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Ausgegrenzt und hochverehrt

Wie Griechen und Römer mit ihren Alten umgingen

13.12.2013

Wie ging man mit den Alten um in Griechenland und im Alten Rom?

Wie ging man mit den Alten um in Griechenland und im Alten Rom?
Bildquelle: Wikipedia/Public domain commons.wikimedia.org/wiki/File%3ASanzio_01.jpg

Senioren in Sparta hatten es gut, Alte Athener dagegen weniger: An der Freien Universität erforscht der Althistoriker Ernst Baltrusch welche Stellung das Alter und alte Menschen in antiken Gesellschaften hatten.

„Ein Greis sieht aus wie der andre, die Stimme zittert wie die Glieder,“ schreibt im zweiten Jahrhundert nach Christus der römische Dichter Juvenalis. Ihm war das Alter offenbar ein Graus – nicht nur, dass Essen und Wein nicht mehr recht schmecken: „Längst ist das Haupt kahl und die Nase läuft wie in der Kindheit. Das Brot muss der Arme kleinmahlen mit zahnlosem Gaumen. An Beischlaf ist schon lang nicht mehr zu denken und wenn du‘s doch wagst, liegt der Hoden geschrumpft im Bruch.“

Und dann erst die vielen Krankheiten, die schon Hippokrates im alten Griechenland für die letzte Phase des Lebens beschrieb: Augen- und Ohrenleiden, Atembeschwerden und Verdauungsprobleme, Schwindel, Gliederschmerzen, und Schlaflosigkeit – nicht zuletzt Verwirrtheit und andere Geisteskrankheiten. „Der Greis ist Kind zum zweiten Mal“, meint deshalb Platon und Euripedes lässt in seiner Tragödie Herakles den Chor ächzen: „Das Alter ist düster und tödlich, ich hasse es!“ Literarische Übertreibung? Oder historisches Zeugnis, dass das Alter schon bei den Alten Griechen und Römern wenig mehr bedeutete als körperlicher Verfall?

Zur Rolle alter Menschen in den Gesellschaften der Antike hat Ernst Baltrusch, Professor für Alte Geschichte am Friedrich- Meineke-Institut der Freien Universität, zahlreiche Quellen zusammengetragen und kennt die aktuelle Forschung. Weshalb er beim Thema auch zunächst differenziert: „Während die Athener alte Menschen gezielt ausgrenzten, schätzten Spartaner und Römer das Wissen und die Erfahrung der älteren Generation.“

Die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei den Römer und Griechen grade mal bei 30

Doch wer galt überhaupt als älter oder gar alt? Verlässliche Antworten auf diese Fragen zu finden ist schwer, denn es gibt nur wenige verlässliche Daten, die auf eine durchschnittliche Lebenserwartung schließen lassen. Zwar finden sich etwa auf römischen Gräbern zahlreiche Inschriften. Das Alter des Verstorbenen wurde aber nur dann angegeben, wenn dieser ungewöhnlich früh gestorben war. Sicher lag die mittlere Lebenserwartung bei Griechen und Römern niedriger als heute – man setzt sie bei nur rund 30 Jahren an – doch heißt das nicht, dass es keine Alten gab. Die hohe Kindersterblichkeit drückte den Durchschnitt ebenso wie die große Zahl von Frauen, die bei der Geburt oder im Kindbett starben.

Dennoch: Die römische Gesellschaft, für die anhand von Listen regional relativ zuverlässige Zahlen vorliegen, war eine junge. Nur etwa ein Viertel der Bevölkerung war über 40 Jahre alt, lediglich rund fünf Prozent der Bewohner Roms waren älter als 60 Jahre. Eine Annäherung an das, was der antike Mensch unter Alter verstand, findet sich in literarischen Quellen: Solon, Athens erster großer Staatsmann, dichtete um 600 vor Christus Verse über das „Alter und Altern“. Darin teilte er das Leben idealtypisch in zehn Jahrsiebte ein.

Und auch in der Bibel, die in der Spätantike im Rom der christlichen Kaiser zum Maß aller Dinge wurde, heißt es in Psalm 90: „Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, sind es achtzig.“ Im ersten Jahrhundert nach Christus, in der römischen Kaiserzeit also, schreibt Plinius der Jüngere in einem Brief über einen verstorbenen Freund: „Er vollendete freilich das 67. Lebensjahr, welches Alter auch für sehr Gesunde lang genug ist.“

Von Schwindel bis Schlaflosigkeit: Hippokrates, links, beschrieb viele Krankheiten der letzten Lebensphase (Mosaik aus dem Archäologischen Museum Kos)

Von Schwindel bis Schlaflosigkeit: Hippokrates, links, beschrieb viele Krankheiten der letzten Lebensphase (Mosaik aus dem Archäologischen Museum Kos)
Bildquelle: Wikipedia/Autor: Tedmek commons.wikimedia.org/wiki/File%3AKos_museum_mos01.JPG

Wer etwa in Sparta ein derart gesegnetes Alter erreichte, konnte mit Achtung und unter Umständen sogar einer politischen Karriere rechnen: Eine ihrer drei Verfassungsinstitutionen, die Gerusia, war ein Ältestenrat. Sie stand nur den Bürgern offen, die das sechzigste Lebensjahr vollendet hatten. Bei gemeinsamen, öffentlichen Mahlzeiten bekamen die älteren Spartaner Ehrenplätze und, ganz unspartanisch, eine extra große Portion.

