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Lateinamerika

Ein Subkoninent und sein Berliner Institut

Zapata

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Tango, Samba und Zuckerhut, Schuldenkrisen und Favelas, Diktaturen und Revolutionen, Erdöl und Pyramiden, Fußball und Literatur – realitätsgerechte Betrachtung und Mythologie sind oft schwer voneinander zu trennen, wenn es um Lateinamerika geht.

Das gilt auch für die Wissenschaft. Methodologischer Nationalismus, institutionengebundene politische Analyse oder die Denkschablonen entwickelter Ökonomien sind kaum imstande, die soziale, kulturelle und politisch-ökonomische Realität lateinamerikanischer Länder zu erfassen, die indessen in Zeiten der Globalisierung alles andere als weit weg sind.

Anders an der Freien Universität, wo so umfassend wie an keiner anderen deutschen Universität Regionalstudien betrieben werden und wo man mit der Gründung des „Center for Area Studies“ ein herausragendes wissenschaftliches Rüstzeug in einer komplizierter gewordenen Welt geschaffen hat. Zu den Juwelen der international renommierten Regionalstudien an der FU gehört das Lateinamerika-Institut (LAI), das sich seit seiner Gründung 1970 in echter Interdisziplinarität in Forschung und Lehre den politisch-ökonomischen Transformationsprozessen in Lateinamerika widmet, seine Geschichte und Kultur erforscht, und wo man die Sprachen des Subkontinents lernen kann – über Spanisch und Portugiesisch hinaus.

Aus europäischer Sicht ist die politische Lage in Lateinamerika unübersichtlich geworden. Gab es nach einer Serie von Wahlen in diesem Jahr einen Linksruck? Prof. Marianne Braig, Geschäftsführende Direktorin des LAI, gibt eine Analyse des Geschehens und klärt auf über die zweigeteilten Gesellschaften Lateinamerikas. (siehe auch das Artikel "Knappe Mehrheiten")

Die Nordamerikanisierung des Südens und  die Lateinamerikanisierung des Nordens

Aber wie lange sind Wahlen überhaupt noch Angelegenheiten von Nationalstaaten? Mexikanischstämmige US-Amerikaner wählen grenzüberschreitend in Mexiko. Was Staat und Grenze sind, muss neu bedacht werden. In Zeiten transnationaler Kapitalströme, globaler Medien und supranationaler politischer Institutionen wird es indessen immer schwerer, der Grenze eine Kontur zu geben. Auch von „unten“ wird sie in Frage und auf die Probe gestellt. Migrationsbewegungen, gegen die alle Versuche der Demarkation hilflos sind, schaffen neue soziale Räume, bringen neue politische Subjekte hervor und markieren den Abschied von der Illusion der „Reinkultur“. Und wo man bislang nur die „Nordamerikanisierung“ des Südens sah, fällt nun der Blick zunehmend auf die Lateinamerikanisierung des Nordens. Prof. Anja Bandau, Dr. Stephanie Schütze, Dr. Stefanie Kron und Prof. Stefan Rinke erweiterten LAI-typisch den Horizont ihrer Disziplinen und warfen einen Blick auf die Grenze und über den Zaun.

Doppelter Blick

Was es indessen bedeutet, nicht im Besitz der Hoheitszeichen eines Nationalstaates zu sein, beispielsweise eines gültigen Passes – wie 75 Millionen Lateinamerikaner – schildert LAI-Alumna Bettina Boekle, die in Washington für die Inter-Amerikanische Entwicklungsbank arbeitet.
Der Dauerbrenner Schuldenkrise und seine mythenbehafteten Erklärungen im ökonomischen Feuilleton sind Thema unseres „Reden über ...“ mit Prof. Barbara Fritz, die über die „Ursünde“ der lateinamerikanischen Volkswirtschaften aufklärt und weiß, dass auch die Wirtschaftswissenschaft kulturgebunden ist. Um die Kulturgebundenheit von Wissenschaft überhaupt zu erkennen, werden die Studierenden des LAI auf Reisen und Exkursionen geschickt, damit sie frühzeitig den doppelten Blick einüben können, der sie zu guten Regionalexpertinnen und -experten macht – sehr zu ihrem Nutzen und Frommen, wie uns Dr. Stefanie Kron anhand einer Absolventenstudie des Instituts nahebringt.

Auch Medienkompetenz gehört heute zur Berufsfähigkeit, und die neue E-Learning-Plattform des LAI, für deren Entwicklung PD Dr. Martha Zapata die Schnittstelle zwischen Technik und Wissenschaft belebte, ist dazu die perfekte Grundlage.

Eine der Voraussetzungen für diesen doppelten Blick ist der Grundsatz des „Forschens mit“ statt des „Forschens über“, der seit jeher am LAI praktiziert wird. Prof. Ligia Chiappini kooperiert bei einem Projekt über den Gaúcho in Zeiten des Mercosul mit brasilianischen Universitäten* wie es auch Prof. Jürgen Golte und Dr. Peter R. Fuchs mit peruanischen Forschungseinrichtungen bei ihrem Grabungsprojekt tun, das kürzlich spektakuläre Ergebnisse ans Licht gebracht hat.

Kooperation mit John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien

„Forschen und studieren mit“ heißt am LAI auch Zusammenarbeit mit einem anderen Regionalinstitut der FU, dem  (JFKI). Denn es ist unmöglich geworden, das eine Amerika ohne das andere zu verstehen. So sind die Lateinamerika-Fachleute auch an der kürzlich in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder ausgezeichneten und gefördeten Graduiertenschule „The Challenges of Freedom“ des JFKI beteiligt. Und so produziert das Lateinamerika-Institut die Experten von morgen für eine international vernetzte Welt. Oder wie der brasilianische Botschafter Luiz Felipe de Seixas Corrêa es ausdrückt: „Für Berlin ist das LAI ein kulturelles Kleinod, für das sich die lateinamerikanischen Länder einsetzen sollten.“