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Man spricht Deutsch?

Auf einer Konferenz an der Freien Universität zur Vielfalt der Sprachen in Berlin wurde gezeigt, wie eloquent die Hauptstadt ist

02.12.2016

Ferdinand von Mengden erinnert sich an eine typische Szene in einem Integrationskurs für Zugereiste: „Da sitzen Menschen, die bis zum ersten Unterrichtstag mit Arabisch, Russisch oder Englisch in Berlin sehr gut zurechtgekommen sind.“ Wenn man dann behaupte, in Deutschland müsse man Deutsch sprechen, gehe das an deren Realität völlig vorbei. Der Anglistikprofessor glaubt trotzdem nicht, dass es nötig sei, Druck auf die Einwanderer auszuüben. Die meisten wollten Deutsch lernen: „Eine angesehene Sprache zu beherrschen, ist wie der Besitz eines Führerscheins: Man braucht die Fähigkeit nicht unbedingt, aber sie eröffnet völlig neue Möglichkeiten.“

Von Mengden und seine Fachkolleginnen Theresa Heyd und Britta Schneider, beide promovierte Anglistinnen am Institut für Englische Philologie der Freien Universität, haben das unterschiedliche soziale und ökonomische Prestige, das mit bestimmten Sprachen verbunden wird, schon länger im Blick. Jetzt aber wollen sie weitergehen und das linguistische Wissen in die öffentliche Debatte tragen. „Bei der Frage, wie sich das Deutsche verändere, kommen immer die gleichen Antworten, es wird schnell emotional und sehr intuitiv“, sagt der Linguist. Mit der Konferenz „The Sociolinguistic Economy of Berlin“ die kürzlich an der Freien Universität stattfand und zu der neben Linguisten auch Anthropologen, Ethnologen und Soziologen eingeladen waren, die den Sprachengebrauch in Berlin untersuchen, sollte ein neuer Ansatz etabliert werden. Von diesem, so von Mengden, könnte auch die Politik profitieren: „Wenn wir uns gezielt ansehen, was in Berlin auf engstem Raum mit Sprachen und sprachlichen Varietäten passiert, eröffnen sich ganz neue Perspektiven.“ Durch die interdisziplinäre Betrachtung wurden gleich Forschungslücken sichtbar: Offensichtlich untersucht zum Beispiel niemand den Sprachgebrauch der zahlreichen kurdisch- oder polnischsprachigen Berliner. Was aber auch deutlich wurde: Viele Menschen wechseln in ihrem Alltag äußerst eloquent zwischen den Sprachen hin und her. Und das nicht nur, um verstanden zu werden.

Ein gutes Beispiel sei das „Kiezdeutsch“. In der Öffentlichkeit wird es als moderner Mix aus verschiedenen Sprachen mit stark vereinfachter Grammatik betrachtet und gerne als „Unterschichten-Deutsch“ stigmatisiert. Eine Bewertung, die Linguisten grundsätzlich ablehnen: Für sie sind alle Sprachvarianten – ob Standarddeutsch, Kiezdeutsch oder Dialekte – zunächst gleichwertig: „Erst die Verwendung in Bildungseinrichtungen und Medien macht eine Varietät zum Standard. Das lässt dann eine Hierarchie entstehen, was als gutes und was als schlechtes Deutsch angesehen wird.“ Auch Jugendliche sind von Mengden zufolge durchaus in der Lage, anders zu reden – sie wollten untereinander aber lieber Kiezdeutsch sprechen. Und das enthält nicht so sehr arabische und türkische Elemente, sondern vieles, was für deutsche Dialekte typisch ist: Eine artikellose Präpositionalphrase wie „Ich geh’ zu Schule“ tauche etwa schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin oder auch im Ruhrgebiet auf, sagt von Mengden. Oder die heute gängige Wendung „Ich steige Charlottenburg aus“, bei der auf die Präposition „in“ verzichtet werde.

„Sprache lässt sich nicht steuern, nicht einmal in Diktaturen“

Kreativer Umgang mit Sprache sei vor allem in Europa schlecht angesehen, sagt Ferdinand von Mengden. In den meisten Ländern dort hätte die jeweilige Standardsprache im 18. und 19. Jahrhundert bei der Nationenbildung geholfen. Was von der Norm abwich, wurde stigmatisiert. Die Folgen spüren nicht nur Jugendliche etwa aus den Berliner Bezirken Neukölln oder Wedding bis heute, sondern auch alle, die in der Schule Fremdsprachen gelernt haben, sie dann aber aus Angst vor Fehlern nicht sprechen.

Ein Ergebnis der Konferenz: Der Berliner Schmelztiegel fördert einen entspannteren Umgang mit Sprachen. Junge Menschen aus aller Welt genießen die Coolness des Englischen, Arabisch im Falafel-Laden fördert den Umsatz, und im Lichtenberger Dong Xuan Center – Berlins größtem Asiamarkt – fragt man sich mit Händen und Füßen zur richtigen Plastikpalme durch. „In Berlin ist es unmöglich, nichts von anderen Sprachen mitzubekommen. Und das verändert wiederum die eigene Sprache“, erläutert Ferdinand von Mengden. Wie – das wollen die Linguisten noch genauer untersuchen. Von Mengden hat etwa beobachtet, dass englische Muttersprachler, die in Berlin leben, bereits „Handy“ sagen statt „mobile phone“: „Solche Phänomene sind interessant“, sagt der Wissenschaftler: „Wir gehen davon aus, dass sich durch Tourismus, Globalisierung und das Internet gerade lokale Variationen des Englischen außerhalb des ehemaligen britischen Kolonialreiches bilden.“ Wenn das stimme, wären die Expats in Neukölln ganz vorne mit dabei.

Berlin ist multilingual und weltgewandt – was zunächst einmal gut klingt. Aber von Mengden sieht durchaus auch Probleme. Da sind einerseits diejenigen, die sich in ihrem Kiez fremd fühlen, weil kaum noch jemand Deutsch zu sprechen scheint. Und die anderen, die wiederum gar nicht nachvollziehen können, dass manche Menschen nie die Chance hatten, zu reisen und Sprachen zu lernen. „Das Unverständnis ist gegenseitig“, sagt der Linguist. Dass es beispielsweise in rechtskonservativen Kreisen Tendenzen gebe, die Sprache reglementieren zuwollen, sollte Integrationspolitiker nicht nervös machen, sagt von Mengden. Steuern lasse sich der Sprachgebrauch sowieso nicht – nicht einmal in Diktaturen. Der Wissenschaftler plädiert für mehr Gelassenheit und formuliert einen Wunsch an die Politik: „Sie muss es schaffen zu vermitteln, dass Vielseitigkeit die lokale Kultur nicht etwa bedroht, sondern das sprachliche Repertoire der Menschen enorm bereichert.“