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West-Östlicher Gabenkampf

Die Diplomatie des Schenkens im Austausch der Kulturen

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Antrittaudienz Kuefsteins im Topkap Saray, 5.12.1628 <br/> Gouache, Marktgemeindearchiv Prechtoldsdorf

Antrittaudienz Kuefsteins im Topkap Saray, 5.12.1628 Gouache, Marktgemeindearchiv Prechtoldsdorf

Im 17. Jahrhundert fordert der Sultan von Konstantinopel den Kaiser von Wien zu einer "Präsent-Verbesserung" auf. Worum handelt es sich hier? Gabenkampfspiel, Geschenkprovokation? Ein Kulturvergleich der politischen Ökonomie des Schenkens.

Der habsburgische Gesandte Hans Ludwig von Kuefstein hatte sich auf seine Reise gut vorbereitet. Als er am 20. Juli 1628 aufbrach, zählten fast 100 Personen zu seinem Gefolge. Er wusste, wie groß die politische Bedeutung der zweiten Erneuerung des Friedens von Zsitvatorok war, der 1606 den so genannten „langen Türkenkrieg“ beendet hatte. Und er wusste auch, dass man in Wien nicht nur von ihm erwartete, diese Erneuerung in Konstantinopel feierlich zu konfirmieren, sondern zudem hoffte, es werde ihm gelingen, eine lange Laufzeit für sie auszuhandeln. Am 25. November 1628 erreichte er Konstantinopel – und hatte sogleich ein Problem. Die Gastgeschenke für den Sultan müssten nachgebessert werden, bedeutete man ihm, wolle er nicht riskieren, sie voller Spott zurückzuerhalten. Lasse doch der Sultan in diesen Tagen dem Kaiser in Wien sehr viel wertvollere überreichen.

Erzwungene Geschenke, so Kuefstein, seien keine Geschenke, ganz davon abgesehen, dass der Kaiser dem Sultan im Laufe der Jahre sehr viel wertvollere gemacht habe als der Sultan dem Kaiser und dass er deshalb selbst dann, wenn es diesmal anders sein sollte, immer noch deutlich vorn liege. Doch schließlich lenkt Kuefstein ein, indem er aus den mitgeführten „Extraordinari Presenten“ drei in die vorgesehene Sendung überführen lässt: eine Uhr für den Sultan sowie einen Spiegel und ein Instrument, das „dreÿ stuckh vonn sich selber schleget“, für dessen Mutter. Womit haben wir es hier zu tun? Mit Geschenkprovokationen? War es ein „west-östlicher“ „Potlatch“, ein Gabenkampfspiel, das am Ende jener gewann, der die größeren Ressourcen oder die besseren Nerven hatte?

Geschenk oder Tribut?
Zunächst einmal muss man diesen Konflikt als Symbolkonflikt verstehen, als Konflikt um die Frage, wer im Rahmen eines geltenden Ordnungssystems bestimmte symbolische Positionen erfolgreich besetzen und damit auch die Deutungshoheit über diese Positionen beanspruchen kann. Wenn Kuefstein die osmanische Forderung nach „Präsent- Verbesserung“ beantwortet, indem er seinen Gastgebern entgegenhält, dass ein Geschenk freiwillig zu sein habe oder kein Geschenk sei, so müssen wir vor allem eines berücksichtigen: Genau dieses Prinzip hatten die Habsburger mit tatkräftiger Unterstützung der Osmanen ein halbes  Jahrhundert lang ad absurdum geführt. Zwischen 1547 und 1592 leisteten die Habsburger Geldzahlungen an die Hohe Pforte. * Belegt sind insgesamt 27 Zahlungen à 30.000 Gulden, die schlicht und einfach Tribute für den immer wieder zu erneuernden Verzicht der Osmanen auf eine Reihe von Besitz- und Herrschaftsansprüchen im westlichen Ungarn waren und die erst im Frieden von Zsitvatorok gegen eine Einmalzahlung in Höhe von 200.000 Gulden ihr vertragliches Ende fanden. Wie aber wurden die Tributzahlungen bezeichnet? Während die habsburgische Seite offiziell durchgängig von „munera honesta“ sprach, von „Ehrengeschenken“ also, wusste die osmanische Seite „diplomatisch“ zu differenzieren. Im osmanisch-habsburgischen Schriftverkehr er - scheint zumeist die Bezeichnung „armaganlar“: unzweideutig Geschenke, im innerosmanischen Schriftverkehr dagegen zumeist die Bezeichnung „haraçlar“: unzweideutig Tribute. Was also tut Kuefstein, wenn er das Prinzip der Freiwilligkeit der Gabe gegen die osmanische Forderung nach „Präsent-Verbesserung“ ins Feld führt? Er pocht auf eine Ordnung der Gabe, die ganz die seine ist, und beansprucht damit nicht zuletzt semantisch-politische Deutungshoheit. Das heißt, er trägt einen Rangkonflikt aus, bei dem es nur um eines geht: um „symbolische Macht“, die es nach dem Ende des langen Türkenkriegs ganz neu zu bestimmen galt.

