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Zum Erhalt assyrischer Lehmbauten in Tell Schech Hamad, Syrien, 2008 – 2010

Hartmut Kühne, Archäologe an der Freien Universität, forschte in Tell Schech Hamad an der Wiederherstellung assyrischer Lehmziegel-Architektur.

09.12.2017

Ein Teil von Hartmut Kühnes Forschung beschäftigte sich mit ganz praktischen Fragen der Rekonstruktion: Wie genau kann assyrsiche Architektur rekonstruiert werden? Wie muss das Baumaterial Lehm bearbeitet werden, damit es dauerhaft erhalten bleibt, welche Materialien werden dafür benötigt? In seinem Gastbeitrag schildert der Archäologe, wie er, seine Kolleginnen und Kollegen sowie sein Team vor Ort diesen Fragen begegnet sind.

Die Karte von Syrien, zentral zu sehen ist die Lage von Tell Schech Hamad / Dur-Katlimmu (Abb. 01)

Die Karte von Syrien, zentral zu sehen ist die Lage von Tell Schech Hamad / Dur-Katlimmu (Abb. 01)
Bildquelle: Grabungsarchiv Tell Schech Hamad / Freie Universität Berlin

„Alles gut geschützt?“ – Diese Frage ist ein zentrales Anliegen jedes Archäologen. Gegenwärtig verbindet sich damit allerdings eher das Gefühl der Ohnmacht gegenüber den Zerstörungen von Weltkulturerbe, die kriegsbedingt oder durch Ikonoklasmus von Afrika bis Afghanistan an der Tagesordnung sind. Geschichte und Kultur liegen weltweit vielfach buchstäblich in der Erde begraben – und werden durch sie geschützt oder auch zersetzt. Die Verantwortung, die Archäologen übernehmen, wenn sie ausgraben, gipfelt in der Frage, wie die stationären Hinterlassenschaften geschützt und erhalten werden können, die den Kontext zu den geborgenen beweglichen Artefakten darstellen, die die Museen schmücken. Sind sie es wert, erhalten zu werden? Sollen sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden? Oder lautet die Alternative: wieder zuschütten oder sogar abtragen?

Die technischen Bedingungen, unter denen Menschen Hütten, Häuser, Tempel und Paläste über die Jahrtausende errichtet haben, sind sehr unterschiedlich und werden jeweils von den Materialressourcen vor Ort bestimmt. Ein Beispiel stammt aus Nord-Mesopotamien. Der Ort heißt Tell Schech Hamad (Abb. 01), liegt im vom Krieg gebeutelten östlichen Syrien, im noch von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ kontrollierten Teil. Er war von 1978 bis 2010 Gegenstand eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Ausgrabungsprojektes, dessen Träger die Freie Universität Berlin in Kooperation mit der Universität Tübingen und dem Museum Deir ez-Zor war. An diesem Ort haben die Archäologen die assyrische Stadt Dur-Katlimmu wiederentdeckt. Sie war in den beiden assyrischen Reichen zwischen 1300 und 612 v. Chr. ein bedeutendes Provinzzentrum und eine Garnisonsstadt. 

Der Turm von Babylon (6. Jahrhundert v.Chr.), Rekonstruktion nach Hansjörg Schmid, Der Tempelturm Etemenanki in Babylon, Baghdader Forschungen Bd. 17, 1995, Tf. 41 (Abb. 02)

Der Turm von Babylon (6. Jahrhundert v.Chr.), Rekonstruktion nach Hansjörg Schmid, Der Tempelturm Etemenanki in Babylon, Baghdader Forschungen Bd. 17, 1995, Tf. 41 (Abb. 02)

Ungebrannte, luftgetrocknete Lehmziegel, das ist der Stoff, aus dem auch der Turm zu Babel gebaut war (Abb. 02). In Mesopotamien war dies das Standard-Baumaterial, denn Steine und Holz waren Mangelware und mussten über größere Entfernungen herbeigeschafft werden, was mühsam und teuer war. Lehmziegel haben hervorragende Dämmungseigenschaften gegen Hitze und Kälte, was für ökologische Häuslebauer kein Geheimnis ist. Je dicker die Mauern und je höher der Raum, desto kühler war das Rauminnere in den glutheißen Sommern Mesopotamiens.

