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Wahlen in den USA

Aktivisten, Spenden und der Super-Duper-Dienstag

04.12.2007

Das sogenannte Caucus-System wird vor allem in Iowa praktiziert, neben New Hampshire einer der beiden Staaten, in denen traditionell zuerst die Vorwahlen stattfinden.

Das sogenannte Caucus-System wird vor allem in Iowa praktiziert, neben New Hampshire einer der beiden Staaten, in denen traditionell zuerst die Vorwahlen stattfinden.
Bildquelle: Aycan Zivana, fotolia

Bush ... Clinton ... Bush ... Clinton - was würden wohl künftige Historiker zu dieser Reihenfolge im höchsten politischen Amt der USA sagen, die nach dynastischen Konflikten in einer Monarchie klingt? Ein Erfolg der früheren First Lady Hillary Clinton ist nach Umfragewerten wahrscheinlich: Zu schlecht ist mit dem Ansehen des amtierenden Präsidenten auch das der Republikanischen Partei, als dass sich einer der Bewerber um die republikanische Kandidatur allzu große Hoffnungen auf die Präsidentschaft machen könnte. Und dennoch: Nicht nur kann sich bis November 2008 die Stimmung im Land ändern – auch „Hillary“ muss zunächst den innerparteilichen Wettstreit, die sogenannten Vorwahlen oder „primaries“, für sich entscheiden.

Nach welchen Regeln, formalen wie informellen, funktioniert dieser Vorwahlkampf? Welche Erfolgsaussichten haben die Kandidaten in den beiden großen Parteien? Und warum ist die amerikanische Kandidatenwahl auch für deutsche Beobachter von Interesse?

Die Einführung von Vorwahlen in der amerikanischen Politik war Teil der „progressiven“ Reformbewegung um die Wende zum 20. Jahrhundert, die unter anderem eine Professionalisierung und Demokratisierung der Politik anstrebte. Ämter sollten nicht länger Gegenstand von Patronage sein, und die Parteibasis sollte nicht länger von in „verrauchten Hinterzimmern“ ausgekungelten Entscheidungen ausgeschlossen werden.

Die USA wählen … vor

Die Einzelstaaten der USA und die Parteien selbst regeln die Gestaltung der Vorwahlen – die US-Verfassung erwähnt sie nicht, nicht einmal Parteien. Bei Präsidentschaftswahlen gibt es unterschiedliche Typen von Vorwahlen, denen gemeinsam ist, dass Delegierte zu nationalen Nominierungsparteitagen gewählt werden: Caucus, geschlossene Vorwahl, halbgeschlossene Vorwahl, offene Vorwahl. Beide Parteien schicken aber auch sogenannte „superdelegates“ zu ihren Parteitagen, gewöhnlich Amtsträger und Angehörige des Partei-Establishments. In einigen Staaten gibt es keine Vorwahlen, sondern nur nichtbindende „Schönheitswettbewerbe“; in diesem Fall verbleibt die Kandidatenkür beim Establishment der Partei.

Selten ist das sogenannte Caucus-System, das vor allem bekannt ist, weil es in Iowa praktiziert wird; neben New Hampshire einer der beiden Staaten, in denen traditionell zuerst die Vorwahlen stattfinden. Bei einem Caucus treffen sich auf lokaler Ebene zu einer vereinbarten Zeit an einem von 1.784 Orten die Unterstützer der verschiedenen Kandidaten und entscheiden durch bei den Republikanern geheime Wahl oder bei den Demokraten in einem komplizierten offenen Prozess, welche Kandidaten auf der nächsthöheren Caucus-Ebene wie stark vertreten sein sollen. Erst nach insgesamt vier Stufen stehen die Delegierten aus Iowa für den nationalen Parteitag der Demokraten fest.

Die meisten Staaten nutzen „geschlossene Vorwahlen“, bei denen nur diejenigen teilnehmen können, die als Mitglieder der Partei amtlich registriert sind. Eine Mitgliedschaft wie hierzulande, mit Parteibuch und Ortsverein, gibt es in den USA selten. Amerikaner sind Mitglied, wenn sie sich mit der Partei identifizieren, an den Vorwahlen teilnehmen und vor allem: spenden. Halbgeschlossene Vorwahlen erlauben auch den Nichtregistrierten (den sogenannten Unabhängigen) die Teilnahme an einer der Vorwahlen. Offene Vorwahlen erlauben jedem Wähler die Teilnahme – sie müssen sich aber für eine entscheiden. Ein als Demokrat registrierter Wähler kann in diesem Fall also bei der Vorwahl der Republikaner seines Heimatstaates abstimmen, nicht aber gleichzeitig bei der Vorwahl der Demokraten.

