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Studentische Mobilität

Mehr Bewegung, bitte!

08.12.2010

Mehr Bewegung, bitte!

Mehr Bewegung, bitte!
Bildquelle: photocase.de/Miss X www.photocase.de/foto/160968-stock-photo-alt-gruen-blau-ferien-urlaub-reisen-gelb-wege-pfade

Immer gut besucht: die Auftaktveranstaltungen zu FUBiS, einem akademischen Programm der Freien Universität, das in mehreren Sommer- und Winter-Terms stattfindet.

Immer gut besucht: die Auftaktveranstaltungen zu FUBiS, einem akademischen Programm der Freien Universität, das in mehreren Sommer- und Winter-Terms stattfindet.
Bildquelle: David Ausserhofer

„Grenzenlose Mobilität ist eines der Kernziele des Bologna-Prozesses, auf das die Hochschulen mit international verständlichen Studienabschlüssen und mit einer besseren Anerkennung von Studienleistungen hinarbeiten“, schrieb 2008 Christiane Gaehtgens, die damalige Generalsekretärin der Hochschulrektorenkonferenz, im Vorwort zu einer Untersuchung über die Mobilität im Studium – und bezog sich dabei auf die Verhältnisse in Deutschland. Wie mobil Studierende tatsächlich sind, welche Länder sie für einen Auslandsaufenthalt bevorzugen, welche Programme den Austausch befördern, und ob das Kernziel der Bologna-Reform zur europaweiten Vereinheitlichung von Studienabschlüssen erreicht ist, beschreibt Hans-Werner-Rückert, Leiter der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung der Freien Universität.

Im Communiqué der 2007 abgehaltenen Londoner Bologna- Nachfolgekonferenz heißt es: „Die Mobilität der Beschäftigten, Studenten und Absolventen ist eines der Kernelemente des Bologna-Prozesses, der Gelegenheit bieten soll zur persönlichen Entfaltung, der die internationale Zusammenarbeit zwischen dem Einzelnen und den Institutionen entwickeln und die Qualität der Ausbildung und Forschung verbessern soll und damit der europäischen Idee Substanz verleiht.”

Zwei Jahre später stellen die Bildungsminister im belgischen Louvain-la-Neuve fest: „Wir sind überzeugt, dass die Mobilität der Studenten, Nachwuchsforscher sowie Mitarbeiter die Qualität der Studiengänge und die Exzellenz in der Forschung verbessert. Sie stärkt die akademische und kulturelle Internationalisierung von Europas höherer Bildung. Mobilität ist wichtig für die persönliche Entwicklung und für die Chancen im Berufsleben, sie fördert den Respekt für die Unterschiedlichkeit und die Fähigkeit, mit anderen Kulturen umzugehen. Mobilität ermutigt zu sprachlichem Pluralismus, dementsprechend untermauert sie die mehrsprachige Tradition der Bildung im europäischen Raum und verstärkt die Zusammenarbeit der- und den Wettbewerb zwischen den Bildungseinrichtungen. Deswegen soll Mobilität ein Kennzeichen des europäischen Bildungsraums sein. Wir appellieren an jedes Land, die Mobilität zu erhöhen, deren Qualität sicherzustellen, und deren Arten und Ausmaß zu variieren. 2020 sollten wenigstens 20 Prozent der europäischen Studenten im Ausland gelebt oder gearbeitet haben.“

