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Mit Staubecken gegen die Flut

Wissenschaftler der Freien Universität erforschen wirkungsvolle Methoden zum Hochwasserschutz am Oberrhein und im Mittleren Erzgebirge

08.08.2013

Wass im Überfluss: Der Deich bei Fischbeck in Sachsen-Anhalt ist gebrochen, Wassermassen fließen ins Hinterland, Gischt schäumt (im Bild unten rechts).

Wasser im Überfluss: Der Deich bei Fischbeck in Sachsen-Anhalt ist gebrochen, Wassermassen fließen ins Hinterland, Gischt schäumt (im Bild unten rechts).
Bildquelle: Matthias Thiele

Seit den großen Hochwasserkatastrophen an Donau, Rhein und Oder in den 1980er und 1990er Jahren diskutieren Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über Strategie und Umfang des Hochwasserschutzes. Geografen der Freien Universität haben in Langzeituntersuchungen und mit neuen Modellen am Oberrhein und im Mittleren Erzgebirge untersucht, wie sich die katastrophalen Folgen des Wasserspiegelanstiegs minimieren ließen.

Keine fünf Kilometer misst der Rübenauer Bach im Mittleren Erzgebirge. Seine Quelle liegt auf 464 Metern Höhe, inmitten von Fichten. Einen Steinwurf entfernt verläuft hier im Kriegwald, dem größten Waldgebiet im Erzgebirge, die böhmisch-sächsische Grenze. Die Rübenauer nennen das Gewässer schlicht ihren „Dorfbach“. Gemächlich plätschert er durch die 1000-Einwohnergemeinde, vereinigt sich unterhalb der schieferbedeckten Heilig-Geist-Kirche mit ihrem Zwiebelturm ausdem frühen 18. Jahrhundert mit einem schmalen Wildbach und mündet, kaum dass er das Dorf verlassen hat, in die Natzschung. Dieser kleine Fluss bildet bis Olbernhau die Grenze zur Tschechischen Republik.

Doch 2002 wurde aus dem idyllischen Dorfbach ein reißender Strom: Tief „Ilse“ brachte Anfang August feuchte Luftmassen aus dem Mittelmeerraum nach Ostdeutschland, wo sie sich über dem Erzund Riesengebirge abregneten. Der Rübenauer Bach überflutete Straßen, zerstörte Brücken, Ernte und Mauern – ein Schaden von 2,1 Millionen Euro alleine an öffentlicher Infrastruktur.

Ins kollektive Gedächtnis brannte sich die Jahrhundertflut von 2002 vor allem mit Bildern aus den Städten an der Elbe: die überflutete Dresdner Semperoper, die zerstörte Pöppelmannbrücke in Grimma und die Schäden im Dessau-Wörlitzer Gartenreich. „Doch insbesondere die kleinen Bäche und Flüsse haben 2002 für enorme Schäden gesorgt“, sagt Christian Reinhardt vom Institut für Geografische Wissenschaften an der Freien Universität. „In diesen Gebieten können die Hochwasserschutzmaßnahmen, die stromabwärts an den großen Flüssen ergriffen wurden, keine Wirkung entfalten.“ Gemeinsam mit Jens Bölscher und Rabea Imjela hat er unter Leitung von Professor Achim Schulte seit 2006 das Einzugsgebiet der Oberen Flöha rund um Olbernhau untersucht. Alleine in diesem Gebiet entstand an der öffentlichen Infrastruktur ein Schaden in Höhe von fast 40 Millionen Euro.

Genau hier in den Bergen, an den Oberläufen der Flüsse, wo der meiste Regen fällt, sollte der Hochwasserschutz ansetzen, und zwar durch gezielte dezentrale Maßnahmen. Das zeigen die Ergebnisse der Arbeiten des Teams um Professor Achim Schulte. Dazu untersuchten die Geografen ein 315 Quadratkilometer großes Gebiet, das über die Flöha zum Fluss Mulde hin entwässert wird. Bislang sind diese Gebiete nach Ansicht der Wissenschaftler bei den Planungen noch nicht genügend berücksichtigt worden.

In der Nähe der Stadt Olbernhau im Erzgebirge vermessen Studierende das Gelände. Die Daten über das Gebiet sind in die Untersuchungen und Modellierungen der Geowissenschaftler eingeflossen.

