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Von Macondo zu McOndo

Literarische Reflexionen der Amerikas im 20. Jahrhundert

04.12.2007

Die Trennung zwischen Nord und Süd verwischt zusehends - vor allem die Grenze zwischen den USA und Mexiko wird immer durchlässiger.

Die Trennung zwischen Nord und Süd verwischt zusehends - vor allem die Grenze zwischen den USA und Mexiko wird immer durchlässiger.
Bildquelle: Vincent Pelikan

Die Gründungsromane der Zeit der Unabhängigkeit Lateinamerikas im 19. Jahrhundert schufen vor allem nationale Einigungserzählungen in Abgrenzung von Europa. Die lateinamerikanischen Entwürfe in Abgrenzung zu den USA entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts eher in der Essayistik, sowohl in Süd- und Zentralamerika als auch in der Karibik. Die literarische Produktion bis zum lateinamerikanischen Boom wurde auf jeden Fall von der Literaturkritik in eine kontinentale Perspektive gestellt und im Hinblick auf eine eigenständige lateinamerikanische Literatur analysiert.

Mit den Prozessen der Globalisierung, der gewandelten Wahrnehmung des geopolitischen Raums durch Waren- und Wissensströme und durch die Bewegungen von Transmigranten zwischen ihrem Herkunftsort und ihrem Arbeits- und Lebensort verändert sich seit den 1980er Jahren der Blick auf Amerika. Die Trennung zwischen Nord und Süd verwischt zusehends. Insbesondere die Grenze zwischen den USA und Mexiko wird immer durchlässiger, den perfekten Bewachungsmethoden zum Trotz.

Die vermeintlichen Entitäten Latein- und Nordamerika werden unterwandert, das gestiegene Interesse an den verschiedenen argentinischen, chilenischen, kubanischen, zentralamerikanischen Diaspora-Gemeinschaften in den europäischen und amerikanischen Metropolen stützt diese Beobachtung. Die Positionen, von denen aus Amerika entworfen wird, haben sich entsprechend vervielfältigt.

Tendenz zur Abgrenzung

Der Tendenz zur Abgrenzung hat sich am Ende des 20. Jahrhunderts eine Neuaneignung, eine Verschiebung und Offenheit für den Dialog hinzugesellt. Dem einen Amerika, mit dem zumeist die USA und erst in zweiter Linie ein „iberoamerikanisches“ Amerika gemeint ist, stellen sich die „anderen“ Amerikas gegenüber, die Identitäts- und Raumentwürfe der ethnischen, politischen und ökonomischen Minderheiten, das indigene Amerika (Amerindia), das Afro-Amerika in nationalen und supranationalen Entwürfen.

Diese Prozesse finden Ausdruck in Aneignungen und Einschreibungen in die Namensgebung: América mit Akzent beschreibt nicht nur die Hispanisierung der USA, sondern entwirft auch einen transregionalen interamerikanischen Raum mit Süd-Nord-Ausrichtung; dem „Amerikkka kristianizante kolonizante kapitalizante“ stellt der Chicano-Poet Alurista in der Hochkonjunktur der Chicano-Bewegung in den 1960er Jahren Aztlán und Amerindia gegenüber; L’autre Amérique prägt der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Edouard Glissant als das Andere des weißen Amerikas.

Im ausgehenden 20. Jahrhundert haben zwei Regionen, die in Bezug auf ihren politischen und geostrategischen Einfluss als „Randgebiete“ Lateinamerikas gelten, konzeptionell an Bedeutung für das „Denken der Amerikas“ gewonnen: die Karibik und das Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA.

Der karibische Raum trägt eine Vielzahl theoretischer Modelle und Texte bei, um die transkulturellen Prozesse auf dem amerikanischen Kontinent zu beschreiben und die „eigene“ Identität als vernetzt und mit vielfältigen Bezügen zu verstehen (Poetik der Relationalität).