Was ist ein „Super- Duper-Dienstag“?

Bekanntlich bestehen die USA aus 50 sehr unterschiedlichen Einzelstaaten. Wie erreichen es die bevölkerungsarmen Staaten Iowa und New Hampshire, bei den Vorwahlen überhaupt eine Rolle zu spielen, wenn doch die Kandidaten in Kalifornien, New York oder Texas so viel mehr Delegierte sammeln können, die dann im Regelfall im Block für den Gewinner abstimmen müssen? Neben den formalen Regeln werden die Vorwahlen in den USA auch durch informelle Traditionen geprägt. New Hampshire hat per Gesetz festgelegt, dass die erste Vorwahl in den USA stets dort stattfinden muss; Iowa ist traditionell zweiter Bundesstaat. Ihre Relevanz erhalten New Hampshire und Iowa also durch den Schwung, den sich die Kandidaten von einem Sieg dort erhoffen – es wird vermutlich weltweit um keine Wähler mehr geworben als um die Bürgerinnen und Bürger dieser beiden Staaten. Nun könnte man annehmen, dass die Aufmerksamkeit von Politikern Übersättigungseffekte zeitigt, wie man sie im späteren Hauptwahlkampf in den sogenannten „battleground states“, also den vermutlich wahlentscheidenden Staaten, f ndet. Doch als Michigan 2007 versuchte, seine Bedeutung im Vorwahlkampf zu erhöhen und das Datum auf den 15. Januar vorzog – dieses „frontloading“ wird seit Jahren praktiziert und hat den Prozess immer weiter vorverlegt – war die Wirkung nachteilig: Um die Wähler in New Hampshire und Iowa nicht zu verprellen, einigten sich die Kandidaten darauf, in Michigan keinen Wahlkampf zu machen. Auch die bevölkerungsreichen Staaten müssten sich um ihre Bedeutung sorgen, denn ihre Vorwahlen können zu spät terminiert sein – wenn die Entscheidung schon gefallen ist, wird sich niemand mehr für sie interessieren. Daher gibt es neben dem „frontloading“ noch einen weiteren Weg, seinen Wert für die Kandidatenauswahl zu steigern: Zuerst haben die Staaten des Südens ihre Vorwahlen auf einen Tag gelegt („Super-Dienstag“); am 5. Februar 2008 wird es nun einen die Regionen übergreifenden „Super-Duper-Dienstag“ geben, an dem es dann nicht mehr um „Schwung“ für die Kandidaten zu Beginn des Wahlkampfs geht, sondern wahrscheinlich schon um alles oder nichts.

Alte Hasen und wilde Pferde


Gelingt es einem Außenseiter wie dem demokratischen Senator Barack Obama, große Teile der Basis für sich zu begeistern, kann er dem Partei- Establishment durchaus gefährlich werden.
Quelle: ullsteinbild

Gewöhnlich gibt es mindestens in einer der beiden Parteien einen klaren Favoriten. Entweder tritt der amtierende Präsident ein zweites und gemäß Verfassung letztes Mal an – oder der Vizepräsident will sein Nachfolger werden. Manchmal reicht ein guter Name für den Favoritenstatus, der im Fall von Hillary Clinton wohl umso glänzender klingt, je länger die Präsidentschaft Clintons zurückliegt und die Präsidentschaft Bushs andauert. Ein Sieg in der Vorwahl ist aber weder durch Amt noch Bekanntheitsgrad garantiert, und kein Favorit nimmt die Herausforderung der Vorwahl auf die leichte Schulter. Denn die Wahlbeteiligung liegt noch einmal deutlicher niedriger als die ohnehin schon niedrige Wahlbeteiligung in der Hauptwahl, nämlich bei ungefähr 20 Prozent. Und es beteiligen sich vor allem die Aktivisten in den Parteien – und die denken durchaus anders als die Durchschnittswähler: Bei den Demokraten sind sie weiter links, bei den Republikanern weiter rechts einzuordnen.

