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Das Kleinste kommt groß raus

29.11.2013

An der Freien Universität schaffen Wissenschaftler die winzigsten aller Welten: Sie entwickeln Nanostrukturen und damit die Grundlage neuer Materialien für Medizin und Elektronik

Früher war die Wissenschaft oft ein sehr einsames Unterfangen. Heute fordert sie echte Team-Arbeit: Wenn Chemie-Professor Rainer Haag überprüfen möchte, ob seine für das menschliche Auge unsichtbaren Nanotransporter tatsächlich medizinische Wirkstoffe in die unteren Schichten der menschlichen Haut befördern, ist er auf die Unterstützung seiner Kollegen aus der Pharmazie und Physik angewiesen. Die Physikerin Professor Stephanie Reich etwa kann mithilfe der Spektroskopie und sogenannter nah infraroter Wellen einzelne Kohlenstoffnanoröhren sichtbar machen, um zu überprüfen ob Rainer Haags Nanotransporter funktionieren.

„Durch die Focus Area NanoScale sind die Grenzen zwischen unseren beiden Fachbereichen aufgebrochen worden“, sagt die Physikerin und Chemiker Haag ergänzt: „Es ist faszinierend, wie viele neue Forschungsansätze wir bereits fachübergreifend verfolgen.“ Fünf dieser Forschungsschwerpunkte gibt es mittlerweile an der Freien Universität, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über Disziplingrenzen hinweg zusammenarbeiten.

Die Focus AreaNanoScale wurde 2008 geschaffen, ein Jahr, nachdem die Freie Universität im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder für ihr Zukunftskonzept ausgezeichnet worden war. Die Idee damals war es, mehrere Focus Areas als Plattformen für die Entwicklung von Forschungsideen zu etablieren; von dort aus sollten fachbereichsübergreifende Projekte angeschoben werden. „Wir waren die erste Gruppe von Instituten, die sich innerhalb der Freien Universität zu einer Focus Area zusammengeschlossen hat“, sagt Rainer Haag nicht ohne Stolz. Mittlerweile zählt NanoScale knapp 120 Mitglieder, zahlreiche Nachwuchswissenschaftler und mehr als 50 Kooperationsprojekte wurden aus den Mitteln der neuen Plattform bislang gefördert. „Bis ins Jahr 2015 werden insgesamt rund vier Millionen Euro in unsere Verbundforschungsprojekte geflossen sein“, sagt Stephanie Reich, die als Sprecherin der Focus Area viel Koordinierungsarbeit leistet.

Insgesamt fünf Sonderforschungsbereiche und ein sogenanntes Helmholtz Virtuelles Institut haben sich unter dem Dach der Focus Area entwickelt, eine in Deutschland wohl einzigartige Ansammlung naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung, in der Biologen, Pharmazeuten, Veterinärmediziner und Informatiker, Physiker, Mediziner und Mathematiker eng zusammenarbeiten.

Auf vier Forschungsfelder konzentriert sich die Arbeit der Wissenschaftler: In der „Nanomedizin“ suchen sie medizinisch nutzbare Nanomaterialien, beispielsweise Molekülanordnungen, in denen sich schwer wasserlösliche oder nebenwirkungsreiche Medikamente im Körper direkt zum Ort der Ursache einer Krankheit transportieren lassen und erst dort ihre Wirkung entfalten.

Unter „Hybriden Systemen“, dem zweiten Feld, versteht man die neuartige Kombination verschiedener Moleküle und Nanoteilchen. Diese Nanomaterialien verändern ihre Eigenschaften, wenn man ihre Größe oder Form variiert. Beispielsweise leuchten Halbleiter-Nanopartikel nach Anregung je nach Größe in unterschiedlichen Farben. Herkömmliche Werkstoffe können dies oft nicht bieten. „Biomembranen“, die ebenfalls in der Focus Area grundlegend erforscht werden, riegeln in der Natur Zellen gegen ihre Umgebung ab. Wie genau alle molekularen Abläufe funktionieren, beispielsweise auch der Transport durch Membranen, ist bislang noch nicht genau geklärt. Die Wissenschaftler erhoffen sich aus den gewonnenen Erkenntnissen Ideen für neue pharmakologische Therapieansätze.

Im Forschungsfeld „Supramolekulare Wechselwirkung“ schließlich gewinnen die Wissenschaftler Einblick in die Funktion und Interaktion von Makromolekülen. Das sind besonders große Moleküle, die aus bis zu mehreren hunderttausend Bausteinen bestehen. Zu ihnen gehören beispielsweise die Nukleinsäuren, also Biomoleküle wie DANN und RNA, die Träger der Erbinformationen von Lebewesen sind. In allen vier Forschungsfeldern arbeiten die Wissenschaftler der Freien Universität eng zusammen mit Kollegen der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem gemeinsamen medizinischen Fachbereich der Humboldt-Universität und der Freien Universität; sie kooperieren mit Instituten der Max-Planck- und der Fraunhofer-Gesellschaft, beispielsweise dem Forschungsinstitut für molekulare Pharmakologie, sowie Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft.

Auch international haben die Berliner Forscher ein breites Netzwerk an exzellenten Kontakten aufgebaut: So wurde im Jahr 2010 eine eigene Partnerschaft zwischen der Freien Universität, der Harvard University und der University of Tokyo begründet. Zudem kooperiert NanoScale mit der Delhi University und der McGill University in Montreal.

Eine Besonderheit der FocusArea ist die finanzielle Förderung von Nachwuchswissenschaftlern, die in Zukunft noch stärker ausgebaut werden soll. „Wir unterstützen dabei junge Kollegen, die erfolgversprechende Forschungsideen entwickelt haben, aber deren Projekte noch nicht so weit gediehen sind, dass sie Aussicht auf umfassende Förderung haben“, sagt Stephanie Reich. Eine flexible, kurzfristige Anschubfinanzierung soll es den Nachwuchswissenschaftlern ermöglichen, ihre Ideen so voranzutreiben, dass dafür Fördergelder beantragt werden können.

„Wir Wissenschaftler schätzen die Freiheit zu forschen – und Nano Scale macht es möglich, dass sich diese Freiheit institutsübergreifend entfalten kann“, sagt Rainer Haag. „Als Projektleiter geben wir bei der Auswahl unserer Gäste und bei gemeinsamen Veranstaltungen zwar Impulse für Wege in der Forschung. Welchen Weg unsere Wissenschaftler aber letztendlich beschreiten, in dieser Entscheidung sind sie völlig frei.“

Damit diese Unabhängigkeit auch in Zukunft gewahrt wird, bemühen sich die Wissenschaftler der Focus Area derzeit um eine nachhaltige Finanzierung. „Wir haben in den vergangenen Jahren gute und erfolgreiche Strukturen aufgebaut“, sagt Sprecherin Reich: „Nun erarbeiten wir Ideen, wie diese Strukturen dauerhaft finanziert werden können – und wir sind zuversichtlich, dass wir hierfür eine zukunftsfähige Lösung finden.“