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Feilschen um Milliarden

Politikwissenschaftlerin der Freien Universität Berlin nimmt die Optionen von Krisenstaaten beim Verhandeln um Kredite mit der Troika unter die Lupe

11.02.2015

„Raube, um Geld zu haben“ steht in roter Farbe und griechischer Schrift an der Mauer der Bank von Griechenland in Athen, deren währungspolitische Rolle 2001 mit der Einführung des Euro die Europäische Zentralbank übernahm.

„Raube, um Geld zu haben“ steht in roter Farbe und griechischer Schrift an der Mauer der Bank von Griechenland in Athen, deren währungspolitische Rolle 2001 mit der Einführung des Euro die Europäische Zentralbank übernahm.
Bildquelle: epa/Alkis-Konstantinidis

Die Wahlen in Griechenland und die erneuten Gedankenspiele darüber, das Land aus dem Euro aussteigen zu lassen, haben dem Forschungsvorhaben von Susanne Lütz eine ungeahnte Aktualität verschafft. Die Professorin für Internationale Politische Ökonomie am Otto- Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin hatte gerade die Bewilligung ihres ambitionierten Projekts auf dem Schreibtisch, als Griechenland – das bis dahin als auf einem guten Weg galt – plötzlich wieder in die Schlagzeilen geriet. Gemeinsam mit ihrem Team wird Lütz in den nächsten drei Jahren der Frage nachgehen, welche Verhandlungsmöglichkeiten europäische Länder haben, die auf Kreditprogramme der sogenannten Troika angewiesen waren – oder es noch sind.

Als Troika werden seit der Finanzkrise in Europa die Vertreter von Europäischer Kommission (EUK), Internationalem Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) gesehen, die gemeinsam Kreditprogramme für die am stärksten verschuldeten Länder ausarbeiteten und umsetzten. Bis auf Griechenland und Zypern sind die Hilfsprogramme für Staatskredite in allen anderen Ländern – Lettland, Irland und Portugal – mittlerweile abgeschlossen. Das mache die Forschung leichter, sagt Susanne Lütz, denn nun könnten die Protagonisten offen über ihre Verhandlungstaktiken reden.

In einer Vorstudie für das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 450.000 Euro finanzierte Projekt war das noch anders: Damals liefen die Verhandlungen mit Portugal noch. Anfragen der Arbeitsstelle für Internationale Politische Ökonomie aus Berlin an die Troika seien abgewiesen worden, weil die Sorge bestanden habe, eine Veröffentlichung könne bereits die Machtgewichte verschieben, berichtet Susanne Lütz.

Bislang wurde meist über Kredite für Entwicklungsländer geforscht

Genau das aber untersucht das Team: Welche Optionen haben die Nehmerländer – prinzipiell die „schwächeren“ Partner, denn sie brauchen ja das Geld der Troika –, um sich Spielräume bei den oft rigiden Sparauflagen oder Kreditbedingungen zu erstreiten? Grundsätzlich sei dazu schon viel geforscht und publiziert worden, sagt Susanne Lütz. Doch die untersuchten Projekte hätten sich meist auf Kredite des Internationalen Währungsfonds für Entwicklungsländer bezogen. Dort herrschten aber ganz andere Bedingungen als in Europa. Oft seien in diesen Ländern autokratische Herrscher an der Macht, die vom IWF festgelegte Konditionen in ihrem Land einfach durchsetzen könnten, erläutert die Politikwissenschaftlerin.

Innerhalb des Staatenbundes und Binnenmarktes der Europäischen Union – und insbesondere innerhalb der Währungsgemeinschaft des Euro – lägen die Dinge jedoch anders. Ob das bei den Verhandlungen von Vor- oder Nachteil ist, möchte das Forscherteam in den nächsten drei Jahren erkunden. Zwei Doktoranden und zwei studentische Hilfskräfte unterstützen Susanne Lütz dabei. Neben Forschungsberichten und wissenschaftlichen Artikeln in einschlägigen Fachzeitschriften, die vom Team verfasst werden, würde sie am Ende auch gern ein Buch über die strategischen Optionen der Nehmerländer in der Eurokrise schreiben.

Im Mittelpunkt der Forschungsarbeit stünden Interviews mit den entscheidenden Akteuren, also den Entscheidern in den Schuldenstaaten und in der Troika, sagt die Professorin. Vorher arbeitet sich das Team anhand von Protokollen der Troika und der Regierungen der Länder, anhand von Verträgen und wirtschaftlichen Basisdaten so tief wie möglich in die Materie ein, um dann gezielt fragen zu können.

Welche Strategien für welches Land?

Auch zwei Tagungen zum Thema stehen auf dem Programm. Da das Projekt gerade erst startet, ist es für erste Ergebnisse noch zu früh. „Doch natürlich zeigen sich nach dem Sichten von Presseberichten und Sitzungsprotokollen bereits erste Hypothesen“, sagt Susanne Lütz. Zu den Strategien der Nehmerländer, um die Konditionen zu verbessern, könnte es zum Beispiel gehören, Zwietracht zwischen den Akteuren in der Troika zu säen. Zwar wurde die Troika gegründet, damit die drei großen Geldgeber nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Aber dennoch sei auch innerhalb des Dreier-Gespanns oft um das richtige Vorgehen gestritten worden.

So habe etwa der IWF empfohlen, Lettland in den Euro aufzunehmen, obwohl das Land zur Zeit der Verhandlungen nicht die nötigen Stabilitätskriterien erfüllte. Die EU-Kommission indes sei strikt dagegen gewesen, mit dem Argument, die Regeln für Euro-Staaten müssten stets die gleichen sein, sonst statuiere man ein schlechtes Beispiel. Im Falle von Griechenland zeigt sich eine weitere Strategie, die insbesondere in demokratischen Staaten zum Tragen kommt. Susanne Lütz nennt sie die „Strategie der gebundenen Hände“. Eine demokratisch gewählte Regierung kann sich darauf berufen, dass sie im Falle von zu harten Sparauflagen zugunsten einer links- oder rechtsradikalen Regierung abgewählt würde – und diese radikale Gruppierung dann gar keine Schulden mehr zurückzahle. Daran wiederum könnten Länder wie Deutschland oder Frankreich – deren Banken beispielsweise bei einer Pleite Griechenlands noch vor Jahren existenzielle Probleme bekommen hätten – nicht interessiert sein, sagt Susanne Lütz.

Ähnlich sei es in Lettland mit schwedischen Banken gewesen. Ein drittes Beispiel: In Portugal wurden vom dortigen Verfassungsgericht viele Sparauflagen für nicht zulässig erklärt, sodass die Regierung sich auf die Position zurückziehen konnte: „Wir würden die Bedingungen ja annehmen, wir dürfen es aber nicht.“ Die strategischen Möglichkeiten in Europas Demokratien seien möglicherweise nicht besser oder schlechter als in autokratisch regierten Entwicklungsländern, es seien aber deutlich andere, sagt Susanne Lütz.

Welche Strategien sich für welches Land und zu welchem Zeitpunkt als besonders gut oder schlecht erwiesen haben, das möchte die Professorin am Ende des Projekts herausgefunden haben. Möglicherweise ist bis dahin auch für Griechenland eine Lösung gefunden. Von den fünf untersuchten Ländern ist der Mittelmeerstaat für längere Zeit das einzige, bei dem sich die Verhandlungstaktiken noch während der Laufzeit des Forschungsprojektes beobachten lassen. Ein Experiment unter Realbedingungen also, bei dem die Wissenschaftler in der ersten Reihe sitzen.