Hemisphärische Identität der Amerikas

Der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Dash plädiert 1998 in The Other America (in Anlehnung an Edouard Glissant) für eine hemisphärische Identität der Amerikas, die von der Karibik aus gedacht wird: Diese Region habe die Prozesse der Kolonisation und Dekolonisation und der damit verbundenen Transkulturation exemplarisch und in aller Schärfe durchlaufen. Obwohl die Region im Zusammenhang mit Lateinamerika oft vergessen oder ignoriert wurde und strategisch lange kein Gewicht hatte, hat sie Laborcharakter beim Kulturkontakt. Das archipelische Denken des Kubaners Antonio Benitez-Rojo beruht auf der Metapher des Archipels als „diskontinuierlicher Verbindung“ im geografischen ebenso wie im kulturellen und ökonomischen Sinn, als fragile Verbindung sowohl zwischen den Inseln der Karibik als auch zwischen den beiden Amerikas.

Alejo Carpentiers Wunderbar-Wirkliches („real maravilloso“) und Gabriel García Márquez’ magisch-realistische Form der „Dorfl iteratur“ sind zwei oft zusammengefasste Versuche, das Lateinamerikanische, genauer die lateinamerikanische Literatur nicht nur autonom von der europäischen, sondern als transkulturelle und unkontrollierbare Gegenidentität zu etablieren. Die schöpferische Leistung von Austauschprozessen, die sich im magischen Realismus vollziehen, wurde als Quelle einer eigenständigen lateinamerikanischen Ästhetik gedeutet: Austauschprozesse zwischen Genres (Realismus und Phantastik), Weltsichten (Magie und Logik) und Traditionen (Schriftlichkeit und Mündlichkeit).  Der magische Realismus entsprach der Frage nach dem Besonderen in der lateinamerikanischen Literatur mit der literarischen Konstruktion einer anderen, magisch-mythischen Realität, die durch Oralität und durch zyklisches Nach-, Neu- und Umerzählen die Dinge in eine neue Ordnung bringt und eine neue Realität schafft.

Der Kubaner Carpentier unterscheidet 1949 im Vorwort zu seinem Roman über die haitianische Revolution Das Reich von dieser Welt die karibische Wirklichkeit als das reale Wunderbare und die daraus entstehende Kultur und Literatur von dem „erfundenen“ Wunderbaren ästhetischen Entwürfe der französischen Surrealisten. Macondo ist der 1967 von Gabriel García Márquez in Hundert Jahre Einsamkeit geschaffene Ort, an dem Magisches und Reales ineinanderfließen.

100-jährige Familiengeschichte der Buendías

Der Roman erzählt die 100-jährige Familiengeschichte der Buendías und die Historie des von ihnen gegründeten Macondo. Hier kehren die Toten aus dem Jenseits zurück, bewegen sich Menschen auf fliegenden Teppichen durch die Lüfte, verstört eine Schlaflosigkeitsepidemie das Dorf, das ein anderes Mal vier Jahre, elf Monate und zwei Tage eingeregnet wird. In zyklischen Schleifen, doch halbwegs chronologisch, beschreibt der Roman Macondos 100-jährige Entwicklung vom Dschungeldorf zur modernen Gemeinde und streift alle zentralen Stationen der lateinamerikanischen und kolumbianischen Geschichte.

Dieses Macondo ist an viele andere Orte exportiert, übertragen und transformiert worden. Zu einem Zeitpunkt, an dem die lateinamerikanischen Literaten längst andere Wege beschreiten und die Kritik das Diktum des magischen Realismus längst durchbrochen hat, werden die am Erzählmodell des magischen Realismus orientierten Romane – Isabel Allendes Geisterhaus (1981 im Original) und Laura Esquivels Bittersüße Schokolade (1992) – zum erfolgreichen Exportschlager in die USA und nach Europa. Diese erfolgreiche Rezeptionsgeschichte fi ndet sich auch im Export der Schreibweise: Die US-Latino-Literatur, die Literatur der Native Americans und andere ethnisch definierte Literaturen übernehmen Erzählstrukturen und Versatzstücke einer lokalen Kultur, die sich auf magisch-realistische und mündliche Traditionen besinnt. Cecile Pinedas The Love Queen of the Amazon: A Novel (1992), Ana Castillos So Far From God (1993) sowie Leslie Marmon Silkos Ceremony (1977) greifen auf diese zurück oder werden von der Kritik in diesen Zusammenhang gestellt. Es ist grundsätzlich darüber gestritten worden, ob Macondo selbst nicht schon das Symbol einer tropischen Drittwelt-Postmoderne avant la lettre sei, dafür spräche seine weitreichende Wirkung in Afrika und Asien.