In der Nähe der Stadt Olbernhau im Erzgebirge vermessen Studierende das Gelände. Die Daten über das Gebiet sind in die Untersuchungen und Modellierungen der Geowissenschaftler eingeflossen.
Bildquelle: AB Angewandte Geografie

Südlich von Breisach am Oberrhein vermisst eine Studentin das geflutete Untersuchungsgelände. Die Wissenschaftler wollen die Strömungsverhältnisse einer Aue besser verstehen.

Südlich von Breisach am Oberrhein vermisst eine Studentin das geflutete Untersuchungsgelände. Die Wissenschaftler wollen die Strömungsverhältnisse einer Aue besser verstehen.
Bildquelle: AB Angewandte Geografie

Aufforstung, eine bodenschonende Bewirtschaftung der Felder und kleine Rückhaltebecken sind im Konzept des dezentralen Hochwasserschutzes die entscheidenden Komponenten" sagt Christian Reinhardt, der an der Auswertung beteiligt war und zahlreiche Szenarien anhand von Computermodellen durchgerechnet hat. Der Effekt ist enorm: Für das untersuchte Gebiet könnten die Spitzen der Hochwasserwellen lokal um bis zu 48 Prozent verkleinert werden. Die Aufforstung geschädigter Waldgebiete könnte noch einmal zwischen 10 und 16 Prozent Scheitelminderung bedeuten. „Aber diese Maßnahmen brauchen Zeit“, sagt der Geograf. So würden die Aufforstungen, die in den späten 1990er Jahren begonnen wurden, erst nach etwa 30 Jahren ihre volle Wirkung entfalten.

Außerdem gerieten die Schäden, die eine Flut wie die von 2002 verursachte, im Laufe der Jahre bei Haushaltsberatungen in Bund und Land noch allzu oft in Vergessenheit, kritisieren die Wissenschaftler. Manche Schutzmaßnahme werde auch von den Bürgern vor Ort blockiert, weil Weidefläche und Ackerland verloren gehen, oder die Arbeiten benötigten durch aufwändige Planungsverfahren viel Zeit für die Umsetzung. Im Gebiet der Oberen Flöha jedenfalls wurden nach der Katastrophe sieben mittlere und große Hochwasserrückhaltebecken geplant – gebaut ist bis heute kein einziges. Auch am Oberrhein haben Wissenschaftler der Freien Universität Maßnahmen zum Hochwasserschutz untersucht: Unter der Leitung von Jens Bölscher und Professor Schulte baute ein Forscherteam zwischen Basel und Freiburg ein Messfeld in einer Altrhein-Aue auf, um den Einfluss verschiedener Pflanzen auf das Fließverhalten der Hochwassermassen zu untersuchen. Während eine der Messstationen unterhalb von Weiden installiert wurde, stand die zweite in einem Abschnitt mit Grasbewuchs.

„Es ging darum, die Strömungen und Fließgeschwindigkeiten in einer Aue besser verstehen zu können“, erläutert Bölscher seine Arbeit: „Bislang wurden Auen in Computermodellen ganz pauschal als bremsendes Element berücksichtigt.“ Dank der langjährigen Untersuchungen lässt sich dieses Bild nun differenzieren: So können beispielsweise Weidengehölze die Strömung zwischen den Stämmen beschleunigen, während der Fluss bei höheren Wasserständen dank ihrer ausladenden Baumkronen effektiv gebremst wird. Gras bremst den Fluss nur in Bodennähe, ab einer bestimmten Höhe zeigt es jedoch kaum noch Wirkung.

„Insgesamt zeigen die Untersuchungen, dass es sich lohnt, die Physiognomie der Vegetation genauer zu untersuchen und in unsere Modelle einfließen zu lassen“, sagt der Wissenschaftler Jens Bölscher. Sein Kollege Christian Reinhardt pflichtet ihm bei: „Jeder Naturraum ist anders und muss deshalb individuell betrachtet werden – und für jeden Raum gibt es eigene Ansätze.“ In Rübenau zum Beispiel hätte es 2002 wohl gereicht, wenn vorher oberhalb des Dorfes kleine Rückhaltebecken gebaut worden wären und man den Bach in regenarmen Zeiten mithilfe von Rohren durch die Dämme geleitet hätte: Kommt mehr Wasser aus den Bergen als durch das Rohr passt, staut es sich im Rückhaltebecken. Die katastrophalen Folgen für das Dorf hätten so vermieden oder wenigstens vermindert werden können.