Da Lehm witterungsanfällig ist, wurden Lehmziegelmauern außen und innen mit Lehmputz versiegelt. Der Außenputz musste alle paar Jahre erneuert werden. Wenn ein Gebäude aus luftgetrockneten Lehmziegeln verfällt, dann füllt der herabbröckelnde Lehmziegelschutt zunächst die Räume und bildet dann einen Schuttberg darüber, dessen Oberfläche völlig unstrukturiert ist und nicht verrät, was sich darunter befindet. Dieser Schutt schließt die Stümpfe der Lehmziegelmauern luft- und feuchtigkeitsdicht sowie witterungsbeständig ab und konserviert sie dadurch. Wenn der Archäologe die Mauerstümpfe ausgräbt und sich über deren Erhaltungshöhe freut, setzt er diese zugleich einem erneuten witterungsbedingten Zersetzungsprozess aus. 

Das „Rote Haus“, assyrische Elitenresidenz ca. 630-550 v.Chr.; Plan zur Bauwerkserhaltung, rot = ausgeführt 2008-2010. (Abb. 03)

Das „Rote Haus“, assyrische Elitenresidenz ca. 630-550 v.Chr.; Plan zur Bauwerkserhaltung, rot = ausgeführt 2008-2010. (Abb. 03)

Das „Rote Haus“ in Dur-Katlimmu (Abb. 03) war eine assyrische Elitenresidenz, in der ein hoher Beamter mit dem Titel „Vertrauter des Königs“ seinen Amts- und Wohnsitz hatte. Die Biografie des Gebäudes erstreckt sich von etwa 630 bis 540 v. Chr., ist also gleich alt wie der Turm zu Babel. Seine Grundfläche beträgt 5400 Quadratmeter. 85 Räume verteilen sich über drei Gebäudeflügel. Funktional gehört der Nordflügel zur amtlichen Verwaltung, der Ostflügel zum Empfang und der Westflügel diente zum Wohnen. Die Mauern sind 1,60 Meter bis 1,20 Meter breit. Da drei Treppenhäuser ausgegraben wurden, ist das Gebäude zumindest teilweise zweistöckig zu rekonstruieren. Da die Mauern des „Roten Hauses“ streckenweise bis zu einer Höhe von zwei Metern erhalten waren, mussten zwingend Überlegungen angestellt werden, wie diese konserviert werden können, denn die Alternative des Zuschüttens wäre in jedem Fall auch sehr aufwändig geworden. 

Konventionelle Maßnahmen bestehen darin, die Mauerstümpfe zu sanieren, indem marode Ziegel ersetzt, die Mauerkronen mit neuen Ziegeln ausgebessert und ausgeglichen werden, und das Ganze mit einem schützenden Lehmputz überzogen wird. Die neu herzustellenden Ziegel können normalerweise aus dem ausgegrabenen Lehmziegelschutt hergestellt, quasi „recycled“ werden (Abb. 04). Assyrische Lehmziegel sind quadratisch und haben ein Standardmaß von 38 Zentimeter Seitenlänge und 12 Zentimeter Stärke. Jeder Ziegel wiegt ungefähr fünf Kilogramm (Abb. 05). 

Diese Konservierungsmethode ist jedoch wenig nachhaltig. Der neue Lehmputz wird sehr schnell rissig, ist wasserdurchlässig und bricht nach zwei bis drei Jahren in großen Fladen ab. Die neu verlegten Lehmziegel bieten zwar weiterhin Schutz, aber sie leiden sichtbar unter den Witterungsbedingungen. Vor allem aber ist damit das Hauptproblem nicht gelöst. Es besteht darin, dass die ausgegrabenen Mauerstümpfe genauso wie die konservierten Mauern in Sockelhöhe von 40 Zentimeter über dem angrenzenden Boden beidseitig Hohlkehlen bilden (Abb. 06), die sich immer tiefer in das Mauerwerk einfressen und es destabilisieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Mauer in sich zusammenbricht. Auf welche Ursachen ist dieses Phänomen zurückzuführen? In Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Erfurt und der Bauhaus-Universität Weimar wurden im Sommer 1999 thermische und hygrische Messungen, also Messungen zur Luftfeuchtigkeit, an den Mauern des „Roten Hauses“ ausgeführt. Es konnte nachgewiesen werden, dass kapillar aufsteigende und in Sockelhöhe wieder ausdiffundierende Feuchtigkeit die Ursache für die Zersetzung des Lehmputzes und des Ziegelmaterials sind. Das Phänomen der aufsteigenden Feuchtigkeit ist aus unseren Breiten wohlbekannt, konnte aber bei der in Mesopotamien herrschenden Trockenheit nicht unbedingt vorausgesetzt werden. Sogar gebrannte Ziegel, wie sie als Schalung für die Konservierung der luftgetrockneten Lehmziegelmauern von Babylon verbaut wurden, werden von der aufsteigenden und ausdiffundierenden Feuchtigkeit zerfressen (Abb. 07 a-b). 

