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Rainer Kampling: Vom Licht der Herrlichkeit

Vom Licht der Herrlichkeit

Zur Lichtmetaphorik in der jüdisch-christlichen Überlieferung

Rainer Kampling

„Der Hüter aber sprach: Wenn der Morgen schon kommt, so wird es doch Nacht sein.“ (Jesaja 21, 12)

„...und das ewige Licht leuchte ihnen“ bitten christliche Gläubige für die Verstorbenen. Das ewige Licht, die lux aeterna, ist dabei umschreibende Rede für das Aufgehobensein bei Gott. Bei ihm ist keine Finsternis, sondern der Mensch ist in das unauslöschliche Licht des Lebens hineingenommen, wie es bereits der Psalmdichter preist: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Licht sehen wir das Licht.“ (Ps 36, 10)

Man muss nicht die Archetypenlehre bemühen, um zu verstehen, aus welchen Gründen den Menschen Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Tod und Leben zusammengehörig erscheinen können. Hier artikulierten sich Erfahrung und Gefühl des Lebens in religiöser Rede, die auch dann noch präsent ist, wenn sie uns bereits in profanisierter Form begegnet.

Es scheint eine eigentümliche Art des Redens um diese Thematik zu existieren, deren Verharrungsvermögen in alter Bildersprache ein eigenes Kennzeichen ist. Nikolaus Kopernikus, Johannes Keppler und Galileo Galilei zum Trotz denken die meisten am Morgen, dass die Sonne aufgegangen ist und des Abends wird man statt an Neil Armstrong doch eher vielleicht an Matthias Claudius denken:

„Der Mond ist aufgegangen | Die goldnen Sternlein prangen | Am Himmel hell und klar.“

Strahlendes symbol
Strahlendes Symbol: Neuer Tag, kosmische Ordnung, ewiges Leben
Foto:. von Hans Eick aus dem Band: Einsichten in Unsichtbares. Die Fenster Georg Meistermanns im Dom zu Münster von Werner Thissen, Dialog Verlag Münster 1998

Die Metaphorik von Licht und Finsternis ist nicht durch das künstliche Licht aufgehoben. Sie besitzt auch in der Zeit, in der die Nacht zum Tag gemacht werden kann, Gültigkeit und Verständlichkeit. Wenn die Thanatologie von der Erfahrung Sterbender zu berichten weiß, die meinten, ein helles Licht geschaut zu haben, so zeigt das zunächst nur, dass zur Versprachlichung gewisser Phänomene auf eine vorgegebene Bildsprache zurückgegriffen wird. An deren Entwicklung und Tradierung hat die biblische Sprache für die westliche Welt einen hohen Anteil. Damit ist keineswegs behauptet, dass man noch immer um die Herkunft dieser Metaphorik weiß, aber sie ist doch gleichsam in das kollektive kulturelle Gedächtnis eingeschrieben. Wenn Else Lasker-Schüler schreibt: „Gott hör... In deiner blauen Lieblingsfarbe | Sang ich das Lied von deines Himmels Dach“, so bewegt sie sich nicht weniger in biblischen Worten, angereichert durch jüdische und christliche Mystik, als Georg Meistermann, dessen Glasfenster zu biblischen Motiven diese durch Licht und das Licht selbst lesbar machen.

„…der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe das Übel. Ich bin der Herr, der solches alles tut.“ (Jes 45, 7)

Der thematische Komplex „Licht und Finsternis“ ist in den Schriften Israels einerseits vom Monotheismus, anderseits durch die kritische Rezeption anderer theologischer Welten wie der Babylons und Ägyptens bestimmt. Trotz aller Parallelen, deren Zahl übrigens geringer ist, als manche neuzeitlichen Parallelomanisten meinten, haben die Theologen des antiken Israels eine eigenständige Vorstellungswelt geschaffen.

Sehr gut lässt sich das am ersten Schöpfungsbericht (Gen 1,1-2,3) erkennen, der wohl auf eine Jerusalemer Theologenschule zurückgeht. Der Text bedient sich weit verbreiteter religiöser Motive, die er freilich gleichsam entzaubert. Auch wenn es heute kaum nachzuvollziehen ist, so ist der Schöpfungsbericht dennoch ein Stück Entmythologisierung.

