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Männer sind eher bereit zu verzeihen

Forschung zum Thema Vergeben

27.08.2012

„Der Siege göttlichster ist das Vergeben“, schreibt Friedrich Schiller. Leichter gesagt als getan: Nicht selten führen Streitereien und Vertrauensbrüche in der Partnerschaft, zwischen Freunden und in der Familie zum Ende einer Beziehung. Manchmal wiederum kann sich einer der Konfliktpartner überwinden, den anderen um Vergebung bitten und das Verhältnis auf diese Weise retten. Woran liegt das? An der Persönlichkeit, an gesellschaftlichen Einflüssen, am Geschlecht? Wann vergibt ein Mensch und warum?

Mit diesen ungeklärten Fragen beschäftigen sich Wissenschaftler der Freien Universität Berlin: Sie untersuchen die kulturellen Prämissen des Vergebens in Deutschland im Rahmen eines am Exzellenzcluster „Languages of Emotion“ angesiedelten Projekts.

Ziel des Forschungsvorhabens, das von dem Soziologen Professor Christian von Scheve und der Psychologin Angela Merkl geleitet wird, ist es, eine Typologie zu erstellen, um ein umfassendes Verständnis für die Funktionen und Bedingungen des Vergebens zu erwerben.

Sonja Fücker promoviert am Cluster über das Thema. „In einem zweistufigen Verfahren haben wir Interviews geführt, um herauszufinden, wie Menschen in Deutschland dem Thema Vergebung gegenüber eingestellt sind und welche persönlichen Erfahrungen sie machen“, sagt die Soziologin. „Dabei hat sich herausgestellt, dass häufig eine Diskrepanz zwischen gesellschaftlichen Wertvorstellungen und der individuellen Praxis besteht.“ Betrug in einer Partnerschaft sei ein gutes Beispiel, um diese Kluft zu erklären: Viele der befragten Personen würden Betrug in einer Beziehung als moralisch untragbar bezeichnen. „Dennoch stellte sich heraus, dass, wenn der Fall eintrifft, die Bereitschaft zu vergeben durchaus existiert.“ Ein Widerspruch, der sich nur situationsbedingt erklären lässt und das vertrackte Zusammenspiel von Gefühlen und moralischen Prinzipien zeigt.

„Viele Menschen bemühen sich, die persönlichen Verletzungen, die ihnen von anderen Personen zugefügt wurden, zu verstehen. Man neigt dazu, sich in die Lage des anderen zu versetzen und sich zu fragen, warum man verletzt wurde. Eigene Gefühle wie Wut, Ärger, Trauer und Empörung werden durch einen rationalen Umgang unter Kontrolle gebracht.“ Das Verstehen-Können sei deshalb häufig die Voraussetzung für das Vergeben-Können, also die Fähigkeit, von der Verletzung loszulassen. Ein weiteres Ergebnis überraschte die Wissenschaftler: „Unsere Befragung hat eindeutig gezeigt, dass Männer tendenziell eher bereit sind zu vergeben als Frauen“, sagt Sonja Fücker.

Woran mag das liegen? Spielen Traditionen oder kulturelle Gepflogenheiten eine Rolle? Antworten hierauf sollen in einem zweiten Untersuchungsabschnitt gefunden werden. Bislang gibt es in den Sozialwissenschaften keine vergleichbaren Studien. Im Allgemeinen – so viel können die Wissenschaftler schon sagen – hänge die Bereitschaft, mit einem Vertrauensbruch rational umzugehen, von der Wichtigkeit der gefährdeten Beziehung ab.

„Bei der Entscheidung, ob man vergibt oder nicht, steht für die Befragten die Fortsetzung der Freundschaft oder der Liebesbeziehung im Vordergrund“, sagt Sonja Fücker. Schließlich würde die Verweigerung des Vergebens meistens das Ende einer Beziehung bedeuten. „Hinzu kommt, dass Vergebung als tugendhaft gilt und als erstrebenswertes Verhalten erachtet wird.“ Das gebe einen Hinweis darauf, wie wichtig es für Menschen sei, für ihr Handeln die Anerkennung von anderen zu erfahren.

„Wir wollen anschauen, welche Herausforderungen und Chancen das Vergeben für das Leben in der Gemeinschaft birgt“, sagt Fücker. Welchen Einfluss haben religiöse und kulturelle Motive? Welche Rolle spielt die Moral? Wichtige Fragen für Gesellschaften wie die deutsche, in denen verschiedene Kulturen, Lebensstile und Weltanschauungen aufeinandertreffen.