Ähnlich ehrten auch die Römer ihre Alten und Ahnen, schrieb man den Verstorbenen doch Einfluss auf die Geschicke ihrer Nachfahren zu. So wurden bei den Totenfesten wächserne Masken der verstorbenen Ahnen umhergetragen, in Hausschreinen ehrte man die Geister der Vorfahren. „Die Herkunft war von zentraler Bedeutung für die gesellschaftliche Stellung einer Familie“, sagt Baltrusch: „Deshalb ehrten die Römer die Vorfahren, denen sie ihre Herkunft verdankten.“

Mit 60 hatten Familienoberhäupter nichts mehr zu melden

Ausgerechnet in der demokratischen Vorzeigegesellschaft des antiken Athens jedoch wurden alte Menschen systematisch ausgegrenzt: Wer das sechzigste Lebensjahr erreichte, wurde bei öffentlichen Ämtern nicht mehr berücksichtigt. Auch privat hatten sie nicht mehr viel zu melden: In der Familie war er nicht länger das Oberhaupt, sondern musste diese Rolle an seinen ältesten Sohn abgeben.

„Dies resultierte aus der Grundidee attischer Demokratie, staatliche Macht dynamisch, innovativ und schnelllebig zu halten und Einfluss und Amt stets nur auf Zeit zu verleihen“, sagt Baltrusch. Die Athener fürchteten nichts mehr als eine Oligarchie der Adelsgeschlechter oder die Tyrannis. Der stetige Generationenwechsel beugte so dem Einfluss erfahrener, alter Politiker vor.

Eine Angst, die man in Rom nicht kannte. Der Senat etwa war ursprünglich ein Ältestenrat, einen Ruhestand kannten die Amtsträger während der Römischen Republik nicht. Sie wurden auf Lebenszeit ernannt und lenkten die Geschicke des Staates bis zum letzten Atemzug.

Dies änderte sich erst in der Kaiserzeit, als die Senatoren ab 60 Jahren von Senatssitzungen befreit wurden und bestimmte politische Ämter nicht mehr übernehmen durften. „Wahrscheinlich musste das politische Personal in dieser Zeit belastbarer sein“, sagt Baltrusch: „Schließlich war Rom längst keine lokale Macht mehr, sondern reichte vom Atlantik bis zum Kaspischen Meer.“

Geschichte wiederholt sich: Sind die Kassen leer, erhöht sich das Rentenalter

In der Spätantike, als die Staatskassen leer und die Grenzen bedroht waren, erhöhte man das Rentenalter auf 70 Jahre. Unter Kaiser Konstantin wurden Gesetzestexte verfasst, in denen 320 nach Christus erstmals das Recht auf einen materiell gesicherten Lebensabend niedergeschrieben wurde – freilich ohne Rechtsanspruch, sondern viel mehr als Ideal. Bei den Griechen waren es die eigenen Nachkommen, die zur Versorgung der Alten verpflichtet waren.

Platon formulierte es als eine Art Generationenvertrag: Die Jungen schulden den Ältern die Fürsorge und können diese im eigenen Alter wiederum von ihren Nachkommen erwarten. Dass diese Pflicht nicht immer beachtet wurde, davon zeugen literarische Überlieferungen.

So schrieb der Dichter Hesiod schon im 7. Jahrhundert vor Christus: „Bald missachten die Jungen ihre altersgebeugten Erzeuger, mäkeln an ihnen und fahren sie an mit häßlichen Worten rücksichtslos; geben dann auch nicht ihren greisen Erzeugern zurück den Entgelt für die Aufzucht.“ Gesetze drohten den Kindern schließlich mit Haft und Todesstrafe, wenn sie ihre Eltern nicht unterstützten. Die Aussicht auf eine Versorgung im Alter galt jedoch umgekehrt als Faustpfand um eine gegenseitige Generationengerechtigkeit juristisch durchzusetzen und abzusichern. So verloren Eltern in Athen ihren Versorgungsanspruch, wenn sie ihren Kindern keine Ausbildung ermöglichten oder zur Prostitution zwangen.

Auch im römischen Recht war die Familie Basis der sozialen Absicherung im Alter. Seit der Kaiserzeit gab es außerdem Vorläufer einer staatlichen Altersvorsorge. Politiker in den Provinzen zum Beispiel erhielten im Alter ein Speiserecht im Rathaus ihrer Stadt. Römischen Berufssoldaten zahlte der Staat nach ihrer Dienstzeit eine Abfindung und gab ihnen ein eigenes Stück Land, ebenso wurden Invaliden und Kriegswitwen materiell versorgt.

