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Böden ohne Haftung

Wissenschaftler von Freier Universität und TU Kaiserslautern bringen ein deutsch-kenianisches Forschungsprojekt auf den Weg.

25.02.2013

Spuren des Hochwassers: Die kenianische Stadt Voi ist von bis zu vier Meter tiefen Erosionsgräben durchzogen. Deutsche Hydrologen und Wasserbauer geben ihre Expertise weiter.

Spuren des Hochwassers: Die kenianische Stadt Voi ist von bis zu vier Meter tiefen Erosionsgräben durchzogen. Deutsche Hydrologen und Wasserbauer geben ihre Expertise weiter.
Bildquelle: Jens Bölscher

Wenn sich die Wassermassen von den Bergen herab ihren Weg in die kenianische Stadt Voi bahnen, gibt es kein Halten. Mit Sandsäcken, steingefüllten Drahtkörben und unter Straßen verlegten Abflussrohren versuchen die Bewohner, ihre Heimat vor Überschwemmungen zu schützen. Zweimal im Jahr, während der Regenzeiten im Früh- und im Spätjahr, läuft die Stadt, die in einem Kessel zwischen Bergen liegt, regelrecht voll.

Saftig grüne Landschaften prägten daher das Bild, das die Hydrologen Professor Achim Schulte und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Jens Bölscher vorfanden, als sie mit Studierenden der Freien Universität vor etwa einem Monat zu Feldforschungen in die 45 000-Einwohner-Stadt im Süden Kenias reisten. Auf den ersten Blick zeugten die rot-braunen Ränder an den Hauswänden von den letzten Fluten.

„Die Überschwemmungen entstehen, weil die Böden in den Bergen die großen Mengen an Regenwasser nicht speichern können“, erläutert Achim Schulte, Professor für Angewandte Physische Geografie an der Freien Universität. In den Hanglagen bedecke nur eine 20 bis 30 Zentimeter dicke Bodenschicht das undurchlässige Gestein, deshalb könne das Wasser nicht versickern, sagt der Wissenschaftler. Das lose Material werde zudem leicht fortgespült: „Wenn das Wasser erst einmal konzentriert in einer Rinne abfließt, kann man den weiteren Prozess so leicht nicht aufhalten.“

Bis hinab nach Voi graben sich nämlich geradezu Wasserstraßen in den Hang, die von Regenzeit zu Regenzeit tiefer werden. Längst ist die gesamte Region mit kleineren Erosionsrinnen und größeren Gräben durchzogen. „Sie können fünf bis zehn Meter breit und zwei bis vier Meter tief sein“, sagt Schulte. Diese Erosionsgräben tun sich neben Schulen ebenso auf wie in der Nähe von Tankstellen – eine Gefahr für die Bürger und ihre Behausungen. Hoffnung für seine Stadt muss Thomas Mwatela, Bürgermeister von Voi, geschöpft haben, als er bei einer Konferenz des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) Ende 2011 einen Kollegen von Schulte kennenlernte: Professor Robert Jüpner von der TU Kaiserslautern, Spezialist für Wasserbau und Alumnus der Freien Universität, berichtete dabei von Kooperationen deutscher Hochschulen mit internationalen Partnern zum Thema Hochwasserschutz. Mwatela bat Jüpner kurzerhand um Unterstützung, der wiederum mit Achim Schulte einen Experten für Hydrologie und Bodenerosion zu Rate zog. „Es ist unglaublich, in welcher Geschwindigkeit die Erosionsprozesse dort ablaufen“, sagte Schulte nach der ersten Ortsbegehung, „und die Menschen in Voi sind völlig machtlos.“

Zurück an den Instituten setzten die Wissenschaftler das Thema auf den Lehrplan und stießen auf großes Interesse bei den Studierenden. Die Idee eines Kooperationsprojektes mit Studierenden und Wissenschaftlern des Taita Taveta University College (TTUC) in Voi sowie dem Pwani College in Kilifi bei Mombasa lag nahe. Doch eine anwendungsbezogene Geologie-Ausbildung, die sich mit Bodenerosion und Hochwasser beschäftigt, gibt es dort bislang nicht. Bei den ersten Geländearbeiten, ermöglicht durch das DAAD-Mobilitätsprogramm „Promos“, waren auf kenianischer Seite vor allem Fachfremde beteiligt – etwa Mathematik-, Physik- und Geologie-Studierende mit dem Schwerpunkt Rohstoffnutzung. „Aber alle waren hoch motiviert, weil sie von der Situation natürlich direkt betroffen sind“, erzählt Jens Bölscher.

Gemeinsam führten die Teams der deutschen und afrikanischen Universitäten Messungen durch, entnahmen Bodenproben und interviewten die Bewohner von Voi. Noch bis zum Jahresende werden vier Studierende der Freien Universität die Daten im Rahmen ihrer Masterarbeiten auswerten. Erst dann wird man die Anzahl, die Lage und Größe der Erosionsgräben in der Region im Detail überblicken. Und man wird genau wissen, wie die Böden vor Ort beschaffen sind, wie viel Wasser sie speichern können, und wie schnell das Wasser unter den gegebenen Bedingungen abfließt. Derzeit lässt sich nur vermuten, ob sich die Lage in Voi durch den Eingriff von Menschen in den vergangenen Jahrzehnten verschlimmert hat. Fest steht jedoch, dass die Stadt weder über Bebauungs- noch über Gewässerentwicklungspläne verfügt. Wer dorthin zieht, lässt sich ohne Stromanschluss, Straßen oder Abwasserversorgung nieder, zunehmend in der Nähe der Berghänge. Schulte und Bölscher kennen ähnliche Fälle von Hochwasser und Bodenerosion aus anderen Regionen wie Peru und Ostchina. Sie vermuten Parallelen: „Dort hat man einst bewaldete Böden intensiver landwirtschaftlicher Nutzung unterzogen, wodurch sie erodiert wurden und als natürlicher Wasserspeicher verloren gingen“, sagt Schulte. Erst weitere Studien können zeigen, welche Maßnahmen der Stadt helfen würden: das Errichten von Steindämmen, die Bepflanzung der Gräben oder die Speicherung des Wassers oberhalb der Stadt wären denkbar – etliche weitere Methoden werden in der Literatur angeführt. So ließe sich die Erosion zumindest bremsen: „Aber ein Patentrezept gibt es nicht“, erklärt Bölscher. „Wir müssen die Maßnahmen an die jeweilige Raum- und Siedlungsstruktur anpassen.“

In Voi bedarf es eines ausgeklügelten Konzepts, so viel steht für die deutschen Wissenschaftler bereits heute fest. Erstrebenswert sei vor allem eine nachhaltigere Nutzung der Flächen: „Man muss die Böden und das Wasser als Ressourcen erhalten“, bilanziert Schulte. Außerdem sollen die Schutzmaßnahmen in Einklang mit der Lebensweise der lokalen Bevölkerung stehen – und sich darüber hinaus einfach instand halten lassen. Ein erster Schritt wäre es, die länderübergreifende Kooperation festzuschreiben: Schulte und Kollegen erarbeiten derzeit ein Förderungskonzept.