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Ein Preuße, der spaltet

Zum 300. Geburtstag von Friedrich dem Großen porträtiert der Historiker Bernd Sösemann den facettenreichen Staatsmann aus europäischer und transdisziplinärer Perspektive.

23.02.2012

Das Porträt von Klaus Asche wird erstmalig in B. Sösemanns "Friedrich der Große in Europa - gefeiert und umstritten" veröffentlicht.

Das Porträt von Klaus Asche wird erstmalig in B. Sösemanns "Friedrich der Große in Europa - gefeiert und umstritten" veröffentlicht.
Bildquelle: Privat

Sowjetisches Flugblatt aus dem Winter 1941/42: Bismarck, davor Friedrich der Große mit Hitler.

Sowjetisches Flugblatt aus dem Winter 1941/42: Bismarck, davor Friedrich der Große mit Hitler.
Bildquelle: FMI (AKiP)

Kein Herrscher des 18. Jahrhunderts wird so gefeiert und gehasst wie der Preußenkönig: Die einen preisen Friedrich den Großen als Aufklärer, als Gutmenschen und Philosophen, die anderen verunglimpfen ihn als Despoten, der ausschließlich eigene Interessen im Blick gehabt habe: Macht, Reichtum, Anerkennung und die Stabilisierung Preußens – sei es durch Krieg und Gewalt.
Für den Historiker Bernd Sösemann vom Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin greifen diese Etiketten zu kurz: In Publikationen und langjähriger Forschungsarbeit legte er die Konturen eines klugen, gerissenen Staatsmannes frei, dessen charakterliche Eigenheiten sich nicht allein in „Gut“ und „Böse“ aufteilen lassen.

„Friedrich war eine vielschichtige Persönlichkeit, ein scharfer Denker und Ironiker“, sagt der Wissenschaftler. Und weil Ironie, wie schon der dänische Philosoph Søren Kierkegaard wusste, sich einer klaren Deutung widersetzt, lassen Friedrich-Forscher inzwischen die unterschiedlichen Facetten dieser Ausnahmepersönlichkeit in ihre Bewertung einfließen. Der eindimensionale Blick, der sich in der Tendenz erschöpft, Friedrich den Großen entweder als großen Staatsmann und Feldherren, Philosophen, begabten Flötenspieler und Autor des „Antimachiavell“ oder im umgekehrten Fall als verklemmten Melancholiker, unsicheren Zweifler und unberechenbaren Despoten zu porträtieren, findet sich in der Wissenschaft so gut wie nicht mehr.

Bernd Sösemann ist es gelungen, 47 prominente Wissenschaftler aus sieben Staaten zusammenzutrommeln – unter ihnen Bernhard Kroener, Christopher Clark, Ute Frevert, Eberhard Lämmert, Hans Ottomeyer, Barbara Stollberg-Rilinger, Edoardo Tortarolo –, um Friedrich den Großen aus der Perspektive des 18. Jahrhunderts zu betrachten: Wie wirkte der Preußenkönig auf Polen und Russen, Franzosen und Österreicher, und wie dachte er über sich selbst? Wie wirkten sich die verkündete Pressefreiheit und das Folterverbot aus? Welches Ansehen hatte das Militär im In- und Ausland; welche Rolle spielten Flugblatt und Zeitung dabei? Im Rahmen des Projekts fanden zahlreiche Tagungen und Vortragsreihen statt, bei denen die beteiligten Wissenschaftler ihre Thesen in gemeinsamen Sitzungen diskutieren konnten. Die Ergebnisse werden jetzt in einer zweibändigen Publikation von gut tausend Seiten präsentiert, die sich nicht nur an die wissenschaftliche Welt richtet, sondern auch an eine breite Öffentlichkeit. „Alle Autoren haben in Sprache und Stil darauf geachtet, dass die Essays allgemeinverständlich ausfallen“, sagt Sösemann.

Nun ist es so weit: Am 5. März wird das Buch „Friedrich der Große in Europa. Geschichte einer wechselvollen Beziehung“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin (DHM) vorgestellt, an dem Ort, an dem zwei Wochen später die Ausstellung „Friedrich der Große – verehrt, verklärt, verdammt ...“ eröffnet werden wird. „Wir haben nicht nur exzellente Beiträge von Kultur- und Wirtschafts-, Rechts- und Musikhistorikern, Soziologen und Literaturwissenschaftlern sammeln können, sondern bieten auch unveröffentlichte Texte und Abbildungen.“ Dem Wissenschaftler, der das von den Stiftungen Fritz Thyssen und Gerda Henkel finanzierte Projekt leitete und jetzt die beiden Bände gemeinsam mit dem Altphilologen Gregor Vogt-Spira herausgibt, war daran gelegen, innovative Fragestellungen zu verfolgen und klischeehafte Einschätzungen zu vermeiden. „Wenn Sie über Friedrich den Großen reden, können sie viel behaupten. Es kommt immer darauf an, auf welche Zeit, welches Werk oder welche Briefstelle sich ihre Zitate beziehen.“ Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in der Rezeptionsgeschichte: Nicht nur Konservative – und besonders die Nationalsozialisten – haben den „Alten Fritz“ instrumentalisiert, sondern auch linksdiktatoriale Systeme wie der Stalinismus. Diese Erkenntnis belegt Sösemanns abschließender Beitrag mit einem neuen historischen Fund. „Ich habe ein Flugblatt der Sowjets aus dem Winter 1941/42 entdeckt, das Deutsche zum Überlaufen auffordert und sich auf Friedrich den Großen beruft. Auf der Zeichnung sehen wir Hitler mit blankem Gesäß und Friedrich, der auf den Diktator eindrischt, während Bismarck die Szene freudig beobachtet. Die implizite Botschaft lautet: ‚Deutscher Soldat! Es gibt zwei große Staatsmänner, die du verehrst: Friedrich den Großen und Bismarck. Und diese beiden haben immer wieder gesagt, für das Deutsche Reich ist ein Bündnis mit Russland am besten. Dein verrückter Hitler hat sich gegen Russland gewendet. Das wird sein Untergang sein.'"

Zusätzlich zu der zweibändigen Publikation erscheint ein ebenfalls von Bernd Sösemann im F. Steiner Verlag herausgegebenes Buch mit dem Titel „Friedrich der Große – gefeiert und umstritten“, das sich mit weiteren kontroversen Themen beschäftigt – wie der Sicht Österreichs auf Preußen, den Illustrationen Adolph Menzels oder einem Vergleich zwischen Preußen und China. Der Band berücksichtigt auch die Frage, ob Friedrich seine homoerotische Neigung offenbarte. „Nehmen wir allein den Schriftzug ‚Sans, Souci’, der in Majuskeln am Schloss in Potsdam zu lesen ist: Niemand konnte bislang erklären, warum sich zwischen ,Sans‘ und ,Souci‘ ein Komma befindet. Viele haben dazu die unterschiedlichsten Vermutungen geäußert.“ Der Historiker Heinz Dieter Kittsteiner stellte die These auf, das Komma symbolisiere das männliche Glied und sei eine ironische Anspielung auf Friedrichs sexuelle Vorlieben. In der Vorbereitungsphase des Buches hat Sösemann dies einem befreundeten Künstler erzählt. Daraufhin stellte Axel Groehl für den Band eine Zeichnung her, in der Friedrich das Komma süffisant zwischen seinen Fingerspitzen hält. Die Zeichnung ist eine skurrile Interpretation der historischen Kontroverse und zugleich ein Beweis dafür, dass es bei Friedrich dem Großen noch viel Unbekanntes und Überraschendes zu entdecken gibt.