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Matthias Manych: Hochgeschwindigkeitsschleuse in der Zellmembran

Hochgeschwindigkeitsschleuse in der Zellmembran

Wassermoleküle rasen bei Bedarf durch die Zellmembran

von Matthias Manych

Wasser ist nicht nur das wichtigste Lebensmittel, es transportiert auch Aufbaustoffe, Energieträger und Abbauprodukte, ist ein sehr gutes Lösungsmittel und stabilisiert die Zellform. Für die Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Wasserhaushalts sorgen Eiweiße in den Zellmembranen, so genannte Aquaporine.

Diese Moleküle sind wahrscheinlich sehr früh in der Evolution entstanden, denn sie finden sich heute bei allen Lebewesen, auch bei Bakterien. Prof. Dr. Walter Rosenthal vom Institut für Pharmakologie der Freien Universität Berlin ist seit vielen Jahren den Funktionen der verschiedenen Aquaporine auf der Spur: „Immer dann, wenn es auf schnellen Wasseraustausch ankommt, wie zum Beispiel in der Niere, spielen sie eine ganz entscheidende Rolle.“ Der Arzt untersucht Behandlungsmöglichkeiten krankheitsbedingter Störungen des Wasserhaushalts. Aquaporine sind für ihn ein interessantes „drug target“.Der Mensch muss trinken, um zu überleben. Bereits bei einem Wasserverlust von etwa 0,5 Prozent des Körpergewichts wird dem Gehirn „Durst“ gemeldet. Doch dann, so die Meinung von Ernährungsexperten, ist es eigentlich schon zu spät – gesünder ist regelmäßiges Trinken.

Menschen mit Diabetes haben, auch wenn sie ständig ihren Flüssigkeitsbedarf decken, sehr häufig Durst, denn sie müssen oft Wasser lassen. Der verbreitete Diabetes mellitus erhielt die einprägsame Bezeichnung Zuckerkrankheit. Denn „mellitus“ bedeutet „süß wie Honig“ und bei Ärzten längst vergangener Zeiten war noch die Geschmacksdiagnostik des Urins üblich. So kam auch der weitaus seltenere Diabetes insipidus, an dem ungefähr drei von einer Million Menschen erkranken, zu seinem Namen: „insipidus“ heißt „ohne Geschmack“. Diabetes-Patienten scheiden zwischen drei und 25 Liter verdünnten Urin aus – normal sind ein bis zwei Liter pro Tag, denn unsere Nieren sind hervorragende Filter: Innerhalb von 24 Stunden fließen etwa 1500 Liter Blut durch die beiden Organe. Hieraus entstehen im Laufe des Tages durch Filtration zunächst circa 180 Liter Primärharn. Dieser wird auf eine Menge von ein bis zwei Liter konzentriert, die als Urin in die Blase gelangen. Alles andere bleibt dem Organismus erhalten.


Wer Sport treibt, muss viel trinken; Foto: Tetrapak

Um den Wasserhaushalt im Gleichgewicht zu halten und um bei Verlusten, zum Beispiel durch Schwitzen während des Sports, spontan reagieren zu können, muss die Wasserrückgewinnung in der Niere schnell gehen. Das ist die Spezialität der Aquaporine. Drei Milliarden Wassermoleküle werden in der Sekunde durch einen zentral in den Proteinmolekülen gelegenen Kanal geschleust, der zwei millionstel Millimeter (Nanometer) lang ist. Die engste Stelle ist mit 0,3 Nanometer gerade groß genug für ein H2O-Molekül. Zwar könnten den Kanal bei dieser Größe auch andere chemische Substanzen passieren, doch Aminosäuren des Aquaporins, deren Enden in den Kanal zeigen, sorgen für eine elektrostatische Sperre: Nur Moleküle mit passender elektrischer Ladung, in diesem Fall H2O, können durchschlüpfen.

Ihrer Funktion als Hochgeschwindigkeitsschleuse entsprechend, sitzen Aquaporine in der Zellmembran. Es sind aber nicht einzelne Moleküle, die eine Brücke zwischen Außen- und Innenmedium bilden. „Mit elektronenmikroskopischen und chemischen Analysen konnte gezeigt werden, dass sich diese Moleküle zusammenlagern. In der Membran sind immer vier Moleküle vereint, bilden also ein Tetramer“, erklärt Walter Rosenthal. Bei Bedarf können bis zu 50.000 dieser „Viererpacks“ in die Nierenzellmembran eingebaut werden. Die Steuerung ist ein spannender biologischer Prozess, der besonders gut am Aquaporin 2 untersucht ist. Es sitzt im unteren Teil der Nieren, in den Epithelzellen des Sammelrohres, in dem der Primärharn ankommt.

Registriert das Gehirn die Meldung „Wassermangel“, wird als Signalvermittler zwischen Hirn und Nieren das Hormon Vasopressin von seinem Speicherort, der Hirnanhangdrüse, in die Blutbahn ausgeschüttet.


Einzelnes, also monomeres Aquaporin-Molkül mit zentralem Wasserkanal; Abbildung: FMP

In der Niere angekommen, dockt Vasopressin an passende Rezeptoren auf den Epithelzellen an. Das ist das Zeichen für die Zellen, ihre Membran verstärkt mit Aquaporinen auszustatten. Vasopressin öffnet sozusagen die Schleusen, und das geht schnell, hat Rosenthal herausgefunden: „Wir haben das als Erste in Zellen zeitaufgelöst untersucht, die Arbeit ist letztes Jahr erschienen. Es dauert rund 10 Sekunden, bis die Aquaporine die Zelloberfläche erreicht haben.“ Die tetrameren Proteine befinden sich zunächst in kleinen Membranblasen (Vesikel) verpackt in einer Parkposition. Auf Zeichen, und damit absolut bedarfsgerecht, geht es im Vesikelshuttle zur Zellmembran, in der sich die Vesikel auflösen und die Aquaporine in die Zellmembran entlassen. Der Prozess ist als Exozytose bekannt und dient dazu, zum Beispiel Enzyme oder Botenstoffe aus der Zelle herauszutransportieren. „Die Zelle nutzt den Exozytoseprozess auch, um die vielen verschiedenen Membranproteine in die Plasmamembran zu inkorporieren. Das Besondere beim Aquaporin 2 ist, dass der Vorgang hier streng reguliert wird“, erläutert der Molekularforscher.