Die Bildungsminister gestehen Fehler ein

Nach der „Bologna Ministerial Anniversary Conference 2010“ am 12. März 2010 in Budapest und Wien mussten die Bildungsminister jedoch erstmals auch eingestehen, dass die Umsetzung der Reform bislang nicht überall gelungen sei. Eine stärkere Teilnahme der Akteure im europäischen Hochschulraum sei erforderlich, hieß es, um die Ziele der Minister allmählich zu verwirklichen. Eine EU-Untersuchung kam sogar zu dem Ergebnis, dass – verglichen mit allen ausländischen Studierenden – der Anteil derjenigen, die aus einem „Bologna-Land“ kommen, seit 2001 um sechs Prozent abgenommen hat. Auch die Anzahl der Studierenden eines Landes, die ins Ausland gehen (outbound mobility) und die Anzahl der ausländischen Studierenden, die in einem Land eingeschrieben sind (inbound mobility), verteilt sich unter den 27 EU-Staaten ganz unterschiedlich. In manchen Ländern reicht das Hochschulsystem nicht aus, um alle heimischen Studienberechtigten aufzunehmen, ein Auslandsstudium wird somit unausweichlich. Hinzu kommt, dass nicht alle Länder hinsichtlich der inbound mobility in gleichem Maße begehrt sind – der europäische Hochschulraum kann hier ohnehin nicht mit Ländern wie Kanada, Australien und Neuseeland konkurrieren.

Von der Freien Universität in die ganze Welt

Beliebteste Länder für einen Auslandsaufenthalt innerhalb der Bologna-Region, gefördert durch das Flaggschiff-Programm der EU – Erasmus – sind Spanien, Frankreich, Deutschland und das Vereinigte Königreich. Dank diesem Programm studierten 2009 knapp 24.000 Deutsche durchschnittlich sechs bis sieben Monate lang im Ausland, knapp 3.500 absolvierten ein Auslandspraktikum, knapp 3.000 Angehörige des Hochschulpersonals reisten via Erasmus. Wenn es bei Letzteren auch Steigerungsraten um sieben Prozent gab, bleibt ihr Anteil doch relativ beschränkt. Die Freie Universität Berlin unterhält mit 317 Hochschulen in 29 europäischen Ländern Erasmus-Vereinbarungen. Allein dadurch stehen den Studierenden jährlich mehr als 1.840 Studienplätze im Ausland zur Verfügung. Viele Studieninteressierte planen von vornherein, ihr Studium international anzulegen. Dazu bieten sich mehrere Möglichkeiten: Studiengänge können international konzipiert sein, etwa die European Studies; sie können einen internationalen Abschluss bieten, etwa den Master of Laws, oder sie können einen Doppelabschluss einer hiesigen und einer ausländischen Universität anbieten. Denkbar ist es aber auch, von Anfang bis Ende außerhalb der Landesgrenzen zu studieren. Wer aus einem bildungsnahen Elternhaus kommt und ohnehin schon in der Kindheit mit den Eltern gereist ist, wird eher zur Mobilität neigen – dreimal so viele Studierende mit einem solchen „highly educated background“ studieren im Ausland.

Was halten die Studierenden vom Aulandsstudium?

Dem Bachelor-Bericht 2009 zufolge halten zwei Drittel der Studierenden ein Auslandsstudium mit Blick auf die späteren Berufsaussichten für sehr nützlich, rund 62 Prozent erwarten sich einen großen persönlichen Nutzen davon. In diesen Einschätzungen unterscheiden sich die Bachelor-Studierenden nicht von ihren früheren Kommilitonen in Diplom- oder Magisterstudiengängen. Im Jahr 2008 ergab eine Untersuchung der Konstanzer Hochschulforschungsgruppe im Auftrag des Bundesbildungsministeriums allerdings, dass zwei Drittel der Bachelorstudierenden keinen Auslandsaufenthalt in ihr Studium einbauen wollten – auch wenn sie deren Nutzen als groß einschätzen. An Universitäten wollten 26 Prozent der Studierenden ins Ausland, an Fachhochschulen 15 Prozent. Betrachtet man die Fächer, so waren Kultur- und Wirtschaftswissenschaftler am ehesten zu einem Auslandsaufenthalt bereit, Naturwissenschaftler weniger und von den angehenden Fachhochschul-Ingenieuren nur vier Prozent.

