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Depressionen digital behandeln

Der am Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie entwickelte „Depressions-Coach“ soll depressive Symptome online lindern / Hohe Wirksamkeit und geringe Abbruchquote wurden nun in einer Evaluation bestätigt

18.09.2017

Christine Knaevelsrud vom Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie hat den Depressions-Coach mitentwickelt.

Christine Knaevelsrud vom Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie hat den Depressions-Coach mitentwickelt.
Bildquelle: Techniker Krankenkasse / flickr

Mit dem „Depressions-Coach“ müssen depressive Patienten keine Praxis aufsuchen, sondern können zuhause am Bildschirm therapiert werden. Das neue Instrument der Online-Therapie ist an der Freien Universität entwickelt worden und wurde in den vergangenen drei Jahren in Zusammenarbeit mit der Techniker Krankenkasse getestet.

Die Ergebnisse dieser Evaluierung wurden kürzlich in Berlin vorgestellt. Campus.leben sprach mit Professorin Christine Knaevelsrud vom Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie, die den Depressions-Coach mit ihrem Team entwickelt hat.

Frau Knaevelsrud, was kann der Depressions-Coach leisten, was eine klassische Therapie nicht leisten kann?

Unser Angebot richtet sich an Patienten, die keine klassische Gesprächstherapie wünschen. Der direkte Kontakt zum Psychologen in der ambulanten Therapie ist für manche Patienten ein Hindernis. Sie fangen deswegen manchmal erst gar nicht mit einer Therapie an. Darüber hinaus ist unser System schnell zugänglich, es gibt keine monatelangen Wartezeiten. Der Depressions-Coach ist außerdem für Menschen interessant, die in ländlichen Regionen einen erschwerten Zugang zu psychotherapeutischen Praxen haben oder aufgrund hoher beruflicher Einbindung nicht die üblichen Sprechzeiten nutzen können.

Wie funktioniert der Kontakt zu den Patienten bei Ihrem Angebot?

Wir treffen die Patienten nicht, telefonieren aber mit ihnen zu Beginn der Therapie. Jeder Patient wird von einem Psychologen begleitet, der sich anschaut, welche Angaben der Patient online macht und auch den Kontakt mit ihm hält. Wichtig ist dabei, dass jeder Patient immer von dem gleichen Psychologen begleitet wird, damit dieser Entwicklungen sehen und einordnen kann. Außerdem müssen die Patienten einmal in der Woche einen Fragebogen ausfüllen, in dem sie angeben, wie sie sich fühlen. Stellen die Psychologen dort alarmierende Entwicklungen fest, werden die Patienten sofort telefonisch kontaktiert. Der Einsatz von Online-Intervention im psychologischen Bereich ist in den Niederlanden, Großbritannien und Schweden bereits in das Regelversorgungssystem integriert. In Deutschland ist das noch nicht der Fall, hier gibt es bislang nur Forschungsprojekte mit Pilotstudien.

Wie funktioniert eine Online-Therapie?

Am Anfang bekommen die Patienten Schreibaufgaben. Sie sollen Fragen beantworten: Wann hat die Depression begonnen, was glauben sie war der Auslöser? Sehen sie besondere Einschränkungen? In einem zweiten Schritt werden gemeinsam Ziele festgelegt, die mit der Therapie erreicht werden sollen. In einem weiteren Schritt wird ein Tagesplan erstellt, denn depressive Menschen haben die Tendenz, ihren Alltag völlig zu überstrukturieren oder zu unterstrukturieren. Dann geht es darum, Bewertungsmuster neu zu erproben. Depressive Patienten haben die Neigung, neutrale Informationen negativ zu bewerten. Mit einer Übung soll dieses negative Denkmuster aufgebrochen werden. Die Patienten sollen Alltagssituationen, die in Videos, Hörspielen und Textbeispielen dargestellt werden, beurteilen. Dafür werden ihnen verschiedene Antwortmöglichkeiten vorgegeben, die aufzeigen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, eine Situation einzuschätzen. Anschließend schreiben die Patienten vergleichbare Situation aus ihrem Leben auf und werden angeleitet, bisherige Bewertungsmuster neu zu interpretieren.

Was hat die Evaluation des Depressions-Coaches ergeben?

Für diejenigen, die den Weg der Online-Intervention gewählt haben – die Teilnahme der Patienten war selbstverständlich freiwillig – scheint das eine hocheffektive Form der Therapie zu sein, die schnell Erfolge erzielt und unmittelbar anwendbar ist. Wir liegen mit einer Abbruchquote von 17 Prozent deutlich unter der Quote ambulanter Psychotherapien. Hier liegt die Abbrecherquote bei 20 bis 30 Prozent. Das ist relativ erstaunlich bei über 1100 Patienten, die teilgenommen haben. Durch die Zusammenarbeit mit einer großen Krankenkasse konnten wir auf einen Pool von über 10 Millionen Versicherten zugreifen – das ist eine sehr große Zahl, die ungewöhnlich ist für solche Studien. Das gibt uns die Möglichkeit, wissenschaftlich fundierte Aussagen auch über Nebeneffekte erzielen zu können. Bei vergleichbaren Studien ist das oft aufgrund der viel zu kleinen Stichprobe nicht möglich. Unser Angebot war bislang ausgelegt für leicht- bis mittelgradig Depressive. Die Forschungsergebnisse zeigen aber, dass der Coach auch für schwerer depressive Patienten einsetzbar wäre.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Evaluation für Ihre zukünftige Forschung?

Bisher hat man die Veränderungen durch Therapien vor allem im Labor untersucht, wir wollen jetzt in einer Folgestudie zeigen, was sich im beobachtbaren Verhalten der Patienten verändert. Es ist ja so, dass sich bei einer erfolgreichen Therapie nicht nur psychische, sondern auch ganz real physische Zustände verändern: Patienten klagen weniger über Müdigkeit, sind körperlich fitter. Wir wollen die einer Depression zugrundeliegenden biologischen Prozesse genauer erforschen und schauen, was auf biologischer Ebene während so einer Therapie stattfindet. Darüber hinaus ist für Patienten die Teilnahme am bisherigen Programm weiterhin möglich.

Die Fragen stellte Manuel Krane

Weitere Informationen

Prof. Dr. Christine Knaevelsrud, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin, Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie, E-Mail: klinpsy@fu-berlin.de