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Alter Orient neu entdeckt

Die Forschungsarbeit am Institut für Vorderasiatische Archäologie setzt 10 000 v. Chr. an

18.05.2015

Wie lebten die Menschen im Alten Orient? Was für Vorstellungen von Geschichte und Religion hatten sie? Wie pflegten sie Freundschaften? Welches Wirtschaftssystem hatten sie? All das sind Fragen, mit denen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Institut für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität Berlin beschäftigen. Im Gegensatz zur Nachbardisziplin, der Altorientalistik, die mit Textquellen arbeitet, beschäftigt sich die Vorderasiatische Archäologie mit allen materiellen Spuren der Vergangenheit. Dies schließt neben den traditionell im Mittelpunkt stehenden Kunstgegenständen wie Reliefs auch Alltagsgegenstände wie Keramik und Werkzeuge ein.

„Die Altorientalisten beherrschen die Sprachen des Alten Orients“, sagt Reinhard Bernbeck, Professor am Institut. „Sie können die Keilschrifttexte entziffern, die wir bei unseren Grabungen finden. Unser Fach ist aber nicht nur auf die schriftliche Zeit festgelegt, die im 4. Jahrtausend v. Chr. beginnt. Wir untersuchen auch insgesamt 7000 Jahre vor der Schrift, mit denen man methodisch etwas anders umgehen muss.“ Am Institut arbeiten neben Reinhard Bernbeck noch zwei Professoren: Institutsleiter Dominik Bonatz und Susan Pollock. Die Forschungsarbeiten decken eine große Zeitspanne ab: von 10000 v.Chr., dem Neolithikum, als die frühen Jäger und Sammler begannen, sesshaft zu werden, bis hinein in die Zeit von Alexander dem Großen – etwa 300 v.Chr. – und die Zeit der Imperien der Parther und Sasaniden. Auch geografisch ist das Untersuchungsgebiet riesig und erstreckt sich vom Kaukasus bis zum Jemen und von der Türkei bis nach Pakistan.

Dominik Bonatz lehrt seit 2003 Vorderasiatische Archäologie. Für ihn liegen die zunehmenden Anforderungen an das Fach im Bewahren eines kulturellen Bewusstseins, das vor keinen politischen Grenzen haltmacht. Archäologie ist nicht allein eine Wissenschaft des Ausgrabens, sondern regt insbesondere in den krisenerschütterten Regionen des Vorderen Orients zu Dialogen über den Umgang mit Kulturgütern und ihre soziale Bedeutung an.

Reinhard Bernbeck und Susan Pollock sind im Jahr 2009 aus den Vereinigten Staaten an die Freie Universität Berlin gekommen. Daher unterscheidet sich ihre Forschungspraxis von deutschen Gewohnheiten, die stärker an einem festen Wissensbestand orientiert sind. „In den USA umfasst das Fach auch die physische Anthropologie, Ethnologie und Linguistik und ist stärker vergleichend ausgerichtet“, erläutert Reinhard Bernbeck. „Ich möchte den Studierenden einen kritischen Blick beibringen und nicht nur Fakten vermitteln. Wir müssen über kulturell größere Problemfelder nachdenken.“

Wenn der Wissenschaftler ein Gebäude im alten Orient ausgräbt und untersucht, dann fragt er nicht nur nach dessen spezifischer historischer Bedeutung, sondern sucht auch nach zeitübergreifenden Zusammenhängen. „Ich bringe den Studierenden immer bei, dass wir bei der Geschichtsschreibung – ob gewollt oder nicht – eine Verbindung herstellen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart.“