Immerhin 26 Prozent der Studierenden an Universitäten und 24 Prozent an Fachhochschulen hatten der Studie zufolge bereits einen Sprachkurs oder ein Praktikum im Ausland absolviert. Aus diesen Zahlen schätzt die Konstanzer Forschergruppe um den Soziologen Tino Bargel das Gesamtpotenzial international mobiler Studierender an Universitäten auf ein Sechstel bis maximal ein Drittel. Die Einführung des Bachelorstudiums führte in Deutschland – entgegen erster Daten aus den Jahren 2006 und 2007 – bislang nicht zu einem signifikanten Rückgang beim Anteil derer, die im Ausland studieren wollen: Vergleicht man Studierende im 6. Semester, so hatten sieben Prozent der Bachelorstudierenden einen Teil ihres Studiums im Ausland verbracht; bei den Diplom- und Magisterstudierenden lag die Quote bei neun Prozent. Die Bereitschaft ist aber auch nicht, wie von den EUMinistern gefordert, angestiegen – insofern haben die Bologna-Appelle (noch) nicht gezündet.

Das Studium der "alten Art"

Im Studium der „alten Art“ war ein Auslandsstudium nach der Zwischenprüfung oder dem Vordiplom hingegen eher üblich. Die Wahl des richtigen Zeitpunkts im sechssemestrig konzipierten Bachelorstudium ergibt sich demgegenüber weniger automatisch: An vielen Hochschulen wird angestrebt, das 3. oder das 5. Semester dafür zu nutzen. Empirisch lässt sich eine erhöhte Auslandsaktivität jedoch erst im 3. und 4. Studienjahr verzeichnen – das Auslandsstudium sorgt also oft für eine Verlängerung der Studienzeit. Studierende aus wohlhabenden Familien nehmen diese Verlängerung eher in Kauf, der Auslandsaufenthalt zeigt damit auch soziale Selektionseffekte. Ein „organischer“ Zeitpunkt für ein Auslandsstudium liegt für viele Studierende eher im Masterstudium: Insgesamt 17 Prozent der Bachelorstudierenden haben das der Befragung zufolge vor; mit 22 Prozent liegt die Quote an Universitäten am höchsten und mehr als doppelt so hoch wie die an Fachhochschulen (10 Prozent). Nach den Vorstellungen der Regierungen soll der Bachelorabschluss die Regel sein – die geforderte Mobilität müsste es also schon im Undergraduate-Studium geben.

Mobilitätsanreize und Mobilitätshindernisse

Intrinsische Motive wie Neugier oder der Wunsch, eine andere (Studien-)Kultur kennenzulernen und den eigenen Horizont zu erweitern, sind für die meisten Studierenden die wesentlichen Beweggründe für Mobilität. Aber auch extrinsische Überlegungen motivieren Studierende, etwa der Gedanke, dass in der europäischen akademischen „Normalbiografie“ ein Auslandsaufenthalt erwartet werde, zumal von zukünftigen Arbeitgebern. Die Fachkulturen spielen bei den Einschätzungen für den Karrierenutzen offenbar eine Rolle: So erwarten sich Wirtschaftswissenschaftler sicher einen größeren Nutzen als die vergleichsweise stärker sesshaften Ingenieure. Haupthindernisse bei Auslandsstudien sind mangelnde finanzielle Unterstützung, fehlende Übertragbarkeit von Studienfinanzierung aus dem Heimatland ins Ausland sowie hohe Studiengebühren. Mobilitätshemmend wirken auch Sprachbarrieren, die Angst, dass die Studienleistungen trotz ECTS-Punkten, der gemeinen europäischen Währung für Studienleistungen, nicht nahtlos anerkannt werden – was wiederum zu einer unerwünschten Studienzeitverlängerung führen könnte.

