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Formeln für die Traumfabrik

Konrad Polthier macht Zahlen und Formeln erlebbar

22.10.2012

Konrad Polthier macht Zahlen und Formeln sicht- und erlebbar: Mit Mathematik hilft der Wissenschaftler auch Fabelwesen und Monster im Film zum Leben zu erwecken - aber nicht nur

Konrad Polthier macht Zahlen und Formeln sicht- und erlebbar: Mit Mathematik hilft der Wissenschaftler auch Fabelwesen und Monster im Film zum Leben zu erwecken - aber nicht nur
Bildquelle: © 2011 Sony Pictures Releasing

Wenn Spiderman im Kinofilm nur an einem dünnen Faden durch die Häuserschluchten New Yorks schwebt oder Harry Potter auf seinem Rennbesen der Firma Nimbus durch die Luft pest, steckt weder Superheldenkraft noch Zauberkunst dahinter, sondern Mathematik. Der Wissenschaftler Konrad Polthier entwickelt Algorithmen, die dem Computer vorgeben, wie aus Zahlen eine perfekte filmische Illusion entsteht.

Eigentlich müsste die Mathematik im Abspann von Filmen wie Matrix, Shrek oder Spiderman auftauchen. Ohne die mathematische Vorarbeit von Konrad Polthier und seinem Team wären Kassenschlager wie diese nämlich um einige atemberaubende Szenen ärmer. „Monster oder andere filmische Fantastereien werden von einer Software konstruiert, in die unsere mathematischen Konzepte eingeflossen sind“, fasst Konrad Polthier, Mathematik-Professor an der Freien Universität Berlin, die Arbeitsschritte von der Zahl zur Hollywood-Utopie zusammen.

Wie viel Mathematik nötig ist, um die Illusion perfekt zu machen, bekommt der Zuschauer im Kinosessel nicht mit. Genauso wie ihm verborgen bleibt, dass die künstlich geschaffene Filmwelt eigentlich aus einem Netz von Dreiecken besteht. Polthiers Fachgebiet ist nämlich die Geometrie – genauer gesagt die Differentialgeometrie und ihre Anwendung in Visualisierung und Computergraphik. Um Figuren im Film perfekt zu animieren, brauchen sie ein Gerüst. Dafür werden zuerst Form und Oberfläche von Menschen oder Kunststoff-Figuren mit einem speziellen 3-D Scanner abgetastet, wie er auch auf dem Campus steht – in Konrad Polthiers Geometrielabor.

Hollywood ist nur eine Tür weiter

Die Software errechnet aus dem 3D Scan dann ein Geflecht, das aus Millionen von Punkten besteht. Über diese Punkte spannt der Computer ein Netz aus Dreiecken. Das eigentliche Gerüst der virtuellen Modelle. Damit ein Monster wie Godzilla jedoch sein Maul aufreißen oder Spiderman durch die Luft fliegen kann, muss dieses Dreiecksnetz digital weiterverarbeitet werden. Damit die Dreiecke für den Film laufen lernen, muss alles in ein sogenanntes strukturiertes Modell konvertiert werden. Die Software zu entwickeln, die das virtuelle Dreiecks-Gerüste in ein Modell verwandelt, das sich effektiv in den Modelierungsprozess einbinden lässt, ist eine der großen Leistungen der Berliner Mathematiker. „Dieser Übergang war bis vor kurzem noch mit viel Handarbeit verbunden“, sagt Konrad Polthier. Mit der Software der Wissenschaftler ist der Wandel vom irregulär abgetasteten zu einem hochstrukturierten Modell heute aber kein Problem mehr: „Hier haben wir wirklich einen fundamentalen Algorithmus entwickelt, der einen Durchbruch in der Bearbeitung digitaler Modelle darstellt“, sagt Polthier.

Wichtig sei jedoch auch ein Kompressions-Algorithmus, der ebenfalls in Dahlem berechnet wurde. Besonders ausgeklügelte Hollywood-Monster – etwa die Armeen der Orks aus der Herr der Ringe Trilogie – können nämlich aus hunderttausenden bis Millionen kleiner Dreiecken zusammengesetzt sein. Bei jeder winzigen Bewegung, Mimik oder Gestik entstehen also riesige Datenmengen – schließlich muss für die Bewegung die Position jedes einzelnen Teils neu berechnet werden. Selbst für Hochleistungsrechner ist dies kaum zu bewältigen.

