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Vorwort

Altern beginnt mit der Geburt

Dr. Felicitas von Aretin

Lange Zeit ist die deutsche Gesellschaft mit ihren „Alten“ nicht eben zimperlich umgegangen, hing die Gesellschaft dem Bild einer alterslosen Jugend nach, die von der Werbung bis hin zum Sportstudio propagiert wurde. Seit einigen Jahren ist eine Trendwende zu beobachten, werden die jungen Alten in einer immer älter werdenden Gesellschaft zunehmend populär. An der Freien Universität nehmen Forschungen über Generationen, Lebenslauf und Gender einen bedeutenden Platz ein, der im Rahmen des Cluster-Prozesses neuen Aufschwung gewinnen wird. In zwei Essays gehen die beiden führenden Berliner Altersforscher Prof. Dr. Paul Baltes und Prof. Dr. Martin Kohli Fragen der alternden Gesellschaft unter psychologischer und soziologischer Sichtweise nach.

Der gesellschaftliche Umgang mit älteren Menschen war in der Geschichte einem interessanten Wandel unterworfen. Mit der Art und Weise, wie antike Gesellschaften alte Menschen integrierten, beschäftigen sich zwei Beiträge von Prof. Dr. Ernst Baltrusch und Prof. Dr. Johannes Renger. Der Komparatist Bernd Blaschke geht auf amüsante Weise den Altersphantasien in der modernen Literatur nach und erzählt von weisen Hausvätern, eingebildeten Kranken und resignierten Alten.

Mit dem Prozess des Älterwerdens beschäftigt sich eine Reihe von Beiträgen, die den Wandel im Selbstverständnis älterer Menschen betonen. Der Humanbiologe Prof. Dr. Carsten Niemitz spürt in einem Interview generellen Fragen des Älterwerdens nach. Die Archäozoologin Dr. Cornelia Becker gibt einen spannenden Einblick in ihr ungewöhnliches Forschungsgebiet: Anhand von Überresten von Mahlzeiten und zerschlagenen Tierknochen, kurz von menschlichem Müll, entwickelt Cornelia Becker eine Umwelt- und Sozialgeschichte unserer Vorfahren und berichtet von fernen Glaubenswelten und Opferbrauchtum.

Ebenfalls um Wandlungsprozesse und damit um eine veränderte Selbstwahrnehmung geht es in dem Beitrag von Dr. Beate Schulze-Zehden, die sich mit der sich wandelnden Sexualität von Frauen im Alter befasst. Dieses Thema war lange Zeit tabuisiert. Die medizinische Psychologin kann in ihrem Beitrag nachweisen, dass Frauen sehr wohl auch nach den Wechseljahren eine erfüllte Sexualität erleben können. Die beiden Psychologen Jochen Ziegelmann und Sonia Lippke belegen anhand einer aktuellen Studie, dass sich das biologische Altern durch ausreichende sportliche Betätigung verzögern lässt. Der Volkswirt und Rentenexperte Prof. Dr. Klaus Jaeger beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen einer in Deutschland schrumpfenden Bevölkerungszahl.

Altern an sich ist keine Krankheit. Dennoch treten im Alter häufiger Erkrankungen auf als in der Jugend. Bisweilen werden alte Menschen medizinisch schlechter betreut als junge. Dies war eine Erkenntnis der Berliner Altersstudie (BASE) aus den neunziger Jahren. Prof. Dr. Michael Linden, Leiter der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation am Klinikum Benjamin Franklin der Charité sowie der Abteilung Verhaltenstherapie und Psychosomatik an der BfA-Klinik Seehof, erzählt im Interview von der Problematik bei der Behandlung von Depressionen älterer Menschen. Die Wichtigkeit von universitärer Grundlagenforschung zeigt der Artikel über die wissenschaftliche Arbeit des Biochemikers Prof. Dr. Gerd Multhaup, der den Ursachen der Alzheimer Erkrankung nachgeht.

Bewegungsstörungen und deren natürlicher Verlauf sind durch ein langsames Fortschreiten unterschiedlicher Symptome gekennzeichnet. Die häufigsten Erscheinungsformen dieser Erkrankungen heißen Morbus Parkinson, Essentieller Tremor und Dystonie, die langfristig trotz medikamentöser Therapie zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität führen. Die Ursachen dieser degenerativen Hirnveränderungen sind Gegenstand intensiver Forschung am Universitätsklinikum Benjamin Franklin. Mit dem langsamen Altern des Herzens und den daraus folgenden Erkrankungen beschäftigt sich die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Heinz-Peter Schultheiss, die in einem abschließenden Artikel ihre Forschungsergebnisse in dem Heft präsentieren. Wir wünschen eine anregende Lektüre.