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„Ich bin an der Freien Universität an einem idealen Platz“

Ein Interview mit der Arabistikprofessorin Beatrice Gründler, die den Leibniz-Preis 2017 erhält

26.01.2017

Die Arabistin Beatrice Gründler von der Freien Universität Berlin erhält den Leibniz-Preis 2017.

Die Arabistin Beatrice Gründler von der Freien Universität Berlin erhält den Leibniz-Preis 2017.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Der Kalīla wa Dimna, Gegenstand eines Forschungsprojektes von Beatrice Gründler: arabisches Manuskript um 1210.

Der Kalīla wa Dimna, Gegenstand eines Forschungsprojektes von Beatrice Gründler: arabisches Manuskript um 1210.
Bildquelle: Arabischer Maler um 1210 - The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei. DVD-ROM, 2002. ISBN 3936122202. Distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH., Public Domain, Link.

Er ist der wichtigste deutsche Forschungsförderpreis: der Leibniz-Preis. Eine der zehn Ausgezeichneten für das Jahr 2017 ist die Arabistin Beatrice Gründler. Sie lehrt und forscht seit 2014 als Professorin am Seminar für Semitistik und Arabistik der Freien Universität Berlin.

Beatrice Gründler ist im Vorstand des Dahlem Humanities Center der Freien Universität und Principal Investigator der Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies sowie der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien. Campus.leben erreichte Beatrice Gründler, kurz nachdem sie von ihrer Ehrung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) erfahren hatte.

Frau Professorin Gründler, wie war Ihre erste Reaktion, als Sie erfahren haben, dass Sie mit dem Leibniz-Preis geehrt werden?

Ich war tatsächlich erst einmal überrascht und konnte es nicht glauben: Der Anruf hat mich während meines Seminars erreicht. Dann hat mein Telefon kurz danach noch dreimal geklingelt. Ich bin jeweils vor die Tür gegangen. Irgendwie passten die Unterbrechungen zum Seminarthema, weil ich gerade die Geschichtensammlung von „1001 Nacht“ unterrichte, bei der es ja nach jeder Nacht eine Unterbrechung der Geschichte gibt, um die Spannung zu halten. Die Studierenden haben mich dann gefragt, ob ich das extra so organisiert hätte, um die Wirkung der Unterbrechung zu zeigen. Das war sehr lustig.

Die DFG zeichnet Sie mit dem Leibniz-Preis für Ihre Studien zur Vielstimmigkeit der arabischen Poesie und Kultur aus – wie würden Sie einem fachfremden Publikum beschreiben, womit Sie sich beschäftigen?

Das Arabische war in der Vormoderne – also vom siebten bis zum 19. Jahrhundert – eine Gelehrtensprache, in der viele schrieben, deren Muttersprache nicht Arabisch war: Perser, Juden, Byzantiner, Berber, Goten und andere. Das Arabische vereinte also die Stimmen vieler Menschen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft. Sie alle gehörten zu einer arabisch-islamischen Kulturgemeinschaft. Neben der sprachlichen, religiösen und ethnischen Vielfalt und der geografischen Spannweite zeigt das Arabische eine sprachliche und rhetorische Vielfalt: Die arabische Literatur erstreckt sich nicht nur über drei Kontinente und 14 Jahrhunderte, sie umfasst auch verschiedene Genres: die Biografie, die Geschichte, das Heldenepos, Prophetenlegenden, die Liebesdichtung und vieles mehr.

Sie werden von der Jury dafür gewürdigt, dass Sie „die Begegnungen arabischer und europäischer Wissenstraditionen“, die Sie in ihren Arbeiten erforschen, durch Ihre Arbeitsweise selbst auf vorbildliche Weise praktizieren. Was ist damit gemeint?

Es gibt ein Werk, das ursprünglich als Fürstenspiegel konzipiert war – zur Unterrichtung heranwachsender Herrscher: die Fabelsammlung „Kalila und Dimna“. Das Buch aus dem sechsten Jahrhundert wird wegen der Häufigkeit seiner Übersetzungen mit der Bibel verglichen: Es landete im elften Jahrhundert in Europa und stammte teilweise ursprünglich aus dem Indischen. Wie ein Lauffeuer hat es sich damals in fast alle europäischen Sprachen ausgebreitet. Es ist in insgesamt fast 40 Sprachen übertragen worden, vom Syrischen bis ins Javanesische – aber heute ist es nahezu unbekannt. Dabei ist „Kalila und Dimna“ ein Brückentext zwischen Indien und Europa – und die kulturelle Brücke ist das Arabische. Es geht mir darum, die Geschichte dieses Buches zu erzählen, das mehrere Kulturgemeinschaften verbindet.

Der Leibniz-Preis ist mit 2,5 Millionen Euro dotiert – wofür werden Sie das Geld einsetzen?

Ich werde es auf jeden Fall verwenden, um den multisprachlichen Fabeltext „Kalila und Dimna“ zu bearbeiten. Dank des Preisgeldes kann ich nicht nur die arabische Version bearbeiten, sondern die Expertise auch für andere Sprachen einholen: von Sanskrit über Jiddisch und Isländisch bis Mongolisch. Ich halte es für wichtig, dass auch ein allgemeines Publikum erfährt, wie vernetzt die Kulturen in der Vormoderne waren. Es gibt neben „Kalila und Dimna“ noch andere Werke, die über die arabische Brücke von Indien nach Europa gekommen sind, die ich in meine Untersuchungen gern aufnehmen möchte. Viele der Texte sind so variantenreich, dass sie nur mit digitalen Medien dargestellt werden können. Auch hierfür möchte ich das Preisgeld nutzen.

Welchen Bezug zur Gegenwart hat Ihre Forschung?

Man weiß in Europa zu wenig über die reiche arabisch-islamische Kultur. Über die Medien bekommt man zwar aktuelle Informationen, sie sind aber nicht bildungsorientiert, sondern meist krisen- und ereignisbezogen. Ich sehe es als meine Aufgabe an, das Stückchenhafte, das man als Normalbürger erfährt, mit dem Wissen über die langandauernde arabisch-islamische Geschichte zu unterfüttern.

Der Leibniz-Preis ist die höchste Ehrung in Deutschland für Forscherinnen und Forscher – was bedeutet er Ihnen persönlich?

Es freut mich ganz persönlich, dass durch den Preis auch mein Forschungsthema ausgezeichnet wird. Dass die Kommission gesehen hat, dass es nicht nur wichtig ist, Krisen des modernen Nahen Ostens oder den Fundamentalismus zu verstehen, sondern dass wir verstehen müssen, wie breit und tief die islamisch-arabische Kultur angelegt ist. Hier zu einem besseren Verständnis beizutragen, sehe ich als meine Aufgabe.

Es ist ein Privileg, Mitglied der Freien Universität zu sein, an der wir einen großen Reichtum an kulturwissenschaftlichen Fächern haben. Ich kann meine Forschung verbinden mit derjenigen der Kolleginnen und Kollegen, die über das Persische, Türkische, Hebräische, Syrische, Akkadische und andere Sprachen arbeiten. An der Freien Universität bin ich an einem idealen Platz, um ein solches Forschungsprojekt dank des Leibniz-Preises auszuführen.

Die Fragen stellte Christine Boldt

Weitere Informationen

Mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet wurde auch der Kognitionspsychologe Prof. Dr. Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, der auch Honorarprofessor der Freien Universität ist.

Lesen Sie auch die Pressemitteilung der Freien Universität Berlin vom 8. Dezember 2016.