Ein Shrek = 20 Millionen Rechenstunden

Deutlich machen dies zum Beispiel die Zahlen des dritten Teils der Shrek-Filmreihe: Hinter knapp 90 Minuten Filmvergnügen steckten 20 Millionen Rechenstunden, für die rund 20 Terabyte Speicherplatz benötigt wurde. „Wir haben einen Algorithmus entwickelt, um die Dreiecksnetze ganz effektiv abspeichern zu können, so dass sie ohne Probleme bearbeitet oder übers Internet verschickt werden können“, sagt der Mathematik-Professor. Vergleichbar sei die Kompression der geometrischen 3D-Daten mit dem JPEG-Verfahren für digitale Fotografien oder der Komprimierung von Audio-Signalen durch das MP3-Format. Um das 200-fache lassen sich die Daten mit der Methode der Mathematiker verkleinern – und das ohne jeglichen Qualitätsverlust.

Aber schon lange vor seinen ersten Hollywood-Filmen war Polthier davon fasziniert, Mathematik und die Ergebnisse von Formeln sichtbar zu machen, seit Beginn seiner Studienzeit beschäftigte sich der Wissenschaftler damit. Auslöser waren damals auch die drögen Geometrie-Lehrbücher: staubtrocken seien diese gewesen, seitenlang nur Formel an Formel gereiht, die zwar Eigenschaften der Formen und Körper beschrieben, diese aber nicht wirklich verständlich dargestellt hätten. „Nach Grafiken habe ich in diesen Büchern als Student vergeblich gesucht“, sagt Polthier. Gerade die Geometrie würde aber von sichtbaren klassischen Formen leben: „Das ist so, als ob man Physik studiert, ohne die dazugehörigen fundamentalen Experimente kennenzulernen.“

Feline-Modell heißt die Figur, die mit einem Netz aus Dreiecken überzogen ist, mit dessen Hilfe Oberflächen am Rechner modelliert und verändert werden können.

Feline-Modell heißt die Figur, die mit einem Netz aus Dreiecken überzogen ist, mit dessen Hilfe Oberflächen am Rechner modelliert und verändert werden können.
Bildquelle: Konrad Polthier

Das Vierecksnetz auf dem Feline-Modell wird mit dem sogenannten Quad-Cover-Algorithmus erzeugt, der Techniken aus der Differentialgeometrie verwendet.

Das Vierecksnetz auf dem Feline-Modell wird mit dem sogenannten Quad-Cover-Algorithmus erzeugt, der Techniken aus der Differentialgeometrie verwendet.
Bildquelle: Konrad Polthier

Also fing der Student Polthier damit an, selbst Grafiken zu entwickeln und auszudrucken. Sein damaliger Mathematik-Professor nahm die Formel- und Funktionsbilder gerne an und kopierte sie für die Studierenden auf die Übungsblätter, die er im Seminar verteilte. Im fünften Semester hatte Polthier schließlich so viele Grafiken zusammen, dass er einen Kalender mit den mathematischen Bildern veröffentlichte.

Während Mathematik für viele ein Buch mit sieben Siegeln ist und bleibt, ist sie für den Wissenschaftler vor allem eins: anschaulich – und diese Ansicht spiegelt sich auch in Polthiers Büro wider: Bunte Dreiecke, Würfel und Vierecke reihen sich als dreidimensionale Modelle auf einem Regal hinter seinem Schreibtisch auf.

An der Wand hängt ein Plakat mit der Frage „What would Hollywood be without math?“ – „Was wäre Hollywood ohne Mathematik?“

Auf jeden Fall wär es für Hollywood um einiges schwerer, die Zuschauer mit spektakulären Bildern zu faszinieren. Auf Nachschub aus Berlin können die Produzenten aber bauen: Polthier und seine Kollegen arbeiten eng mit dem in der Hauptstadt ansässigen Unternehmen Mental Images zusammen – neben dem amerikanischen Unternehmen Pixar eine der führenden Animationsfirmen weltweit. Mathematische Forschung und Industrie zusammenzubringen, ist neben der Visualisierung der Mathematik eines der wichtigen Ziele Polthiers.

Besonderen Einfluss hat hier das DFG-Forschungszentrum „Mathematik für Schlüsseltechnologien“ – kurz MATHEON –, in dessen Vorstand er sitzt. MATHEON ist ein Verbund aus 200 Wissenschaftlern, der 2002 gegründet wurde. „MATHEON hat grundlegende Weichenstellung geleistet für die Zusammenarbeit zwischen Mathematik und Industrie. Vorher war dies nur in eingeschränktem Maße möglich“, sagt er.

Die Zusammenarbeit zwischen den Mathematikern und Mental Images ist nur ein Beispiel für eine Vielzahl an Kooperationen – aber eine besonders erfolgreiche.