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Zielgenau gegen den Schmerz: Forscher bauen am Computer neue Medikamente

14.04.2016

Den Schmerz ausschalten und Nebenwirkungen weitestgehend vermeiden – was für den Anästhesisten Christoph Stein von der Charité zum Berufsalltag gehört, lässt ihn auch als Wissenschaftler nicht los. Seit mehr als 25 Jahren erforscht der Mediziner die Wirkungsweise von Opioiden, den am stärksten wirksamen Schmerzmitteln. Nun haben er und der Mathematiker Marcus Weber vom Zuse-Institut Berlin (ZIB) einen Wirkstoff entworfen, der die Schmerztherapie revolutionieren könnte.

„Lange Zeit ging man davon aus, dass Opioide nur zentral wirken, also im Gehirn“, erklärt Stein. Hier binden die Moleküle an die sogenannten Opioid-Rezeptoren. Die Folge: Der Schmerz wird ausgeschaltet. Allerdings kommt es auch zu erheblichen Nebenwirkungen wie Suchtentwicklung oder sogar Atemstillstand. „Diese Nebenwirkungen entstehen im Gehirn. Im Rahmen unserer Forschung fanden wir heraus, dass Opioid-Rezeptoren nicht nur im Gehirn, sondern im gesamten Körper vorkommen.“ Die chemische Umgebung jedoch sei im gesunden Gewebe eine andere als im entzündeten. „Unsere Hypothese war daher, dass die Rezeptoren dort, wo der Schmerz entsteht, eine andere dreidimensionale Gestalt haben.“

Um diese strukturellen Unterschiede zu erforschen, wandte sich Stein an den Mathematiker Marcus Weber, der am ZIB eine Arbeitsgruppe zur Simulation molekularer Strukturen leitet. „Das ist ein bisschen wie Textaufgaben ohne Lösungsweg rechnen“, sagt Weber lachend. „Diese Prozesse sind extrem komplex, und man muss sehr frustrationsresistent sein.“ Dennoch gelang es Weber und seinem Team schließlich, die dreidimensionale Struktur des Opioid-Rezeptors zu simulieren und einen Designvorschlag für den Rezeptor im entzündeten Gewebe zu machen. Ferner simulierten die Mathematiker den Bindungsprozess eines Schmerzmittelmoleküls.

Bald entstand die Idee, ein Schmerzmittel zu entwickeln, das ausschließlich an Opioid-Rezeptoren in entzündetem Gewebe bindet. Hierfür fanden Stein und Weber eine elegante Lösung: Sie tauschten bei einem gängigen Schmerzmittel ein einziges Atom aus. „Durch diesen Austausch verändert sich die Form des Moleküls derart, dass es wohl tatsächlich nur noch an Opioid-Rezeptoren in entzündetem Gewebe bindet", sagt Weber. Im Tierversuch erwies sich das neuartige Schmerzmittel bereits als äußerst vielversprechend.

„Wir schließen daraus, dass das von uns entwickelte Medikament tatsächlich lokal und zielgenau den Schmerz stillt, ohne die üblichen Nebenwirkungen im Gehirn auszulösen“, erläutert Marcus Weber. Ein Patent haben die Forscher bereits erhalten. Nun sind sie auf der Suche nach Partnern, um das Schmerzmittel in einer klinischen Studie testen zu können. „Bis die Wirkung des Schmerzmittels am Menschen geprüft werden kann, vergehen sicherlich noch ein bis zwei Jahre“, sagt Christoph Stein. „Die bisherigen Ergebnisse stimmen uns aber sehr zuversichtlich.“