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„Man kommt an dieser Region nicht vorbei“

19.02.2014

Eine enge Zusammenarbeit besteht mit der Kairo Universität, einer der größten und renommiertesten Universitäten Ägyptens und der Region. Hier zu sehen ist das Hauptgebäude der Kulturwissenschaftlichen Fakultät.

Eine enge Zusammenarbeit besteht mit der Kairo Universität, einer der größten und renommiertesten Universitäten Ägyptens und der Region. Hier zu sehen ist das Hauptgebäude der Kulturwissenschaftlichen Fakultät.
Bildquelle: Florian Kohstall

Die Repräsentanz der Freien Universität ist ein Knotenpunkt für wissenschaftliche Kooperationen im Nahen Osten.

Kurz nach Gründung des Verbindungsbüros der Freien Universität Berlin in Kairo begann der arabische Frühling. Für die Hochschulen in der Region bedeutete das zugleich Aufbruch und Unsicherheit. Ein Gespräch mit Florian Kohstall, promovierter Politologe und Leiter des Verbindungsbüros, über die großen Chancen des Wandels für Wissenschaftler und Studenten in der Region und an der Freien Universität.

Herr Kohstall, Sie leiten das Verbindungsbüro seit 2010. In dieser Zeit ist Ägypten nicht zur Ruhe gekommen. Haben Sie manchmal Angst, wenn Sie auf die Straße gehen?

Dieses Jahr, am 25. Januar, dem Jahrestag der Revolution, bin ich tatsächlich lieber zu Hause geblieben. Die Stimmung zwischen Befürwortern und Gegnern der Militärherrschaft ist aufgeheizt, und an solchen Tagen kann die Lage eskalieren. Sonst können wir aber relativ ungestört arbeiten: Das Verbindungsbüro liegt zwar nicht weit vom Tahrir-Platz entfernt, aber indem ruhigen Stadtteil Zamalek auf der Nil-Insel Gezirah.

Warum sind die ägyptischen Universitäten so interessante Kooperationspartner für deutsche Hochschulen?

Dass man an dieser Region nicht vorbei kommt, zeigt, dass nach der Freien Universität inzwischen drei weitere deutsche Universitäten, die TU Berlin, die TU München und die Philipps-Universität Marburg, Außenbüros in Kairo eröffnet haben. Die Freie Universitätwar Vorreiterin mit ihrem bundesweit einzigartigen Schwerpunkt in den Geistes- und Sozialwissenschaften, die sich mit dem Nahen Osten beschäftigen – also der Islamwissenschaft, Arabistik und Politikwissenschaft. In diesen Fächern bestehen seit Jahrzehnten gute und intensive Kooperationen, an die wir anknüpfen, sodass wir das Spektrum der Zusammenarbeit inzwischen erweitern konnten: beispielsweise auf die Meteorologie und die Veterinärmedizin.

Insgesamt gibt es nun mehr als ein Dutzend Kooperationsprojekte. Noch haben diese Projekte meist einen lokalen Bezug. So beschäftigen sich dieVeterinärmediziner etwa mit Fragen der Rinderzucht in der Region. Unser langfristiges Ziel ist es, dass Wissenschaftler auch in ortsunabhängigen  wissenschaftlichen Fragestellungen etwa in der Physik oder der Medizin kooperieren. Da diese Wissenschaftler in der Regel keine Experten für die arabische Region sind, beraten wir sie im Verbindungsbüro und helfen dabei, auch in politisch unsicheren Zeiten eine stabile Zusammenarbeit aufzubauen.

Politikwissenschaftler Florian Kohstall leitet das Verbindungsbüro der Freien Universität Berlin in Kairo.

Politikwissenschaftler Florian Kohstall leitet das Verbindungsbüro der Freien Universität Berlin in Kairo.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Können die Universitäten in Ägypten im Moment überhaupt richtig arbeiten?

Der Transformationsprozess hat auch die Universitäten und die Studierenden ergriffen. Studenten waren gewissermaßen die Speerspitze der Revolution und forderten an den Universitäten mehr Mitspracherechte. Sie haben erreicht, dass sie ihre Studierendenvertreter wieder selbst wählen dürfen. Auch wenn die ägyptischen Universitäten im Mittelpunkt der Umwälzungen stehen, ist bislang kein Semester ausgefallen.

In diesem Jahr wurde aufgrund des Verfassungsreferendums das Wintersemester verkürzt, und das Sommersemester fängt früher an. Wir merken jedoch, dass sich das politische Klima ändert. Seit dem vergangenen Jahr ist die Zusammenarbeit schwieriger geworden,weil sich zum Beispiel die Universitätsverwaltungen unsicher sind, wie weit ihr Handlungsspielraum geht.