Schon längst in Lateinamerika angekommen: McDonald’s.
Quelle: Vincent Pelikan

Grenzräume und Kontaktzonen als neues Paradigma

Auf diese Erfolgsgeschichte beziehen sich jedenfalls jene „jungen Wilden“, die 1996 das magische „Macondo“ ablösen wollen und ein Manifest unter dem Titel McOndo verfassen. Die Chilenen Alberto Fuguet und Sergio Gómez, Herausgeber der gleichnamigen Anthologie, positionieren sich als neue Generation, und als langweilig und stereotyp stempeln sie den magischen Realismus à la Gabo ab – mit diesem Namen unterzeichnete Márquez seine Zeitungskolumnen viele Jahre lang. Im McOndo-Manifest wird der nordamerikanische Nachbar in den Blick genommen. Die Autoren distanzieren sich von dem, was dort als Latino-Literatur verstanden wird, und wenden sich gegen einen essentialistischen Reduktionismus des Realistisch-Magischen als Inbegriff lateinamerikanischer Identität und Kultur. Dabei wird ihre Position in den mittel- und südamerikanischen Diskussionen um Literatur längst geteilt. Die Welt der McOndistas ist eine Informationsgesellschaft, vernetzt und global. Ihr Ansatz dekonstruiert Lateinamerika als das ausschließlich Indigene, Folkloristische, Linksdenkende und konstruiert eine Generation „post-alles: post-modern, post-yuppie, post-kommunistisch, post-babyboom“. Es umfasst die Populärkultur der Telenovelas, MTV latina, Miami als Umschlagplatz von Migrationsrouten, NAFTA sowie andere Realitäten wie Umweltverschmutzung, Megacities und natürlich McDonald’s.

So nah und doch noch so fern: die USA.
Quelle: Vincent Pelikan

Grenzraum zwischen Mexiko und den USA

Grenzräume und Kontaktzonen als neues Paradigma der Amerikas: Die Reise gen Norden, die Latin(o)isierung der USA, die Gemeinschaften karibischer und südamerikanischer Migranten in Kanada haben das Bild, das sich uns bietet, in Richtung der Amerikas verändert, die physisch, ökonomisch, sozial und kulturell miteinander verschränkt sind. Die literarischen und kultur theoretischen Entwürfe sind vielfältig und setzen konzeptuell an unterschiedlichen Punkten an: Was bei McOndo fehlt, wird bei Entwürfen marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten deutlich, insbesondere bei feministischen Konzepten. Sie alle diskutieren kollektive Entwürfe, wenn auch auf einer prekären Basis von fragilen und temporären Aushandlungsergebnissen von Identitäten. Dazu gehört auch die „literaturagay“ des chilenischen Autors Pedro Lemebel, der die Grenzräume der Norm mit seiner exaltierten Figur der „loca latinoamericana“ in der Auseinandersetzung mit einem globalisierten Bild des Homosexuellen auslotet. Brücke ist eine Metapher, die schon im Zusammenhang mit der karibischen Poetik der Beziehungshaftigkeit auftrat und die aus den feministischen Entwürfen entsteht. In der 1983 veröffentlichten Anthologie This Bridge Called my Back von Texten farbiger Frauen ist der Titel Programm und bezieht sich auf die US-drittweltfeministische Praxis der Übersetzungs- und Vermittlungsarbeit zwischen kulturell und historisch unterschiedlichen Standpunkten, bei der die verschiedenen Amerikas metaphorisch auf dem Körper der woman of color ausgehandelt werden.

Das baldige Verschwinden dieser Grenze

Das bekannteste Grenzgebiet, Gegenstand einer Vielzahl von Studien und einer neuen Disziplin der Border Studies, ist der Grenzraum zwischen Mexiko und den USA. Ist der Grenzraum vor allem ein geopolitischer Raum, der das Nationale und die Identität homogen gedacht infrage stellt, so wird er mit dem veränderten Bild der Amerikas zusammengebracht. Als Interaktionsraum, ein theoretisches Konzept, das das Ende eines Staatsgebietes mit einem transnationalen und transkulturellen Raum verschränkt, lässt es Macht- und Herrschaftsräume auf besondere Weise sichtbar werden. Denn an dieser überdeterminierten Grenze kommen eben nicht nur Mexiko und die USA zusammen, sondern auch Anglo- und Hispanoamerika, Nord- und Südamerika, Erste und Dritte Welt, aber auch Hightech-Phantasien und indianische Rituale. Dieses Verständnis des Grenzraums präsentierte Gloria Anzaldúa 1987 in einer nunmehr schon historischen Utopie, die in den geopolitischen und physischen, aber auch sexuellen, psychischen und spirituellen Grenzräumen angesiedelt ist. 14 Jahre nach dem Erscheinen von Anzaldúas Text konstatiert das Time Magazine: „Entlang der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze, wo Herzen und Hirne, Geld und Kultur miteinander verschmelzen, wird das Jahrhundert der Amerikas geboren.“