Internationale Studierende an der Freien Universität

Nicht nur mit ihren Summer- und Winter-Universities FUBiS zieht die Freie Universität viele Kurzzeit-Studierende aus der ganzen Welt an – immerhin 19 Prozent aller regulär Studierenden kommen aus dem Ausland. Zurzeit sind es 6.040 Studierende, die an der Freien Universität studieren. Im Sommersemester 2010 stammten die meisten aus den USA (533), ihnen folgten als Herkunftsländer Polen (452), die Türkei (347), die Russische Föderation (321), China (282), Bulgarien (280) sowie Frankreich und Italien ( je 272). Internationale Studierende prägen die Atmosphäre einer Hochschule aber weit mehr, als ihr Anteil an der Gesamtzahl vermuten lässt. Viele von ihnen nehmen beispielsweise mit großer Selbstverständlichkeit die Unterstützungsleistungen eines Beratungszentrums in Anspruch, wie es die Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung darstellt. Beraten werden nicht nur die Muttersprachler aus den angelsächsischen Ländern, sondern auch viele andere, die ihren Deutschkenntnissen nicht trauen – beraten werden sie auf Englisch oder Französisch. Neben spezifischen Anliegen, die mit Fremdheit und gelegentlich auch mit kulturellen Unterschieden zu tun haben, stehen internationale Studierende meist vor denselben Problemen wie junge Erwachsene hierzulande. Die Herausforderungen der Lebensphase, etwa eine vorläufige oder endgültige Festlegung auf eine Studien- und Berufswahl, Lern- und Leistungsschwierigkeiten und Probleme der Lebensgestaltung richten sich eben nicht nach der Nationalität. Wann immer die Hochschulberater zusammenkommen, die in Europa im European Forum for Student Guidance (FEDORA) zusammengeschlossen sind, zeigt sich als übereinstimmender Trend, dass es zunehmend keinen Sinn mehr ergibt, zwischen Einrichtungen für domestic students und international students zu unterscheiden. Die Studieninteressierten aus der ganzen Welt, die an der Freien Universität Berlin den Info- Service als ersten Ansprechpartner haben, finden unter den studentischen Hilfskräften an den Info-Schaltern oder im Call Center immer auch einige, die der Landessprache der Ratsuchenden mächtig sind.

Innerdeutsche Mobilität

Den Wechsel der Hochschule innerhalb Deutschlands halten nur zwölf Prozent der Bachelor-Studierenden für sehr nützlich, wie die oben genannte Studie ergab. Man kann als Ursache für diese Zurückhaltung mehrere Gründe vermuten: der Unterschied im Aufbau der Studienfächer an der Herkunfts- und der eventuell angestrebten Universität sowie Befürchtungen, Studienleistungen würden nicht anerkannt und führten zu einer Verlängerung des Studiums. Der Verlust der in Deutschland traditionell hohen Mobilität zwischen den Hochschulen bundesweit ist als Folge der Umstellung auf das neue, gestufte Studiensystem möglicherweise unabwendbar. Im europäischen Ausland, insbesondere dort, wo Studiengebühren gezahlt werden mussten, verstand ohnehin kaum jemand dieses offenbar deutsche Phänomen.

Ost-West- und inneruniversitäre Mobilität

Die Wanderungsbewegungen bei der Studienaufnahme sind eindeutig: Trotz Hochschulpakts und teurer Kampagnen wie „Studieren in Fernost“ der Hochschulinitiative Neue Bundesländer zieht es wenige Studienanfänger gen Osten. Der Hauptstrom zieht in die umgekehrte Richtung. Ein Privileg der Universität alten Stils war die Möglichkeit zu uneingeschränkter geistiger Mobilität: Alle Studierenden hatten das Recht, nicht zulassungsbeschränkte Lehrveranstaltungen von Fächern zu besuchen, für die sie nicht eingeschrieben waren. Der Blick über den Tellerrand der eigenen Fachdisziplin hinaus erwies sich für viele als bereicherndes Abenteuer. Die Satzung für Studienangelegenheiten räumt Studierenden dieses Recht weiterhin ein. Vollgepackte Studiengänge, Zugangsbeschränkungen in modularisierten Programmen und Musterstudienordnungen, die für viele Studierende den Charakter einer heiligen Schrift angenommen haben, von der abzuweichen, bei ihnen Angst auslöst, hemmen die geistige Beweglichkeit jedoch nachhaltig.