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Wachsender Protest gegen Umweltzerstörung in China

Umweltpolitik-Experte Martin Jänicke berät die chinesische Regierung zu Umweltschutzfragen – den Regierungswechsel erwartet er mit Spannung

27.08.2012

Martin Jänicke war mehr als 30 Jahre Professor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft und leitete rund 20 Jahre lang das Forschungszentrum für Umweltpolitik (FFU), das er 1986 mitbegründete.

Martin Jänicke war mehr als 30 Jahre Professor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft und leitete rund 20 Jahre lang das Forschungszentrum für Umweltpolitik (FFU), das er 1986 mitbegründete.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Schmutzige Luft, Sandstürme und verseuchte Flüsse: Immer wieder macht China mit Umweltthemen Schlagzeilen. Auch beim CO2-Ausstoß gilt das Land als weltweit größter Klimasünder. Im Herbst steht nun ein Regierungswechsel an: Was das für das Land und seine Umweltpolitik bedeutet, erläutert Professor Martin Jänicke. Als Mitglied in einem Gremium, das die chinesische Regierung berät, steht der Gründungsdirektor des Forschungszentrums für Umweltpolitik der Freien Universität seit 2011 in regelmäßigem Kontakt mit chinesischen Experten und Funktionären.

Herr Professor Jänicke, mit welchen Umweltproblemen sieht sich China aktuell konfrontiert?

Zwei Drittel der Städte verfehlen die chinesischen Umweltstandards.

Ebenso viele haben Probleme mit der Wasserversorgung: Es fehlt an Trinkwasser, aber auch für die Industrie steht oft nicht genügend Wasser zur Verfügung. Ein weiteres Problem sind Sonderabfälle, die nicht richtig entsorgt werden. Zudem bezieht China seinen Strom zum Großteil aus Kohlekraftwerken – mit der Folge, dass die Luft nicht nur mit Schwefeldioxid, Stickoxiden und Staub belastet wird, sondern auch mit Quecksilber und Arsen.

Sie beraten die chinesische Regierung als Mitglied einer Task Force zu Fragen des Umweltschutzes. Wie beurteilen Sie diese Aufgabe?

Es ist das Interessanteste, was ich bisher als Politikberater gemacht habe. Im Moment fallen in China wichtige Entscheidungen, und die Debatten hierzu sind äußerst spannend. Bei der Umweltpolitik ist eigentlich nicht die Staatsführung das Hauptproblem. Die Funktionäre, vor allem auf der kommunalen Ebene, setzen die Gesetze häufig nicht um. Sie definieren sich über ihren Erfolg beim Wirtschaftswachstum, das daher bisher regelmäßig höher ist als im Plan vorgesehen. Die energieintensive Schwerindustrie wächst am stärksten: Diese Wachstumsstruktur ist eigentlich ein Todesurteil für jede Art von Umweltpolitik.

Wie soll das geändert werden?

Die Regierung hat neue Instrumente mit zum Teil strengeren Standards geschaffen, damit die Umweltgesetze besser eingehalten werden. Davon abweichende Unternehmen können zum Beispiel bei Krediten benachteiligt werden. Verstoßen die Kommunen dagegen, kann es sein, dass sie keine Genehmigung für neue Betriebe erhalten. Die Kader sollen künftig auch nach ihrer Umweltbilanz bewertet werden. Im schlimmsten Fall werden sie abgesetzt. Ein neuer progressiver Stromtarif belastet nun deutlich die obersten fünf Prozent der Haushalte, die ein Viertel des Stroms verbrauchen. Das ist ein probates Mittel gegen die soziale Schieflage, die der Klimaschutz auch bei uns manchmal aufweist. China erprobt zudem einen Emissionshandel für Kohlenstoffdioxid und plant eine CO2-Steuer. Für Kohlekraftwerke gelten teilweise strengere Emissionsgrenzwerte als in der Europäischen Union. Die mittlerweile erfolgreiche chinesische Technik der Rauchgasentschwefelung findet so ihren Markt.

Welche Rolle spielt die Kohle in der Energieversorgung?