Grenzschamane und Hightech-Azteke

Hier wird einer zahlenmäßigen Realität – den Latinos als größte ethnische Minderheit in den USA – Rechnung getragen und der Grenzraum und die Amerikas konkret zusammengedacht; überschwänglich wird gar das baldige Verschwinden dieser Grenze prophezeit. Dies greift zu kurz und beschreibt nur einen Ausschnitt der Grenzraum-Realität: die freie Zirkulation von Gütern. Diese Betrachtung lässt zugleich außer acht, dass dieselbe Grenze mehr denn je bewacht wird und für bestimmte Menschen unüberwindlich ist.

Dass aber mit dem Paradigma der Grenze eine neue Perspektive und ein entsprechendes analytisches Instrumentarium im Rahmen der American Studies aufgerufen werden, um der „interamerikanischen“ Realität des nordamerikanischen Alltags gerecht zu werden, scheint eine angemessene Schlussfolgerung, für die Publikationen wie Border Matters von José David Saldívar (1997) bezeichnend sind. Damit nimmt die US-amerikanische Forschung auf, was Nestor García Canclini bereits 1990 in seinem Buch Hybride Kulturen herausstellt: Der Grenzraum ist ein Labor der Postmoderne. An Canclinis optimistischer Sicht auf die Möglichkeiten der Hybridisierung und auf ihren Charakter der Avantgarde entzündete sich eine Polemik um die weniger euphorische, materielle Seite der illegalen Grenzüberquerung, um die Gewalt an der Grenze, aber auch um die alltäglichen regulären Arbeitsmigranten. Diese Kritik wurde auch an Anzaldúas Grenzutopie herangetragen. Die Grenze als Ort von Kulturproduktion ist ein Moment, das auch die Künstler und Aktivisten in Tijuana oder Ciudad Juárez einfordern und durch ihre Texte, Performances und Installationen einbringen.

Der Performance-Künstler Guillermo Gómez-Peña, der aus Mexiko-Stadt stammt und seit einigen Jahrzehnten in den USA lebt, ist mit seinen Performances an der und über die mexikanische Nordgrenze vor allem in Kreisen der Literatur- und Kulturtheoretiker berühmt geworden. In seinen Performances, die dem Publikum als Textversionen mit Bildern, als Internet-Installationen und Live-Performances zugänglich sind, ersetzt er die konventionelle Landkarte Amerikas mit einer neuen Weltordnung, The New World Border (1996): „a great trans- and intercontinental border zone, a place in which no centers remain“.

Die Namen der Performances „Grenzschamane“ oder „Der Hightech-Azteke“ sprechen für sich: Gómez-Peña setzt einander ausschließende Konzepte zusammen.

 Er inszeniert das andere Amerika, das jenseits der durch die Kolonialzeit geprägten Landkarte von Nord-, Mittel- und Südamerika sichtbar wird: „Hybridamerica“, „Transamerica“ neben den klassischeren „Amerindia“, „Afro-America“ und „Americamestiza-y-mulata“. In Gómez-Peñas Entwurf  des anderen Amerikas sind das Mobile, das Unreine, die absurd anmutende Mischung zentral. Eine Dichotomie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch eine Rolle spielte, wird unterlaufen – das technisierte Angloamerika gegen das indigene, kulturtragende Amerindia. War auch in Macondo die Eisenbahn als Inbegriff von Modernisierung und Technisierung noch das Fremde, das die Dorfbewohner sich aneignen mussten, so erhält die Technisierung – verkörpert in der Figur des Cyborg als Synthese aus Mensch und Maschine, Lebendigem und Nichtlebendigem – Eintritt in die Ikonographie der Latinos. Und nicht nur das, sie wird zum integrierten Bestandteil, der allerdings in den verschiedenen Entwürfen durchaus ambivalent ausfällt: Sowohl in Gómez-Peñas Texten als auch in denen verschiedener Chicano-Autoren taucht diese Figur im Zusammenhang mit den Identitätsentwürfen zu den Amerikas auf.