„Betrachtet man die römische Gesellschaft, so ist in Bezug auf den Umgang mit den Alten der Übergang zur Kaiserzeit sicher eine Zeitenwende“, sagt Professor Baltrusch. Octavian, dessen Aufstieg nach dem Tod seines Großonkels Julius Caesar im Jahr 44 vor Christus im zarten Alter von 19 Jahren begann und der sich später unter dem Ehrentitel Augustus die Alleinherrschaft sicherte, war darauf aus, die Gesellschaft zu verändern und alte Prinzipien über Bord zu werfen. Waren es zu Zeiten der Republik die Alten, die im Senat den Ton angaben, förderte er gezielt junge Männer.

Auch im Privaten begrenzte er den Einfluss der Alten. So durfte ein Familienoberhaupt nach neuen Gesetzen die Ehe seiner Nachkommen nicht mehr verhindern. Wer das 18. Lebensjahr vollendete, musste heiraten – ansonsten durfte er weder erben noch bestimmte politische Ämter übernehmen. „Die neuen Gesetze sollten dafür sorgen, dass die Bevölkerung nach Jahren des Bürgerkrieges wieder wächst. Gleichzeitig bedeuteten die Maßnahmen aber auch, dass die Bedeutung des Patriarchen in einer Familie ebenso schwand wie die der Alten in der Politik“, sagt der Historiker. Man schickte sie aufs Altenteil.

Trotz entsprechender Gesetze gab es in Rom auch Fälle, in denen Söhne ihren Eltern die nötigen Mittel zum Leben verweigerten. „Speziell im ersten Jahrhundert nach Christus scheint dies ein Problem gewesen zu sein“, sagt Baltrusch: „In Ägypten haben Archäologen viele Papyri-Akten gefunden, die Prozesse zwischen Eltern und Kindern dokumentieren. Die Beamten mussten oft eingreifen und das Recht der Eltern durchsetzen.“

Dabei spielten auch regionale Unterschiede eine wichtige Rolle: Im Ostteil des Reiches, das seit jeher besser organisiert und dichter besiedelt war als der Westen, überwachten römische Beamte die Einhaltung der Gesetze. Aus dem Norden dagegen drangen Schauermärchen nach Rom: Kelten und Germanen, so wurde es kolportiert, setzten ihre Alten in den Wäldern aus und überließen sie dort sich selbst. In der christlich geprägten Spätantike setzte sich immer mehr die jüdisch-neutestamentliche Sicht in der Gesellschaft durch: Schon die Zehn Gebote mahnten, Vater und Mutter zu Ehren, das christliche Gebot der Barmherzigkeit wurde in den urchristlichen Gemeinden gelebt und war wesentlicher Bestandteil des Erfolges der neuen Religion.

In Byzanz war es denn auch Aufgabe der Kaiserin, für die Armen, Kranken und Alten zu sorgen. Später, als der römische Staat immer schwächer wird, übernehmen private Initiativen diese Aufgabe: Ein Bruder des Kirchenlehrers Basilius, Naucratius von Caesarea, richtet im vierten Jahrhundert nach Christus in der heutigen Türkei erstmals spezielle Häuser für verarmte, alte Menschen ein. Mehr als 30 solcher Einrichtungen sind heute bekannt. Der oströmische Staat unterstützte sie, indem er Steuerbefreiungen gewährte.

Im Westteil des Reiches gehören zu den neu aufkommenden Klöstern immer auch Herbergen für Notleidende. Doch durch die Verwerfungen der Völkerwanderung und die vielen bewaffneten Konflikte werden spezielle Altenheime dort erst im frühen Mittelalter eingerichtet. Antike Gesellschaften versuchten jedoch nicht nur die ökonomischen Konsequenzen des Alterns zu mildern.

Auch die Medizin versuchte Altersbeschwerden zu verstehen und zu kurieren. Insbesondere der griechische Arzt Hippokrates und Kaiser Marc Aurels Leibarzt Galen prägten die medizinische Vorstellung der antiken Welt. „Grundlage war die sogenannte Vier-Säfte- Lehre“, erläutert Professor Baltrusch: „Blut, Schleim, sowie gelbe und schwarze Galle galten als die vier Säfte des menschlichen Körpers, deren natürliches Gleichgewicht Grundlage für ein gesundes Leben war.“ Im Alter, so die Vorstellung, überwog der Schleim, hervorgerufen durch Erkaltung und Austrocknung des Körpers.

Auf dieser Grundannahme entwickelte der römische Arzt Galen eine Therapie, die das Altern verlangsamen sollte. Regelmäßige Bäder, Massagen und Gymnastik sollten dabei die Körper der Alten ebenso erwärmen wie Honig und Wein. Viel Flüssigkeit sollte gegen das Austrocknen wirken. Der römische Dichter und Politiker Cicero allerdings wünschte sich nicht nur einen gesunden Lebenswandel, sondern auch eine gesunde Lebenseinstellung – und das nicht nur bei den reiferen Bürgern: „Greise, die keine zu großen Ansprüche stellen, die nicht mürrisch, nicht unfreundlich sind, verleben ein ganz erträgliches Alter; Misslaune hingegen und Unfreundlichkeit ist bei jedem Alter widerwärtig.“