Durchaus traditionell wird die Finsternis als Chaosmotiv eingebracht: „Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser“ (Gen 1, 2). Doch kommt es nicht zu einem Chaoskampf, sondern die „Schrecken der Finsternis“ (Hiob 24, 17) beendet Gott allein durch sein Wort: „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht“ (Gen 1, 3). Das Licht, das die Dunkelheit und die ihr innewohnenden Bedrohungen überwindet, ist das erste Schöpfungswerk, das Leben erst ermöglicht. Allerdings ist die Überwindung nicht vollständig, aber geordnet: Die Finsternis wird der Nacht zugeordnet. Sie bleibt den Menschen Erinnerung an die Gewalt des Chaos, ein Vorbehalt im Besitz der Schöpfung: „Du machst Finsternis, dass es Nacht wird; da regen sich alle wilden Tiere, die jungen Löwen, die da brüllen nach dem Raub und ihre Speise suchen von Gott“ (Ps 104, 20 f).

Kreuzkapelle des Münsteraner Domes
Kreuzkapelle des Münsteraner Domes: „Preist den Herrn, Licht und Dunkel!“ (Daniel 3, 72)
Foto:. von Hans Eick aus dem Band: Einsichten in Unsichtbares. Die Fenster Georg Meistermanns im Dom zu Münster von Werner Thissen, Dialog Verlag Münster 1998

Das Werden des Lichts und die Scheidung von Tag und Nacht gehen allen anderen Schöpfungswerken voraus, auch den Licht gebenden Gestirnen. Sie werden erst am vierten Tag geschaffen. Die religiöse Polemik ist hierbei genau so deutlich spürbar wie die Ausrichtung auf den einen Gott. Im Gegensatz zu Nachbarreligionen findet keine Theisierung der Gestirne statt. Es sind keine göttlichen Wesenheiten, denen Verehrung zukäme. Sie werden vielmehr funktional von Gott erschaffen, um den Unterschied von Tag und Nacht zu markieren und um die Zeiten zu berechnen. Mit dieser Begründung ist zugleich eine Legitimation der kalendarischen Astronomie gegeben. Sie entspricht der Intention des Schöpfers und steht daher zu seiner alleinigen Verehrung nicht in Konkurrenz. Die Konzentration auf Gott als Schöpfer von Licht und Finsternis bewahrt die biblische Überlieferung vor einem Dualismus, der erst mit der Zeitwende in Folge der theologischen und gesellschaftlichen Veränderungen Raum griff und seinen Niederschlag in den Schriften Qumrans und des Neuen Testaments fand.

In der Bibel ist Licht Symbol der Freundlichkeit, Gnade und des Lebens und in besonderer Weise Gott, der „sich mit Licht umhüllt wie mit einem Mantel“ (Ps 104, 2), zugeordnet. Die Finsternis dagegen ist der dem Menschen gefahrvolle Raum, der ihn an die ständige Gegenwart des Todes und der Gottesferne erinnert. Da sich die Auferstehungsvorstellung relativ spät im Judentum durchzusetzen begann, im 2. Jh. v. Chr., galt die Scheol, die Totenwelt, als Raum immerwährender Dunkelheit (Ps 88). Dazu fügt sich, dass im Tempel die Unterscheidung von Tag und Nacht aufgehoben wurde, indem Priester dafür Sorge trugen, dass während der ganzen Nacht im Heiligtum zu Jerusalem Licht brannte (Lev 24, 1 ff). Im Haus Gottes gab es keine Dunkelheit.

Bei Jesaja kann die Sehnsucht nach Gerechtigkeit angesichts der realen Erfahrung der Ungerechtigkeit in diesen Oppositionsbegriffen ausgedrückt werden: „Darum ist das Recht fern von uns, und wir erlangen die Gerechtigkeit nicht. Wir harren aufs Licht, siehe, so wird’s finster, auf den Schein, siehe, so wandeln wir im Dunkeln“ (Jes 59, 9).

Mit Finsternis kann in biblischer Sprache jegliche negative menschliche Erfahrung, die ihn von Gott entfernt, umschrieben werden, während Licht das Gute, das Gottesnähe bringt, benennt.

Gleichwohl erliegt die Theologie der Bibel nicht der Engführung, die Macht Gottes durch die Dunkelheit eingeschränkt zu sehen. Es mag zwar der Zustand der Gottesferne sein, aber er ist keineswegs Gott entzogen. Gott gebietet auch über die Dunkelheit (Auch der Teufel tritt erst spät auf).