Sie haben die ägyptische Revolution auch zum Thema einer Diskussionsreihe gemacht. Wie hat sich die Reihe entwickelt?

Mit der Diskussionsreihe, die eine Kooperation mit dem Orientinstitut Beirut und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) ist, haben wir direkt nach dem Umsturz 2011 begonnen, umpolitische Themen aus wissenschaftlicher Perspektive zu beleuchten. Auf dem Podium sitzen jeweils ein deutscher und ein ägyptischer Forscher, und die beiden diskutieren über Themen wie Verfassungsänderungen, die Rolle der Frauen in der Revolution oder die Wirtschaftslage in Ägypten. Dieser Austausch trägt zum wechselseitigen Verständnis der Wissenschaftler bei und war auch die Initialzündung für weitere Kooperationen.

Das Büro der Freien Universität teilt sich das Gebäude mit dem Deutschen Wissenschaftszentrum, wir arbeiten mit acht weiteren Organisationen, darunter sind der DAAD und die Alexander von Humboldt-Stiftung, Tür an Tür. Das bedeutet kurze Wege zu möglichen Stipendiengebern und hilft bei der Organisation gemeinsamer Veranstaltungen.

Um Studierende und Nachwuchswissenschaftler zu erreichen, nutzen sie auch ungewöhnliche Veranstaltungsformate wie Science Slams ...

... mit großem Erfolg. Beim ersten Science Slam im Rahmen der „Deutschen Wochen“ in Kairo haben vier Doktoranden der Freien Universität den Saal gerockt – anders kann man es nicht sagen. Für ägyptische Studierende und Doktoranden ist ein solch direkter Kontakt zur Universität entscheidend: Ein Studium oder eine Promotion im fernen Berlin rückt dadurch in greifbare Nähe.

Seit der Gründung des Büros hat sich deshalb der Austausch von Studierenden und Doktoranden von der Freien Universität Berlin und den ägyptischen Hochschulen deutlich intensiviert. 36 junge Ägypter promovieren zurzeit an der Freien Universität, sieben davon in Programmen der Dahlem Research School, der Dacheinrichtung für strukturierte Promotionsprogramme an der Freien Universität.

Wie erleben aus Ihrer Sicht ägyptische Studentinnen, Studenten, Doktorandinnen und Doktoranden die Freie Universität Berlin?

Ihnen fallen sofort die Diskussionskultur und die grundsätzliche Aufgeschlossenheit der Professoren auf. Die ägyptischen Universitäten sind selbst im Vergleich zu den großen deutschen Universitäten riesige Tanker: Die Universität Kairo hat 250 000 Studierende! In Vorlesungen und Seminaren sitzen dort oft mehrere Hundert Teilnehmer, und es findet nahezu ausschließlich Frontalunterricht statt. Eines unserer Ziele im Verbindungsbüro ist es, langfristig auch zur Verbesserung der Lehr- und Lernbedingungen an den ägyptischen Hochschulen beizutragen.

So fördern wir ein Austauschprogramm zwischen Studierendenvertretern von verschiedenen ägyptischen Universitäten und der Freien Universität Berlin. Gerade waren in diesem Rahmen 14 Studierende aus Alexandria in Berlin zu Gast; sie haben sich über die Geschichte der deutschen Studentenbewegung informiert. Außerdem sind wir an einem Projekt zu mehr Geschlechtergerechtigkeit an ägyptischen Hochschulen beteiligt.

In einigen Kooperationen wird nicht nur gemeinsam geforscht: Es geht auch um neue Lehrinhalte und -formen. Ein Projekt in den Kommunikationswissenschaften zielt darauf ab, die sieben besten Institute dieses Faches in der Region in einem Netzwerk zu vereinen. Auch das ist eine Aufgabe unseres Büros: die Freie Universität im gesamten arabischen Raum sichtbar zu machen.

Ägypten steht gerade wieder vor Präsidentschaftswahlen. Was ist Ihr Wunsch an den neuen Regierungschef in der Bildungs- und Forschungspolitik?

Die Universitäten, die bislang von der Regierung kontrolliert wurden, brauchen mehr Entscheidungsfreiheit. Um in Zukunft international anschlussfähige Forschung betreiben zu können, müssen sie selbst gestalten können. Dazu gehört beispielsweise, wie sie den ungeheuren Studentenzahlen begegnen: Bislang bleiben noch zu viele wissenschaftliche Talente in der Masse der Studierenden unentdeckt.

Das Interview führte Nina Diezemann

Weitere Informationen

Im Internet: www.fu-berlin.de/cairo