Für eine nachhaltige Konservierung des Lehmziegelmauerwerks musste daher eine Lösung gefunden werden, die Schutz vor der Witterung bot und zugleich bewirkte, dass die aufsteigende Feuchtigkeit im Baukörper erhalten blieb und nicht ausdiffundieren konnte. Überlegungen, wie das zu erreichen sein könnte, fokussierten sich sehr bald auf die Vergütung des Lehmputzes durch zwei infrage kommende Zusatzstoffe: Eine wässerige Polymerdispersion, die zur Modifizierung von Lehm, Ton und anderen mineralischen Baustoffen entwickelt wurde, und eine auf Silikon basierende Beimischung, die wasserabweisende Eigenschaften hat. Ferner sollte erprobt werden, wie die Anbringung des Lehmputzes haltbarer gemacht werden könnte. Dazu wurden die Abdeckung des Baukörpers mit einer Art Matte, dem Geotextil, und der Auftrag des Lehmputzes auf einen Putzträger in Betracht gezogen. Im Jahr 2003 wurden an einer Mauer des Roten Hauses acht Musterflächen angelegt (Abb. 08). Nach vier Jahren, im Frühjahr 2007, wurde Bilanz gezogen (Abb. 09). Das Ergebnis: Der Lehmputz, der mit der wässrigen Polymerdispersion vergütet und ohne Putzträger und Geotextil aufgebracht worden war, hatte sich am besten bewährt.

Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wurde in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro für Bauwerkserhaltung in Weimar ein Projekt zur Konservierung des „Roten Hauses“ entwickelt. Die syrische Generaldirektion der Antikenverwaltung gab ihre Zustimmung zu einer Kooperation, es wurden Mittel bei der Kulturhilfe des Auswärtigen Amtes beantragt und bewilligt. Die syrische Seite verpflichtete sich, die gebrannten Ziegel für die Pflasterung der Höfe zu finanzieren. In drei Abschnitten konnte der Nordflügel des „Roten Hauses“ zwischen 2008 und 2010 vollständig saniert werden (Abb. 03). Er sollte 2011 der syrischen Antikenbehörde und der Öffentlichkeit übergeben werden.

Dies hat der Krieg in Syrien verhindert. Für die Sanierung der Mauern wurden folgende Arbeitsschritte ausgeführt:

  1. Die Mauer wird präpariert, gesäubert und von lockeren oder zerbrochenen Lehmziegeln sowie Putzteilen befreit. Die konkaven Ausbruchstellen (Abb. 06) werden bis auf die Lehmziegelfugen präpariert.
  2. Die Mauer wird ausgebessert (Abb. 10). 
  3. Die Mauerkrone wird ausgebessert und durch Aufmauerung auf ein Ausgleichsniveau gebracht (Abb.10). 
  4. Unvergüteter Lehmputz wird als Unterputz aufgetragen (Abb. 11). Dabei ist der Wandverputz bis ca. 20 cm unter das Niveau der zukünftigen Begehungsfläche herunterzuführen. Bei der Austrockung entstehen grobe Schwindrisse (Abb. 12 links). 
  5. Auf den Mauerkronen muss auf die Ausbildung eines etwa fünfprozentigen Gefälles quer zur Wandlängs richtung und unter Berücksichtigung der Windrichtung zur Ableitung von Niederschlagswasser geachtet werden. 
  6. Mit Polymerdispersion vergüteter Lehmputz wird aufgetragen und in Handverarbeitung mit Stoffballen geglättet (Abb. 12). Die Schwindrisse des Unterputzes werden geschlossen. Aber auch im mit Polymerdispersion vergüteten Lehmputz entstehen feine Schwindrisse. 
  7. Zur Schließung dieser feinen Schwindrisse im Unterputz wird mit Polymerdispersion vergüteter Feinputz aufgetragen. 
  8. Optional: Mauerkronen werden mit einer Lage mit Polymerdispersion vergüteter Lehmziegel bestückt, die in mit Polymerdispersion vergütetem Lehmmörtel verlegt werden (Abb. 13). 
  9. Gut erhaltene Original-Mauerverbände oder Putzsegmente werden mit Polymerdispersion besprüht und gegebenenfalls bestrichen, um sie als originales Sichtmauerwerk zu erhalten (Abb. 14).

