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Kriegs-Erklärung

Die Forschung von Krieg und Frieden braucht die Expertise der Altertumswissenschaft

Seidlmayer

Seidlmayer

Als man 60 Jahre nach Kriegsende im Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften in einer Aktionswoche über „Krieg und Frieden“ debattierte, stand kein Ausnahmefall zu Debatte. In einer Gegenwart der Kriege war die grundsätzlichere Konfrontation mit dem Thema gefordert – einschließlich der historischen Anamnese bis in die ferne Vergangenheit.

Denn in der Welt der frühen Staaten ist die soziopolitische Rahmenkonstellation entstanden, die Krieg im heutigen Sinne erst möglich gemacht hat. Fächer wie Assyriologie, Vorderasiatische Archäologie, Klassische Archäologie, Altamerikanistik und Ägyptologie haben hier eine reiche Expertise anzubieten.

Mit dem Schritt in die Staatlichkeit erhielt nicht nur die organisierte Gewalt zwischen den Staaten ein neues Gesicht. Auch der spontane Konflikt, die menschliche Aggressivität im innerstaatlichen und sozialen Nahbereich veränderte sich. Kriegerischer Konflikt scheint eine integrale Dimension in der Existenz der frühen Staaten zu bilden. Auch ökonomische Motive treten durchgängig zu Tage. Die Aneignung von Beute und Tributleistungen, der Zugang zu knappen Ressourcen und die Gewinnung menschlicher Arbeitskraft als Ziele des kriegerischen Konflikts gab es im Alten Orient, in der Antike wie im alten Amerika. Damit wurden die inneren, soziopolitisch asymmetrischen, Strukturen der frühen Staaten in den Außenkontakten analog und in großem Maßstab fortgesetzt.

Die Strategien waren durchaus variabel. Der Eroberung kompakter Großreiche wie etwa der Assyrer oder Roms stehen Modelle gestuft-hegemonialer Strukturen etwa im alten Amerika gegenüber. Dabei war auch schon die Drohung mit Krieg ein Mittel, schwächere Nachbarn zu “freiwilligem” Einlenken zu zwingen und so den Krieg als solchen auch zu vermeiden. Der Blick auf die Kulturen des alten Amerika erwies sich als besonders fruchtbar und zeitigte Überraschungen. Denn anders als im Alten Orient und im Mittelmeergebiet gab es hier auf einer Basis gemeinsamer Kultur und Religion Netzwerke hochkompetitiver Kleinstaaten, in denen Krieg wie – eine allerdings extreme – Form symbolischer Kommunikation zwischen den politischen Partnern wirkt, weit entfernt davon das System umzustürzen.

Krieg braucht Legitimation. Er ist zuerst einmal nicht „gerecht”, er will „gerechtfertigt” werden. Bei Assyrern und Hethitern fließen juristische Fiktion und religiöse Projektion ineinander: Krieg ist immer die Schuld der anderen, ist Folge konstruierter „Angriffe” oder sonstiger „Rechtsverletzungen” durch das spätere Objekt der Aggression. Solche Konstruktionen verweisen noch auf ein Bewusstsein der prekären Abnormität der offen gewaltsamen Auseinandersetzung. Erst in der theologischen Legitimation eines Weltherrschaftsanspruchs wird Krieg „gerecht” und dann zur permanenten Pflicht, zum Normalzustand. Und wo Götter als symbolische Verkörperungen der kollektiven Identität von Völkern und Staaten erscheinen, transponieren sich politische Konflikte in einen mythologischen Raum des „Konflikts unter Göttern” und damit auf ein Niveau der Sinnkonstruktion jenseits des tagespolitischen Einzelfalls.

Mit den Bildern kam auch das zentrale Medium zur Sprache, in dem Krieg gefasst, gedeutet und in den Prozess gesellschaftlicher Kommunikation eingebracht wird. Römische Schlachtendarstellungen zeigen, wie dieselben Ereignisse je nach intendiertem Publikum in unterschiedlicher Akzentuierung in Szene gesetzt wurden. Vorgänge, die sich individueller Augenzeugenschaft entzogen, erhielten erst im Bild ein wahrnehmbares Profil. Die Szenerie in fremden Ländern, die Führerschaft des Feldherrn, das Muster ideologischer Tugenden, das (vorgeblich) den Ablauf bestimmte, wurden sichtbar gemacht. Diese Bilder gaben dem Staat die Deutungshoheit über die Vorgänge in die Hand.

Im alten Ägypten war gewaltsames, aggressives und kompetitives Verhalten innerhalb der Gesellschaft scharf stigmatisiert. Daher wird hier der Kampf als Phänomen in der Natur nur soweit zu Wahrnehmung und Darstellung zugelassen, als Kompetition sozial als akzeptables Verhalten verstanden wurde. So scheint die Darstellung kämpfender Tiere – zumal kämpfender Stiere – in den Wandbildern der Elite mit Perioden innenpolitischer Auseinandersetzungen zu korrelieren.

Es war viel vom Krieg die Rede, kaum vom Frieden. Offenbar werden Krieg und Konflikt als die „markierten” Prozesse wahrgenommen, auf die sich die Forschung richtet. Frieden und Harmonie treten dagegen als „Normalzustand” in den Hintergrund. Sie stellen sich mutmaßlich „von selbst” ein – und dabei spricht alles dagegen, dass es so ist! Das Gespräch über Krieg und Konflikt weist also auf ein weites Forschungsgebiet: Was hält komplexe Gesellschaften zuallererst zusammen? Die soziopolitischen Entwicklungen der frühen Staaten haben Konflikte auf ein neues Niveau gehoben. Deshalb müssen wir in diesem historischen Horizont mit Vorrang auch analysieren, wie Staaten im Innern und untereinander Konsens bilden.