„Präsent-Verbesserung“
Aus osmansicher Sicht ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte – und das kann kaum überraschen – die Forderung nach „Präsent-Verbesserung“. Nachdem die habsburgischen Tributzahlungen im Frieden von Tsitvatorok ihr vertragliches Ende gefunden hatten, fehlt es nicht an Belegen, die erkennen lassen, dass die Hohe Pforte immer wieder versuchte, diese Vereinbarung außer Kraft zu setzen, und zwar sowohl „real“ durch diplomatische Initiativen zur Wiederaufnahme der Zahlungen als auch (und in erster Linie) symbolisch, indem man beispielsweise in offiziellen Schreiben an habsburgische Instanzen einen mehr oder weniger kunstvollen Bogen um die korrekte Kaisertitulatur machte und stattdessen den „König von Wien“ adressierte. Während diese Titelminderungen regelmäßig dafür sorgten, dass sich Wien diplomatisch empört zeigte, scheint ein anderer Affront kein habsburgisches Gemüt erregt zu haben – weil er gar nicht als solcher verstanden wurde: die Übersendung von Ehrengewändern, von Kaftanen in aller Regel, die im hochdifferenzierten osmanischen Gabensystem nur eines bedeuten konnte: die Bekräftigung der Tributpflichtigkeit des Empfängers. Was aber hat all das mit der Forderung nach „Präsent-Verbesserung“ zu tun? Indem die osmanischen Würdenträger den kaiserlichen Gesandten aufforderten, den Gabenkorb an den Sultan nachzubessern, taten sie genau das, was sie taten, wenn sie dem Voyvoden der Wallachei oder jenem der Moldau oder dem Khan der Krim befahlen, Jagdfalken an die Hohe Pforte zu senden: Sie machten den Adressaten symbolisch zum Vasallen. Und das ganz ohne den osmanischen Höflichkeitskodex zu verletzen. Mehr noch. Wenn die osmanischen Würdenträger dabei nach Kuefsteins Bericht auf die hohe Qualität der Geschenke des Sultans verwiesen und auf diese Weise den Eindruck erzeugten, den Gesandten zu einem „Potlatch“ herausfordern zu wollen, dann entsprach auch das der sozialen Logik und der politischen Ökonomie ihres Gabensystems. So ist doch vielfach zu beobachten, dass die osmanischen Eliten reiche, ja, überlegene Geschenke nicht als Ausweis fremder, sondern als Ausweis eigener Stärke betrachteten – und damit als Ausweis einer Ehre, die in der osmanischen Gesellschaft in sehr viel stärkerem Maße erworben werden musste als in den ständisch strukturierten Gesellschaften Westeuropas.

Verkaufte Geschenke
 Der Gesandte indessen erkannte in alledem nur die Habsucht der Türken – und das ist auch nicht erstaunlich. Denn nicht nur, dass die Vorstellung von der osmanischen Gesellschaft als einer durch und durch nehmenden Gesellschaft seit dem späten 15. Jahrhundert in Westeuropa weit verbreitet war. Sie entsprach auch einer spezifisch diplomatischen Erfahrung, die in kaum einem Gesandtschaftsbericht fehlt: dass nämlich die überreichten Geschenke in vielen Fällen (und in aller Unschuld) wieder in den allgemeinen Geld- und Warenverkehr überführt, verkauft oder im Falle der Edelmetalle eingeschmolzen wurden. Zwar berichteten die Beobachter auch von der anderen Seite der Gabenpraxis im Osmanischen Reich, dem öffentlichen Transfer der Geschenke an den Sultan im Topkapı Sarayı oder deren feierliche Präsentation im Rahmen der Antrittsaudienz. Die Gesandtschaftsberichte lassen aber erkennen, dass die Beobachter nicht in der Lage waren, beide Erfahrungen aufeinander zu beziehen – die zeremonielle Anerkennung von Ehrerweisung qua Geschenk und die Rückführung des Geschenks in den Wirtschaftskreislauf. Sie konnten sie nicht erkennen als zwei kompatible Seiten einer Gabenordnung, die nicht auf persönlicher Verpflichtung und innerer Bindung beruhte wie in Westeuropa, sondern auf der – fast möchte man sagen „modernen“ – Vorstellung einer Gabenpflicht, die einzig und allein der Amtsehre galt. Kuefstein blieb die Erfahrung des Verkaufs seiner Geschenke erspart, Tagebuch und Abschlussbericht jedenfalls erwähnen nichts dergleichen. Sicher ist, dass er nach der Antrittsaudienz glaubte, auf ganzer Linie triumphiert zu haben. „Vnd ist also diese erste audienz, Gott lob glückhlich, vnd Wohl abgangenn“, notiert er erleichtert in seinem Tagebuch. Um Mitternacht erscheint der Lieblingskam merzwerg des „Türkhischen khaÿsers“, um zu fragen, ob das Hündchen auf dem Instrument, das die Mutter des Sultans erhalten habe, wohl die Stunden schlagen könne. Kuefstein sieht sich erfolgreich und erlaubt sich einen Spott: „wie seltzamb vnndt Lieb“ dem Sultan dieses „geringe Kindische Werckh“ gewesen sei. Aber hatte er das Gabenkampfspiel tatsächlich für sich entschieden? Als er Konstantinopel im August 1629 verließ, erhielt er kein Abschiedsgeschenk, so üblich das auch war. Und die Frage der Laufzeit des Friedens war so offen wie zuvor. Immerhin, das Bildnis der Sultans, das er dem Statthalter von Ofen auf seiner Rückreise nach Wien schenkte, das Bildnis fand Gefallen.

von Peter Burschel