In den Erscheinungen des Göttlichen spielen die Dunkelheit und das Licht eine große Rolle. Beide werden in den Epiphanien vereinigt. Die Erscheinung Gottes am Berge Sinai, die einem Sonnenaufgang nachgestaltet ist, geht einher mit Lichtphänomenen: „...der Berg brannte aber bis mitten an den Himmel, und war da Finsternis, Wolken und Dunkel“ (Dtn 4, 11). In diesen Erzählungen dient die Finsternis zur Umschreibung der Ferne Gottes trotz all seiner Nähe zu den Menschen, denen er sich offenbaren will. Dunkelheit bewahrt das letzte Geheimnis: „aber Mose machte sich hinzu in das Dunkel, darin Gott war“ (Ex 20, 21). Zu diesem Vorstellungskomplex fügt sich die Vorstellung des Tags Gottes, des Gerichtstags, als Tag der Dunkelheit. Grundlegend für diese Vorstellung ist der älteste Schriftprophet, Amos, der in einer Travestie auf ein Heilsorakel den Reichen und Mächtigen Samarias ankündigt: „Denn des Herrn Tag wird ja finster und nicht licht sein, dunkel und nicht hell“ (Amos 5, 20). Und mit Sprachgewalt steht das Wort bei Jesaja: „Ich kleide den Himmel mit Dunkel und mache seine Decke gleich einem Sack“ (Jes 50, 3). Das Gericht Gottes, das wieder die gute Ordnung der Schöpfung aufrichten wird, bringt die Mächte des Chaos mit sich. Es ist die Wiederkehr des Gewesenen. Gegensätzlich ist der Tag des Heils ein Tag von stärkstem Licht. Bemerkenswerterweise hielt sich diese Heilssymbolik auch in einer agrarischen Gesellschaft, die um die verheerende Wirkung der Sonnenglut wusste. Die Lichtmetaphorik zur Kennzeichnung der guten Zeit Gottes ist offensichtlich unverzichtbar: „Und des Mondes Schein wird sein wie der Sonne Schein, und der Sonne Schein wird siebenmal heller sein denn jetzt, zu der Zeit, wenn der Herr den Schaden seines Volks verbinden und seine Wunden heilen wird“ (Jes 30, 26).

Im Buch der Psalmen, dem wir auch die Auskunft verdanken, dass dem Gelehrten jede Zeit, ob Tag, ob Nacht, recht ist, die Thora zu studieren (Ps 1, 2), wird durch eine paradoxale Negation der Finsternis die Wesenheit Gottes beleuchtet: „Denn auch Finsternis ist nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag, Finsternis ist wie das Licht“ (Ps 139, 12).

Im Hintergrund steht hier die Vorstellung der Erscheinungsform des unsichtbaren Gottes. Gott, bei dem nur Licht ist (Dtn 2, 22), eignet eine nur ihm zu eigene Herrlichkeit, die im Widerschein als Glanz auf dem Heiligtum und seiner Schöpfung liegt. Licht wird hier zu einer sinnlichen Erfahrungskategorie des Göttlichen, nicht aber im Sinne einer Astralgottheit oder Identifikation, sondern der Kommunikation des Unsehbaren mit den Menschen. Das Licht als Widerschein der Herrlichkeit verweist den Menschen auf dessen Schöpfer und erinnert daran, dass Leben nur von ihm her möglich ist. Licht hat damit Offenbarungsqualitäten. In der Tempelfrömmigkeit spielt diese Vorstellung eine besonders große Rolle. Der Tempel als heiliger Ort ist umfangen von diesem Glanz, der von hier aus sich über die Schöpfung ausbreitet. „Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes“ (Ps 50, 2). Die anthropologische Dimension dieser Vorstellung beruht darauf, dass das von Gott erwählte Volk, dann aber – in der erhofften Endzeit – die gesamte Menschheit dieses Glanzes teilhaftig wird. Im Licht stehen sie bereits alle unter der Verheißung der Zuwendung.

„Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8, 12)

Die neutestamentliche Theologie partizipiert an der Vorstellungswelt der Texte und Traditionen Israels, allerdings wird in einigen Schriften ein Dualismus entwickelt, der in endzeitlicher Sprache Welt und Menschen Licht und Finsternis zuordnet.

Auffallend ist dabei einerseits die traditionelle Redeweise, so etwa, wenn Gott als „Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichtes und der Finsternis“ (Jak 1, 17) bezeichnet wird, andererseits die Identifikationsaussagen: „Und das ist die Verkündigung, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen, dass Gott Licht ist und in ihm ist keine Finsternis" (1. Joh 1, 5). Überhaupt hat die johanneische Schule die Lichtmetaphorik sehr stark benützt und christologisch erweitert.