Im Ergebnis wurden etwa 150.000 neu hergestellte Lehmziegel verbaut und drei Tonnen Polymerdispersion verbraucht. Sie haben einen sanierten begehbaren Baukörper entstehen lassen (Abb. 15-16). In dem 500 Quadratmeter großen Hof wurde nach der Sanierung eines Restes des ursprünglichen Pflasters ein neues Pflaster aus gebrannten Ziegeln verlegt (Abb. 17), die in der 200 Kilometer entfernten Stadt Raqqa hergestellt worden waren. Für die Drainage des Hofes wurden die originale Abflussvorrichten saniert und reaktiviert (Abb. 18) aber mit einem 50 Meter langen neuen Entwässerungsrohr verbunden (Abb. 19), das das Regenwasser aus dem Stadtgebiet hinausleitet. Mehrere Vorratsräume mussten wieder neu eingewölbt werden (Abb. 20). Das eine der drei Treppenhäuser war mit 16 Stufen und originalem Kalkestrich besonders gut erhalten und musste sehr einfühlsam konserviert werden (Abb. 21-22). Da der Nordflügel für die Öffentlichkeit begehbar sein sollte, musste für die Sicherheit der Besucher Vorsorge getroffen werden. Dies geschah vor allem, indem man geschmiedete Eisentüren und -gitter anbrachte (Abb. 22, Abb. 23). Schließlich mussten die Außenmauer angeböscht und gegenüber den noch nicht sanierten Gebäudeflügeln gesichert werden (Abb. 24). Das Team syrischer Mitarbeiter hatte mit diesen Aufgaben buchstäblich alle Hände voll zu tun (Abb. 25).

Die Forschungsarbeit wurde Diebesgut

Im Oktober 2014, vier Jahre nach Abschluss unserer Arbeiten vor Ort, erreichten mich einige Zustandsaufnahmen (Abb. 26). Erkennbar ist, dass die von uns sanierten Mauern kaum Schaden genommen haben. Aber die gebrannten Ziegel des Hofpflasters und die mit Polymerdispersion vergüteten Ziegel auf den Mauerkronen sind gestohlen worden. Sie stellen wertvolles Baumaterial dar, das in diesen Notzeiten begehrt war und sicher gewinnbringend veräußert werden konnte. Ob die Anlage jemals weiter saniert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann, liegt nicht mehr in unserer Hand und wird allein durch das hoffentlich baldige Ende des Krieges entschieden.  

Der Wissenschaftler

Hartmut Kühne leitete von 1980 bis 2013 ein Ausgrabungsprojekt in Tell Schech Hamad, Syrien, in Kooperation mit der Universität Tübingen und dem Museum Deir ez-Zor, Syrien.

Hartmut Kühne leitete von 1980 bis 2013 ein Ausgrabungsprojekt in Tell Schech Hamad, Syrien, in Kooperation mit der Universität Tübingen und dem Museum Deir ez-Zor, Syrien.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Prof. Dr. Hartmut Kühne

Hartmut Kühne war von 1980 bis 2010 Professor für Vorderasiatische Archäologie an der Freien Universität Berlin, von 2001 bis 2003 war er Dekan des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften. Von 1980 bis 2013 hat er ein Ausgrabungsprojekt in Tell Schech Hamad, Syrien, in Kooperation mit der Universität Tübingen und dem Museum Deir ez-Zor, Syrien, geleitet. In diesem Langzeitprojekt der DFG ist die assyrische Stadt Dur-Katlimmu wiederentdeckt worden, die von 1300 bis 550 v.Chr. eine bedeutende Rolle als Provinzhauptstadt und Garnisonsstadt des assyrischen Reiches spielte. In seinem wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt er sich mit der Geschichte und Kultur Mesopotamiens, der Levante und Anatoliens. Er ist Hauptherausgeber zweier wissenschaftlichen Reihen.

Kontakt
Freie Universität Berlin
Institut für Vorderasiatische Archäologie
E-Mail: Hartmut.Kuehne@fu-berlin.de

Alle Informationen zur Ausgrabung Tell Schech Hamad unter: www.schechhamad.de