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Monumentales Grab unter Prignitzer Bäumen

Archäologische Untersuchungen des Exzellenzclusters Topoi zeigen erstmals, wie das Königsgrab von Seddin errichtet wurde

02.09.2014

Die Öffnung der Grabkammer am 20. September 1899. Das größte Hügelgrab im nördlichen Mitteleuropa war kurz zuvor von Arbeitern bei Chaussee-Bauarbeiten entdeckt worden.

Die Öffnung der Grabkammer am 20. September 1899. Das größte Hügelgrab im nördlichen Mitteleuropa war kurz zuvor von Arbeitern bei Chaussee-Bauarbeiten entdeckt worden.
Bildquelle: Stiftung Stadtmuseum Berlin

Grabungsleiterin Andrea Moser zeigt die unterschiedlichen Sand- und Steinschichten.

Grabungsleiterin Andrea Moser zeigt die unterschiedlichen Sand- und Steinschichten.
Bildquelle: Nina Diezemann

Vor fast 3000 Jahren muss das monumentale Grab in der sanft gewellten Landschaft der Prignitz schon aus mehreren Kilometern Entfernung sichtbar gewesen sein: ein gigantisches Bauwerk der Bronzezeit, ein mit Steinen oder einer dünnen Grasschicht bedeckter kuppelförmiger Hügel, zehn Meter hoch, mit einem Durchmesser von 62 Metern. Heute liegt das Grab, das 1899 bei Steinbrucharbeiten für den Chausseebau nahe der Ortschaft Seddin in der Prignitz entdeckt worden ist, versteckt unter Bäumen, zwischen Wäldern und Wiesen.

Mehr als 100 Jahre nach der Entdeckung sind noch viele Rätsel offen

Seit diesem Frühjahr können Besucher ein wenig mehr von seiner alten Größe erahnen, denn als „zentraler archäologischer Ort“ ist es neugestaltet worden: Wege wurden angelegt und einige der Bäume gefällt. Mehr als 100 Jahre nach seiner Entdeckung gibt das sogenannte Königsgrab, das um 830 vor Christus errichtet wurde, immer noch viele Rätsel auf. Sie sollen derzeit in einem Forschungsprojekt des Exzellenzclusters Topoi gelöst werden: Woher stammt das Baumaterial für den gewaltigen Hügel? Wie wurde er errichtet? Wie lebten die Menschen zusammen, die einem ihrer Anführer dieses Denkmal errichtet haben?

Da es aus der Bronzezeit (2200 bis 800 v. Chr.) im nördlichen Mitteleuropa keine schriftlichen Quellen gibt, erzählen materielle Überreste die Geschichte. 1899 stießen Arbeiter auf der Suche nach Steinen auf eine kunstvoll aus Findlingen gebaute Grabkammer, die Besucher heute betreten können. Darin befanden sich drei Urnen und zahlreiche Grabbeigaben, die inzwischen im Stadtmuseum Berlin ausgestellt sind. Auch diese sind außergewöhnlich: Denn einzigartig sind darunter nicht das Schwert, Zeichen von Macht und Würde, oder eine bronzene Amphore, verziert mit aufwendigem Punktmuster, das als Kalender gedeutet wird.

Es sind zwei schlichte Nadeln aus Eisen – Vorboten der kommenden Eisenzeit. Eisen war in der ausgehenden Bronzezeit, in der das Grab entstand, ein noch neuartiges und deshalb besonders wertvolles Metall, eine Grabbeigabe für einen mächtigen und offenbar für Neuerungen aufgeschlossenen Herrscher, der hier etwa 40-jährig mit zwei jüngeren Frauen vermutlich gemeinsam bestattet wurde. Es sei das größte Hügelgrab im nördlichen Mitteleuropa, sagt Jens May, Gebietsarchäologe für das nordwestliche Brandenburg im Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum.

Seit mehr als zehn Jahren erforscht May gemeinsam mit Fachkollegen das Grab und dessen Umgebung und betreut das Projekt für den Exzellenzcluster Topoi, einen gemeinsamen Forschungsverbund von Freier Universität und Humboldt-Universität, die mit zahlreichen außeruniversitären Einrichtungen eng zusammenarbeiten, unter anderem dem Deutschen Archäologischen Institut (DAI). Geleitet wird das Projekt vom Direktor der Eurasien- Abteilung des DAI, Svend Hansen, und dem Brandenburgischen Landesarchäologen Franz Schopper, die beide an der Freien Universität Berlin lehren.

Nicht nur das Hügelgrab, auch die Umgebung ist für die Forschung interessant. In unmittelbarer Nähe liegt eine 290 Meter lange, fast schnurgerade Feuergrubenreihe, bestehend aus gut 150 mit Steinen gefüllten, ungefähr 80 Zentimeter tiefen Gruben, deren Bedeutung noch nicht eindeutig geklärt ist. 80 dieser Gruben wurden im Frühjahr für Besucher an der Geländeoberkante rekonstruiert.

Nahezu in Sichtweite liegt in den nach ihrem damaligen Besitzer benannten „Wickbold’schen Tannen“ das größte Hügelgräberfeld der Prignitz. Es bestand ursprünglich aus mehr als 100 Grabhügeln, die allerdings viel kleiner waren. „Die hohe Dichte an reich ausgestatteten Hügelgräbern und die für den Norden einzigartige Ballung von Schwertgräbern zeigt eine große Konzentration von Macht und Reichtum auf kleinstem Raum“, sagt Jens May.

Die Prignitz war in der Bronzezeit vermutlich ähnlich stark bevölkert wie heute – damals entsprach das einer dichten Besiedelung, heutzutage ist die Region eine der am dünnsten besiedelten Deutschlands. Grabungsschnitte zeigen erstmals im Detail, wie der gewaltige Hügel des Seddiner Königsgrabs errichtet wurde – nämlich wie eine „Schichttorte“, sagt Jens May, bestehend aus Steinen unterschiedlicher Größe und aus Sand. Es könnte sein, dass eine einlagige Steinschicht die Oberfläche des Grabhügels bildete – „um ihn nach außen als Steinbauwerk zu deklarieren und um gleichzeitig Erosion zu verhindern“, sagt May.

Noch heute vermittelt sich die zauberhafte Atmosphäre den Besuchern

Wie lange der Bauprozess insgesamt gedauert hat und wie viele Menschen daran beteiligt waren – ob eine kleine Gruppe ausgewählter Experten oder eine große Anzahl zwangsverpflichteter Arbeitskräfte –, darüber kann man nur spekulieren. Durch Grabungen im Sommer dieses Jahres steht nun fest, dass das Baumaterial nicht einem Graben rund um den Hügel entnommen wurde, sondern von einem anderen Ort herbeigeschafft worden sein muss. Jens May könnte sich auch vorstellen, dass der Ort bereits vor dem Begräbnis rituell genutzt worden ist.

Bei weiteren Grabungsschnitten hofft May, die Verbrennungsstelle, die sogenannte Ustrine, zu finden. Obwohl durch den Chausseebau beschädigt und seit Langem baumbewachsen, ist das Seddiner Königsgrab ein besonderer Ort, dessen zauberhafte Atmosphäre sich auch heutigen Besuchern noch vermittelt. Das Grab erzählt vom großen Gestaltungswillen der damaligen Bevölkerung in dieser Region, von ihrem Wunsch, dauerhafte Zeugnisse ihrer Macht zu errichten und für die Ewigkeit zu bauen. Zumindest bis heute ist ihnen das gelungen.

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