Daher können Außenseiter den vom Partei-Establishment und von den großen Spendern bevorzugten Kandidaten durchaus gefährlich werden, wenn es ihnen gelingt, große Teile der Basis für sich zu begeistern. Bei den Demokraten ist dies Barack Obama, ein junger afroamerikanischer Senator aus Illinois, der sich frühzeitig – als es noch nicht opportun war – und deutlich gegen den Krieg im Irak ausgesprochen hat und daher viele junge Wähler begeistert.

Mobilisierung von Wählern durch das Internet

Er sammelt viel Geld durch Kleinspenden – mehr als Hillary Clinton, die aber ebenfalls bereits 80 Millionen US-Dollar eingeworben hat – und nutzt stärker als andere die Möglichkeiten der „netroots“, also der Mobilisierung von Wählern durch das Internet. Als Amtsträger fällt es Obama nun aber weniger leicht, klar Position zu beziehen – zum Beispiel zur Frage der Rassendiskriminierung im Falle der sogenannten Jena 6, sechs afroamerikanischen Studenten, die nach einer Prügelei wegen Mordversuchs angeklagt wurden – und die Begeisterung nimmt entsprechend ab. Um die Position als Kandidat derjenigen, die „nicht Hillary“ wählen wollen, kämpft er vor allem mit dem ehemaligen Senator und Vizepräsidentschaftskandidaten John Edwards, dessen wirtschafts- und sozialpolitische Positionen bei denjenigen Gewerkschaften Unterstützung finden, die das Bekenntnis der Clintons zum Freihandel nicht teilen.

Bei den Republikanern fehlt der ideale Kandidat, wie es George W. Bush durchaus war. Niemand im Bewerberfeld vermag die wichtigsten Flügel der Partei überzeugend zu vereinen. Bush konnte die für die beteiligungsintensiven Wahlkampfelemente, den „ground war“, wichtige sozialkonservative, christliche Basis mit seinen Positionen wie seinem Auftritt genauso begeistern wie die Großspender aus der Wirtschaft, die die teure Fernsehwerbung des „air war“ finanzieren. Rudy Guiliani, ehemaliger Bürgermeister von New York und für viele ein Held des 11. Septembers, ist zum dritten Mal verheiratet und hat liberale Positionen zur gleichgeschlechtlichen Ehe und zur Abtreibung. Das macht ihn der wertkonservativen Basis suspekt. Mitt Romney, ehemaliger Gouverneur von Massachusetts, ist Mormone und für manche schon damit gleichermaßen problematisch. John McCain, Senator aus Arizona und gegen Bush noch der Außenseiter, beharrt gegen alle Umfragen auf seiner Unterstützung für den Irak-Krieg. Der Schauspieler und ehemalige Senator Fred Thompson, der am ehesten der neue, von den Republikanern erwünschte Ronald Reagan sein könnte, bleibt bisher blass. Sie alle haben viele Millionen US-Dollar an Spenden eingeworben, wobei der Abstand zu den beim Sammeln erfolgreicheren Demokraten so groß ist wie nie zuvor. Eine echte Begeisterung für einen der Kandidaten will jedoch nicht aufkommen. Kann sich die Welt angesichts dieser republikanischen Gemengelage bereits auf eine Präsidentin Hillary Clinton einstellen?


Fast schon zu viel Zeit wird im amerikanischen Wahlkampf auf das „Fundraising“ verwendet, und immer größere Rücksichten werden darauf genommen.
Quelle: iStockphoto

Letzte Hoffnung „Wählbarkeit“

Nein, denn Überraschungen gibt es immer wieder. Weder Großspender noch große Zahlen begeisterter Anhänger garantieren Vorwahlsiege. Die Wählerinnen und Wähler vor Ort müssen erreicht werden – durchreisende Aktivisten können diese sogar eher irritieren. John Kerry, abgeschlagen in den Umfragen, gewann 2004 den Iowa-Caucus, weil er ein Netzwerk lokaler Unterstützer hatte: die Feuerwehrgewerkschafter, die in allen Kommunen präsent und angesehen waren. Sein Sieg sorgte für den nötigen Schwung – den er dann allerdings im Hauptwahlkampf gegen Bush vermissen ließ.

