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Der Ball ist rund - wirklich?

12.06.2014

Was Fußball mit Mathematik zu tun hat

"Das Runde muss ins Eckige" wird es in den kommenden vier Wochen wieder heißen, wenn der Fußball die Welt regiert. Üblicherweise wird der Spruch für ein Fußball-Motto gehalten, das Alt-Bundestrainer Sepp Herberger zugeschrieben wird. In Wirklichkeit ist es reine Mathematik. So spielt "Das Runde muss ins Eckige" eine Rolle im Sonderforschungsbereich "Diskretisierung in Geometrie und Dynamik", in dem Wissenschaftler der Technischen und der Freien Universität Berlin sowie der Technischen Universität München unter anderem die Konstruktion von gekrümmten Strukturen aus flachen, aber eckigen Bauteilen studieren. Dabei darf man zum Beispiel an geschwungene Strukturen aus ebenen Glasscheiben denken, wie wir sie in schöner Vielzahl in der Stadt bewundern können – etwa über dem Hauptbahnhof oder an den beiden Kuppeln, die der Architekt Lord Norman Foster für Berlin entworfen hat: der Kuppel auf dem Reichstag und der über der Philologischen Bibliothek der Freien Universität in Dahlem.

"Das Runde muss ins Eckige" gilt aber auch, wenn vor und während der Fußball-Weltmeisterschaft der Sport in statistische Datenkunstwerke gepresst wird, die – so ist zu befürchten – hauptsächlich als galante Ausredenproduktionsmaschinen für verlorene Spiele dienen, wie etwa kürzlich nach dem Hinspiel des Halbfinales der Champions League zwischen Bayern München und Real Madrid. Das Spiel hatten die Bayern ganz klar nach Zahlen dominiert: 72 Prozent Ballbesitz, 57 Prozent gewonnene Zweikämpfe, ein Eckenverhältnis von 15:3. Aber sie verloren es eben leider trotzdem mit 0:1. Dabei gilt auch nicht die alte Ausrede "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast". Was nützt eine "Regenwahrscheinlichkeit unter 10 Prozent", wenn es trotzdem gießt? Beim Sport wie im richtigen Leben gilt: Misstrauen Sie der Statistik!

Wir sind den Zahlen nicht schutzlos ausgeliefert, man muss sie weder glauben noch akzeptieren. Mathematik ist kein Zuschauersport, sondern eine Angelegenheit zum Mitmachen. Wer sich darauf beruft, seit der Schule keine Mathematik mehr betrieben zu haben, der irrt! Und wer behauptet, Angst vor Mathematik zu haben, nimmt womöglich gar nicht wahr, dass wir alle regelmäßig und erfolgreich (!) Mathematik betreiben. Zum täglichen Mathe-Machen gehört nicht nur das Sudoku in der Zeitung und die Interpretation der Regenwahrscheinlichkeiten im Wetterbericht, auch Einparken und Lotto sind Mathematik. Für unser Selbstvertrauen im Umgang mit Alltagsmathematik gilt wie für den Elfmeterschützen im Fußball: Zu allen Faktoren (Faktoren? Achtung: Mathe!) gehört immer Psychologie.

Aber auch der Fußball selbst ist ein faszinierendes mathematisches Objekt von großer kunsthistorischer Bedeutung. "Der Ball ist rund" ist eine Fußballerweisheit, "der Ball ist kugelförmig" ist eine mathematische FIFA-Regel. Im traditionellen Telstar-Design der Firma adidas (aus den WM-Turnieren 1970 in Mexiko und 1974 in der Bundesrepublik) wird der Fußball aus zwölf schwarzen Fünfecken und 20 weißen Sechsecken zusammengenäht. Mathematisch haben wir es mit dem abgestumpften Ikosaeder zu tun, also einem "archimedischen Körper": Das ist ein Körper, der aus regelmäßigen Polygonen zusammengesetzt ist (hier eben Fünfecke und Sechsecke) und an dem alle Ecken gleich aussehen (hier nämlich stoßen an jeder Ecke ein Fünfeck und ein Sechseck zusammen).

Die Beobachtung, dass man Polyeder wie den Telstar-Fußball als ein sogenanntes Netz auf einer Ebene ausbreiten kann, verdanken wir dem Maler und Mathematiker Albrecht Dürer. Damit einher ging das mathematische Problem, ob sich denn jedes Polyeder entlang von Kanten so auftrennen lässt, dass das Polyedernetz ohne Überlappungen in der Zeichenebene zu liegen kommt. Bis heute ist diese Frage ungelöst!