie, dem „rust belt“ um die großen Seen. „Hier sind viele Jobs ins Ausland abgewandert, weshalb Trump mit seinen Argumenten gegen Freihandel erfolgreich ist, und mit dem Versprechen, Jobs zu schaffen oder aus dem Ausland zurückzuholen.“

Auch Irwin Collier, Wirtschaftsprofessor am John-F.-Kennedy-Institut, sieht in der Wirtschaftslage einen Grund für die anhaltende Unzufriedenheit: „Für die große Mehrheit der US-Amerikaner stagniert das reale Einkommen schon seit Jahrzehnten. Stellen Sie sich das vor: Wenn Sie so lange keine Verbesserung sehen, werden Sie einfach pessimistisch.“ Das aber sei nichts weniger als das Infragestellen des American Dream, jener unglaublich mächtigen und in den USA immer noch weit verbreiteten Idee, dass jeder beruflich erfolgreich sein könne, wenn er nur hart genug arbeite.

Politikwissenschaftler Boris Vormann, Vertretungsprofessor am John-F.-Kennedy-Institut, konstatiert: „Soziale Mobilität, also die Möglichkeit, im Laufe seines Lebens aus der Statusgruppe der eigenen Eltern aufzusteigen, ist in den USA entgegen landläufiger Meinungen heute durchschnittlich geringer als in europäischen Ländern.“ Wegen der politischen Kultur der USA werde die Ungleichheit aber überwiegend nicht als Resultat staatlicher Politik verstanden, sagt Boris Vormann, sondern als Konsequenz individuellen Handelns. Und als Folge von Marktmechanismen, die den eigenen ökonomischen Aufstieg ermöglichen sollen, ihm in Wirklichkeit aber entgegenstehen. Irwin Collier weist auf einen weiteren Aspekt hin, der die ökonomisch motivierte Unzufriedenheit betrifft.

Das, was für Collier zu den größten Leistungen Obamas zählt, ist etwas, woran sich die meisten Wähler gar nicht mehr erinnern, ein Nicht-Ereignis: „Obama hat es nach der Finanzkrise im Jahr 2008 geschafft, eine größere wirtschaftliche Katastrophe abzuwenden, eine Neuauflage der großen Depression. Aber natürlich haben die Leute das heute nicht mehr in den Köpfen, denn in der Politik geht es ja vor allem um: „What have you done for me lately?“

Collier legt den Akzent auf das „lately“: Obamas Erfolge lägen vor allem in den ersten zwei Jahren seiner ersten Amtszeit, bevor die Republikaner die Mehrheit im Kongress eroberten. Darunter etwa Obamacare, der „Affordable Care Act“, der eine Ausweitung der Krankenversicherung auf bisher unversicherte Amerikaner ermöglichte: Das sei, sagt Collier, „seit der Einführung von Medicare und Medicaid unter Lyndon B. Johnson in den 1960ern die größte Veränderung im Wohlfahrtsstaat der USA. Das ist ein Projekt, an dem viele US-Präsidenten gescheitert sind.

Obama ist es gelungen.“ Die Blockade, die das politische System seitdem kennzeichne, und immer wieder völlig lahmlege - Collier führt den Haushaltsstreit zwischen Obama und dem Kongress im Jahr 2013 an, der im „Sequester“ gipfelte, also automatischen pauschalen Ausgabenkürzungen – sei eine weitere Folge der politischen Polarisierung, die durch die Beschaffenheit des politischen Systems verstärkt werde.

Christian Lammert beschreibt es so: „Kongressabgeordnete müssen ihre Wahlkreise gewinnen. Diese Wahlkreise aber werden ideologisch immer homogener und sind immer weniger umkämpft; es sind meist sichere Sitze für die eine oder die andere Partei. Deswegen geht es eigentlich nur mehr darum, wer die innerparteilichen Vorwahlen übersteht. Dort aber gewinnen immer öfter die Kandidaten, die sich am radikalsten geben, weil die Parteiaktivisten ideologisch immer weiter an die ideologischen Ränder rücken.“ Deshalb seien gegenwärtig viele Kongressabgeordnete ideologische Hardliner, die überhaupt nicht mehr zu Kompromissen mit dem politischen Gegner bereit seien. Weil aber das politische System der „checks and balances“ auf solche Kompromisse und breite Koalitionen angelegt sei, ergebe sich ein Stillstand, eine Blockade der politischen Institutionen, argumentiert Lammert.

Die Ironie dabei sei, hebt Irwin Collier hervor, „dass das für manche Republikaner gar nichts Negatives ist, weil in ihrer Ideologie der Staat eigentlich die Dinge nur verschlimmern kann.Wenn der Staat also gar nichts macht, hat man schon halb gewonnen.“ Lösungen für drängende Probleme aber brächten die politischen Institutionen nicht auf den Weg. Diese crisis of governance, die Christian Lammert zufolge die Frage aufwirft, ob nicht die Spielregeln der amerikanischen Demokratie überhaupt einer Reform bedürfen, wird auch dem nächsten Präsidenten oder der nächsten Präsidentin der Vereinigten Staaten die Arbeit erschweren. Ganz egal, ob der Name nun Hillary Clinton oder Donald Trump lauten wird.