Leider ist dieses Hochleistungssystem nicht völlig vor Defekten geschützt. Beispielsweise kann aus der Hirnanhangdrüse zu viel Vasopressin freigesetzt werden. Dann nehmen die Nieren noch mehr Wasser auf und es kommt zu dem seltenen Krankheitsbild der Wasserintoxikation, also einer „Überwässerung“ des Körpers. Hieraus wird besonders deutlich, weshalb Vasopressin auch als antidiuretisches Hormon (ADH) bezeichnet wird: Es reduziert die Harnbildung (Diurese). Der umgekehrte Fall, ein Vasopressinmangel, ist eine der Ursachen für den Diabetes insipidus. Verantwortlich sind meist Tumore des Gehirns beziehungsweise der Hirnanhangsdrüse. Aber auch bei normaler ADH-Produktion kann dieser Diabetes entstehen – durch einen angeborenen Fehler: Der Rezeptor für das Hormon kann durch eine Mutation verändert sein. Wie das Aquaporin, so wird auch der Rezeptor aus dem Zellinneren zur Membran transportiert.

Wegen der Mutation bleibt er aber in der Zelle stecken. Das Hormon kann nicht andocken und weil das Signal ausbleibt, wird auch der Vesikelshuttle des Aquaporins nicht aktiviert. Man spricht dann von einem nierenbedingten (nephrogenen) Diabetes insipidus. Gelegentlich, aber viel seltener als der Vasopressin-Rezeptor, ist auch das Aquaporin 2 von einer Mutation betroffen. Wenn die mutierten Aquaporin-Tetramere nicht zur Zellmembran gelangen, ist der Wasserhaushalt gestört. Interessanterweise kann Diabetes insipidus auch durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen erworben sein, so bei der Lithiumtherapie von manisch-depressiven Patienten.


Modell des antidiuretischen Hormons Vasopressin; Abbildung: FMP

Seit rund zehn Jahren erforscht Walter Rosenthal schon die Aquaporine. Dabei geht es ihm natürlich auch darum, pharmakologische Therapieansätze zu entwickeln. „Derzeit gibt es ein EU-Projekt, in dem so genannte Aquaplaques, also Stopfen, entwickelt werden sollen, mit denen man Aquaporine pharmakologisch verschließen kann. Die Aquaplaques könnten bei der Wasserintoxikation eingesetzt werden“, so Rosenthal. Parallel wird ein anderer Weg beschritten. Dabei blockieren Wirkstoffe, so genannte Antagonisten, den Rezeptor für Vasopressin und damit die gesamte Signal-Transport-Kaskade für Aquaporin. Wegen der fehlenden Wasserkanäle in der Zellmembran wird wieder mehr Wasser über den Urin ausgeschieden. Die Mittel, die bisher nur innerhalb von Studien eingesetzt werden, heißen Aquaretika. Eine weitere Angriffsebene bietet der Signalweg in der Zelle. Hier setzen Rosenthal und sein Team den Hebel an. Dabei wollen sie die Aktivität bestimmter Enzyme und den Auf- beziehungsweise Abbau von Botenstoffen beeinflussen, um den Einbau von Aquaporin 2 in die Zellmembran zu verstärken und somit dem Diabetes insipidus entgegen zu wirken. Walter Rosenthal charakterisiert den Forschungsansatz so: „Wir versuchen, mit der Arzneitherapie immer näher an den molekularen Ursprung des Krankheitsprozesses heranzurücken. Je besser uns das gelingt, desto spezifischer können wir eingreifen.“

Hilfe gibt es mittlerweile auch für eine andere Gruppe von Patienten. Der Organismus von Kindern, die an Enuresis nocturna – dem nächtlichen Einnässen – leiden, produziert nachts zu viel Harn. Ursache ist meist eine verminderte Produktion von Vasopressin. Diesen Kindern kann das synthetische antidiuretische Hormon Desmopressin gegeben und so wieder ein Durchschlafen erreicht werden. Dieses ADH mit lang anhaltender Wirkung soll nun zu einer kürzer wirkenden Form verändert werden, so der Berliner Wissenschaftler. Dadurch könnten Nebenwirkungen vermieden werden. Auch ältere inkontinente Personen könnten dank solcher Medikamente wieder unbeschwerter unter Menschen gehen.

Die Aquaporine mit ihren Wasserkanälen haben eine noch sehr junge Entdeckungsgeschichte, die erst Ende der 1980er Jahre beginnt. Ihr Entdecker, der US-Amerikaner Peter Agre, erhielt für seine Arbeit aber schon 2003 den Nobelpreis. Mittlerweile geht man von über zehn verschiedenen Aquaporinen aus, wobei bisher nur von einigen wenigen verstanden wird, wie sie funktionieren. Aber Walter Rosenthal ist sich sicher, dass in den kommenden fünf Jahren das biologische Verständnis für diese Proteingruppe erheblich zunehmen wird und ergänzt: „Die Verleihung des Nobelpreises an Peter Agre unterstreicht, wie aktuell und wichtig dieses Forschungsgebiet ist.“