Drei standhaft Gläubige treten aus dem Feuer
Wunderbar geborgen: Drei standhaft Gläubige treten unversehrt aus dem Feuer (Daniel 3).
Foto:. von Hans Eick aus dem Band: Einsichten in Unsichtbares. Die Fenster Georg Meistermanns im Dom zu Münster von Werner Thissen, Dialog Verlag Münster 1998

Die Erscheinung Jesu Christi in der Welt wird mit einem Licht in der Finsternis verglichen (Joh 1, 5). In der Aufnahme des Topos der Finsternis als Raum des Bösen und Bösetuns wird die Anwesenheit des Lichts als Gericht über die gedeutet, die die Finsternis lieben (Joh 3, 19). Wiederum in Form einer Identifikation wird Christus als Licht bezeichnet, der aus der Finsternis errettet (Joh 8, 12; 12, 35; 12, 46). Offensichtlich galt für einige Gruppen des frühen Christentums „Kinder des Lichts“ (Lk 16, 8; Joh 12, 36; Eph 5, 9; Phil 2, 15; 1Thess 5, 5) als Eigenbezeichnung. Diese Benennung beinhaltet jedoch neben der Aussage über den Stand des Gerettetseins auch eine ethische Implikation. „Kinder des Lichts“ können nur die sein, die sich im Umgang mit den Menschen als solche erweisen. Die johanneische Gruppe kennt ein einfaches Kriterium: „Wer da sagt, er sei im Licht, und hasst seinen Bruder, der ist noch in der Finsternis“ (1. Joh 2, 9). Dass dieses Kriterium in der Rezeptionsgeschichte der Vorstellung allzu oft vergessen wurde, steht außer Frage.

Der Dualismus zwischen denen des Lichts und denen der Finsternis war einzig beschränkt auf die vermeintlich feststellbare Zugehörigkeit zu den Guten, zum Licht. Wie bei fast allen Welterklärungsmodellen setzten die, die sie benützen, voraus, dass sie zu den wenigen Glücklichen gehören. Vergessen war auch, dass der Kampf gegen die Finsternis nach biblischem Zeugnis nicht Menschen Werk ist, sondern allein Gottes Tun vorbehalten. Der Mensch vermag die Finsternis zu meiden, sie durch seine Praxis zu erhellen, sie aber nicht zu beseitigen. Das kommt ihm nicht zu.

„Es ist das Licht süß, und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen“ (Koh 11, 7)

Wenn Bertolt Brecht in der Dreigroschenoper den Chor singen lässt: „Denn die einen sind im Dunkeln /und die andern sind im Licht /und man siehet die im Lichte /die im Dunkeln sieht man nicht“, dann erinnert er hier an eine Metapher der Bibel, die ihren Ursprung in ganz konkreten Praktiken der Ausbeutung und Unterdrückung hat.

Bevor die Begrifflichkeit auf die angewandt wird, die als Nichtglaubende des wahren Lichts Gottes entraten, ist der Ausdruck „die im Finstern“ eine Bezeichnung für Gefangene und Sklaven. Sie sind von den Rechten der Freien ausgeschlossen, hausen unter fürchterlichen Bedingungen. Und Blinden gleich, weil sie wie diese das Licht nicht sehen. Beim Propheten Jesaja ist die Hoffnung ausgedrückt, dass die nach Babylon Verbannten das Licht wieder sehen können, „...dass du sollst öffnen die Augen der Blinden und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen, und die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker“ (Jes 42, 7).

Es gehört zu den Glaubensaussagen der Bibel, dass es Menschen gab, die sich in all ihrer Entrechtung und all ihrem Elend nur noch an Gott wenden konnten und sich von ihm gerettet wussten: „Die zum Herrn riefen in ihrer Not, und er half ihnen aus ihren Ängsten und führte sie aus der Finsternis und Dunkel und zerriss ihre Bande“ (Ps 107, 13f). Die Schrift kennt des Menschen Recht, nicht im Dunkeln und in der Finsternis zu verbleiben, sondern das Licht und die Sonne zu genießen. Vielleicht hat die biblische Metaphorik von Dunkel und Unfreiheit, Freiheit und Licht, Finsternis und Entrechtung, Recht und Sonne am weitesten gewirkt, weil sie der religiösen Konnotation am wenigsten bedarf. Denn so wie die Welt beschaffen ist, bedarf der Wunsch, dass „die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen soll“ (Mal 3, 20), keiner weiteren Begründung.