Das letzte Pfund, mit dem sowohl Clintons innerparteiliche Konkurrenz als auch ihre möglichen republikanischen Gegner noch wuchern können, ist die Frage ihrer „Wählbarkeit“, ein immer wiederkehrender Topos amerikanischer Vorwahlen. Als der aussichtsreiche Außenseiterkandidat Howard Dean, ehemaliger Gouverneur von Vermont und Pionier der internetgestützten Mobilisierung einer jugendlichen und aktiven Basis, nach einer Rede im Vorwahlkampf gegen Senator John Kerry einen wilden Schrei ausstieß, der die Anwesenden begeisterte, ahnte er nicht, dass er damit nach Meinung vieler „Pundits“ – Meinungsmacher in alten und neuen Medien – nicht länger wählbar war, weil er im Fernsehen „verrückt“ gewirkt hatte. Seine Seriosität war infrage gestellt, und er erholte sich davon nicht mehr.


Wird Polit-Profi Hillary Clinton die erste Präsidentin der USA?
Quelle: ullsteinbild

Welche Position vertritt Hillary Clinton?

Hillary Clinton ist selbstverständlich viel zu vorsichtig, um solch einen Fehler zu begehen. Tatsächlich fällt es bei vielen Fragen eher schwer, überhaupt ihre Positionen klar auszumachen, und sie verhält sich stets kontrolliert staatsmännisch. Aber ihres „Ballasts“ konnte sie sich dadurch nicht entledigen: Als First Lady leitete sie eine Kommission zur Reform des amerikanischen Gesundheitssystems. Die allgemeine Zustimmung war groß in der Frage, ob das US-amerikanische System reformiert werden muss, weil es teurer ist als jedes andere weltweit und dennoch fast 50 Millionen Menschen nicht versichert und viele Millionen unterversichert sind. Dennoch scheiterte die Reform. Ob das Scheitern Hillary Clinton zuzuschreiben ist, lässt nicht so klar ausmachen wie die Tatsache, dass sie durch ihr selbstbewusstes Auftreten diejenigen nachhaltig gegen sich aufgebracht hat, die in ihr und ihrem Ehemann ohnehin die Personifizierung der „Gegenkultur“ der sechziger Jahre sehen wollten. Schließlich hatte sich die sozialkonservative Basis der Republikaner, die auch im Lager der Demokraten erfolgreich mobilisieren konnte, genau gegen diese gesellschaftlichen Strömungen formiert: gegen das Recht auf Abtreibung, gegen zu viel Liberalität, für „traditionelle“ Familienwerte – das heißt gegen eine zu starke Rolle der Frauen und nicht zuletzt gegen die scheinbare Bevorzugung von Minderheiten, insbesondere der Afro-Amerikaner, durch den Wohlfahrtsstaat.

Blick aus Deutschland

Es lohnt sich, den amerikanischen Vorwahlkampf zu verfolgen – nicht nur, weil der künftige Präsident des immer noch mächtigsten Landes der Welt aus ihm hervorgehen wird. Neue Trends in der professionalisierten Wahlkampfgestaltung werden hier zuerst erprobt, beispielsweise immer neue Wege, möglichst viele Daten über die Wähler zu ermitteln und zu dokumentieren, um sie gezielt ansprechen zu können – ein Blick auf eine mögliche Zukunft. Diese wäre aus demokratischer Sicht in vielerlei Hinsicht wenig erfreulich: Immer mehr Zeit wird auf das „Fundraising“ verwendet, das Einwerben von Spenden, und immer größere Rücksichten werden dafür genommen. Und so dienen die Vorwahlen kaum noch dazu, grundsätzliche Diskussionen über die Zukunft des Landes zu führen. Die Republikaner können sich trotz der allgemeinen Unzufriedenheit über den Irak-Krieg immer noch auf Konstanten ihrer Agenda einigen – auch wenn die unbedingte Politik niedriger Steuern künftig wohl zugunsten ausgeglichener Haushalte etwas zurückgenommen wird. Den Demokraten, die seit Langem in viele Gruppierungen zersplittert sind, gelingt es jedoch nicht, eine eigenständige Vision jenseits der Schwächung republikanischer Politik zu entwickeln. Dabei wären grundsätzliche Diskussionen über die angemessene Rolle des Staates in der Wirtschaft spannend genug, um die Spekulationen einer erneuten Kandidatur des Nobelpreisträgers Al Gore oder die sensationshungrige Berichterstattung über immer neue, auch persönliche Angriffe auf die Gegner im ewigen politischen „Pferderennen“ vergessen zu machen.