Bisher war es ein Tabu, die Kohleverstromung infrage zu stellen. Aber die chinesische Regierung hat – ähnlich wie die indische – inzwischen lernen müssen, dass die heimischen Kohlevorräte keineswegs noch 200 Jahre ausreichen, wie man immer dachte. Bereits im Jahr 2010 wurde mehr als die Hälfte der verbrauchten Kohle importiert.

Wie ist der bevorstehende Führungswechsel zu beurteilen?

Als kommender Ministerpräsident gilt Li Kequiang, den man als grünen Technokraten bezeichnen kann. Er hat im letzten Jahr betont, dass China der weltweit größte Markt für energiesparende und klimafreundliche Produkte werden wird. Er will die umwelt- und klimafreundlichen Techniken fördern, weil er hier den entscheidenden globalen Zukunftsmarkt sieht. Die Führung wird sich verjüngen.

Stehen weitere Veränderungen an?

In diesem Jahr investiert China 27 Milliarden Dollar in klimafreundliche Techniken. Bei Wind- und Solarenergie verzeichnet das Land einen Boom ohnegleichen. Mehrmals wurden hier die Ausbauziele heraufgesetzt. Ländliche Haushalte erhalten Subventionen für Solaranlagen – auch weil die eigene Solarindustrie auf dem Weltmarkt an Einfluss zu verlieren droht. Beeindruckt hat mich, wie massiv die Wüstenausbreitung bekämpft wird: Bis 2020 sollen 28 Millionen Hektar neuer Wald gepflanzt werden. Wegen der Sandstürme in den Ballungsräumen will man grüne Riegel vor die Wüste schieben.

Wie reagiert die Bevölkerung auf die Umweltbelastungen?

Zuletzt gab es verschiedene Protestveranstaltungen, an denen mehrere Zehntausend Menschen teilgenommen haben. Und das mit Erfolg. So wurden zum Beispiel eine Metallfabrik und eine Papierfabrik verhindert, die beide erhebliche Umweltprobleme verursacht hätten. Da die örtlichen Funktionäre sich nicht mehr auf die Regierung verlassen können, lenken sie eher ein. Die Staatsführung kann sich die Unzufriedenheit in Umweltfragen im Grunde leisten, wenn es um Verstöße gegen ihre eigenen Gesetze geht.

Wie haben Sie den Umgang mit Kritik in China erlebt?

Kritik an der zentralen Macht ist tabu. Aber wenn es um Umwelt- oder Wohnungsprobleme oder sogar um Korruption geht, wird ziemlich offen diskutiert. Fachdiskussionen lassen Kritik auch an der Regierung zu. Selbst Staatsfunktionäre thematisieren die Unzufriedenheit der Menschen: Oft verweisen sie auf das Internet als Quelle. Diese Community ist offenbar sehr lebendig und ersetzt die öffentliche Meinung in gewissem Umfang.

Hat China Einfluss auf andere asiatische Länder mit ähnlichen Umweltproblemen?

China hat den Ehrgeiz, die asiatischen Länder anzuführen. Die Kooperation in Umwelt- und Klimafragen nimmt in Asien rasch zu. Es gibt ein eindrucksvolles Programm von 26 asiatischen Akademien der Wissenschaften zur nachhaltigen Entwicklung Asiens. Wind-, Solarenergie und Wasserkraft haben Hochkonjunktur. Eigentlich werden diese Technologien nicht gefördert, weil man das Klima schützen will, sondern weil man langfristig verlässliche Energieträger braucht.

Welche Perspektive hat der Klimaschutz?

Ich bin relativ sicher, dass China seine Haltung im internationalen Klimaschutz so nicht aufrechterhalten wird. Das diesbezüglich schlechte Image ist dort durchaus ein Thema. Es ist vielleicht bezeichnend, dass das Land ausländische Experten für den Umweltschutz heranzieht. Mit der Verjüngung der Regierung werden die Interessen der Bevölkerung vielleicht stärker berücksichtigt. Die Machtstruktur ist ja nicht gefährdet, wenn sich die Staatsführung mit den Menschen gegen die Umweltsünder verbündet.

Die Fragen stellte Gisela Gross.