Tijuana, das neue Macondo?

Tijuana, das neue Macondo? Der in Tijuana lebende Autor und Akademiker Heriberto Yepez versucht in seinem Roman A.B.U.R.T.O. (2005) mit einem konzeptuellen Rundumschlag, die einst abseits gelegene Grenzstadt als neues dekonstruiertes Zentrum zu lesen, das nicht nur mexikanische Geschichte erläutern soll, sondern auch ein neues Macondo gründen will, als Ort, an dem die Amerikas verhandelt werden. Er untersucht die Geschichte des vermeintlichen Mörders eines mexikanischen Präsidentschaftskandidaten im März 1994 in einem Armenviertel Tijuanas. Die Geschichte um die Kompromittierung der politischen und intellektuellen Eliten, ihre Gewaltbereitschaft und die allgemeine Gewaltdurchdringung der zwischenmenschlichen Beziehungen sowohl in den Ober- als auch in den Unterschichten spitzt sich in diesem Grenzraum zu, der in der Tradition lange als gesetzlos, gewalttätig, korrupt, lasterhaft und chaotisch galt. Es ist ein Ort, an dem alles passieren kann und der zugleich das Abbild der postmodernen, „post-NAFTA“-Gesellschaft ist. Die göttliche Mission des Protagonisten, eines Maquila-Arbeiters, der unter dem Borderline-Syndrom leidet und mit der von ihm bedienten Maschine ganz verschmolzen ist, besteht in der (hyperrealistischen) Öffnung der Grenze, die als virtuelle Realität dargestellt wird.

Tijuana ist mit seiner Zwillingsstadt San Diego ein neuer urbaner Raum, der all die postmodernen Deterritorialisierungen aufweist, die auch für andere Großstädte gelten.
Quelle: wikipedia

Nord und Süd rücken nicht nur näher, sie durchdringen einander, bilden Allianzen politischer, imaginärer, utopischer und dystopischer Natur. Inhalte und Stile nähern sich an. Neue Räume und Topografi en werden zu Trägern neuer Visionen der Amerikas. Der Paradigmenwandel hin zu den Amerikas lässt sich an verschiedenen Punkten erkennen. Territoriale Entwürfe des Grenzraums wie in Yepez’ Tijuana, als Territorium und metaphorischer Raum in Anzaldúas Borderlands / La Frontera und der Raum des Transnationalen und der Bewegung bei Gómez-Peña betonen unterschiedliche Aspekte der Relationalität. McOndo als imaginäres Land vereint Nord und Süd in den künstlerischen Projekten und Alltagspraktiken. Was Amerika bedeutet, bleibt nach wie vor umkämpftes Terrain: Walter Mignolo sieht „das alte ‚Latein‘-Amerika“ in seinem 2006 erschienenen The Idea of Latin America in eine Vielzahl politischer Projekte explodieren, die neue Kartografien hervorbringen.

Der veränderte Blick des „Hemisphärischen“

Bei aller Differenzierung ist der veränderte Blick des „Hemisphärischen“ eine Tatsache. Die Poetik der Verbindung und das archipelische Denken haben diese auf der Grundlage des Nachdenkens über transkulturelle Prozesse ermöglicht. Bewegungen der Deterritorialisierung kennzeichnen diese Position, die literarische Produktion der kubanisch-amerikanischen, haitianisch-amerikanischen, mexikanisch-amerikanischen sowie karibisch-amerikanischen Autorinnen, der Nuyorikaner, zieht neue Verbindungen zwischen den Ursprungsorten und der Diaspora. Einst abgelegene Orte werden zu dekonstruierten Zentren.

Tijuana ist mit seiner Zwillingsstadt San Diego ein neuer urbaner Raum, der vernetzt und ohne Zentrum all die postmodernen Deplatzierungen und Deterritorialisierungen aufweist, die auch für andere Großstädte in den Amerikas gelten. Wenn die Grenze bis nach Chicago oder Santiago de Chile reicht, dann deutet sie die Perspektive des Hemisphärischen, ein Hybrid- und Transamerika an.