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Prähistorische Wachstumsschübe

Archäologen der Freien Universität untersuchen, wie sich die Körpergröße frühgeschichtlicher Menschen verändert hat

31.07.2012

160 cm groß soll Ötzi gewesen sein, dessen 5300 Jahre alte Mumie 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckt wurde.  Die Körperhöhe von vorgeschichtlichen Menschen lässt sich anhand von Langknochen berechnen.

160 cm groß soll Ötzi gewesen sein, dessen 5300 Jahre alte Mumie 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckt wurde. Die Körperhöhe von vorgeschichtlichen Menschen lässt sich anhand von Langknochen berechnen.
Bildquelle: Reconstruction by Kennis © South Tyrol Museum of Archaeology, Augustin Ochsenreiter

Gerade einmal 160 Zentimeter soll Ötzi gemessen haben, dessen 5300 Jahre alte Mumie 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckt wurde. Alexander der Große, der antike König von Makedonien, kam sogar nur auf anderthalb Meter. Heute sind Männer in Deutschland durchschnittlich 1,80 Meter groß, Frauen ungefähr 1,70 Meter. Fortschreitende Technik, so heißt es oft, brachte vermehrten Wohlstand, was wiederum die Körper in die Höhe wachsen ließ. Ein Team um die promovierte Archäologin Eva Rosenstock nutzt diesen Ausgangspunkt, indem es Daten zu Körperhöhen betrachtet – anstelle anderer Wohlstandsindikatoren, etwa des Bruttosozialprodukts. Dabei untersuchen die Wissenschaftler das Größenwachstum von Menschen der Prähistorie – der ältesten Periode der Menschheitsgeschichte.

Eva Rosenstock führt eine steigende menschliche Durchschnittsgröße auf den Grad der Eiweißversorgung zurück: „Proteine kommen dem Aufbau von Körperstrukturen am stärksten zugute.“ Seit der Industrialisierung werde die menschliche Körpergröße systematisch gemessen; die Ursache für den stetigen Anstieg der Größe im 19. und 20. Jahrhundert in der westlichen Welt sei wahrscheinlich die verbesserte Versorgung mit Eiweiß.

„Nun wollen wir die vorhandenen archäologischen Daten zu Ernährung, Wirtschaftsweise und Lebensbedingungen in der Prähistorie anhand der Entwicklung der Körperhöhe prüfen“, sagt die Archäologin. Das Projekt wird als Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für zunächst vier Jahre mit rund einer Million Euro gefördert. Gemeinsam mit zwei Doktorandinnen, einem Statistiker und zwei Studenten erforscht die Projektleiterin seit September 2011 am Institut für Prähistorische Archäologie in Berlin-Dahlem die Lebensbedingungen und den biologischen Lebensstandard der frühgeschichtlichen Menschen Südwestasiens und Europas.

„Die Körperhöhe von vorgeschichtlichen Menschen rekonstruieren wir, indem wir Skelette betrachten, und hier insbesondere die Maße von Langknochen wie Oberschenkelknochen“, erläutert Eva Rosenstock. Ihre Forschungsgruppe nutzt dafür zunächst eine Datenbank aus den 1970er Jahren, die Zugang zu Daten von etwa 5000 Individuen bietet. Ziel ist es aber, Daten von 30.000 Individuen zu analysieren: Schließlich hat das Team um Rosenstock vor, die Lebensbedingungen einer langen Zeitspanne zu rekonstruieren – von 40.000 vor Christus bis zum Ende der Bronzezeit, etwa 1000 vor der Zeitrechnung. Es gibt also noch viel zu tun.

Erste Ergebnisse stimmen Eva Rosenstock zuversichtlich: „Kaum wurde der Mensch im Neolithikum sesshaft, ist seine Körperhöhe anscheinend geringer geworden.“ Als Feldbauer habe er hauptsächlich Getreide und somit wenig Eiweiß verzehrt. Die Domestizierung von Tieren und der Anbau von Hülsenfrüchten habe die Versorgung mit Eiweiß verbessert, und die Körperhöhe sei gestiegen. „Während der Ausbreitung des Neolithikums wurden die Menschen aber wieder kleiner“, schildert die Archäologin die Befunde, „denn vielleicht bedeutete ein Bevölkerungsanstieg weniger Nahrung für eine große Zahl von Kindern.“

 In der Bronzezeit betrieben die Menschen bereits Ackerbau mithilfe von Pflug und Rind – der Körperwuchs wurde wieder größer. Diese letzte Phase zeige auch, dass in der Evaluation verschiedene Faktoren neben der Ernährung beachtet werden müssen, sagt Rosenstock: „Die Körperhöhe ist das Resultat der Nettoernährung.“ Körperliche Aktivität, das Klima oder Krankheiten entzögen dem Körper demnach Energie, die er nicht für das Wachstum nutzen kann.

Naturgemäß kann ein Mensch selbst bei optimaler Nettoernährung nur die genetisch festgelegte Maximalgröße erreichen, und erwiesenermaßen spiegelt die an Skeletten gemessene Körperhöhe lediglich die Ernährung im Kindes- und Jugendalter wider, weil danach das Wachstum endet. Dennoch eröffnet Eva Rosenstocks Studie mit dem biologischen Lebensstandard einen Zugang zum einzigen global vergleichbaren Wohlstandsindikator für die Vor- und Frühgeschichte. Dieser wird von Wirtschaftshistorikern seit einigen Jahrzehnten auf die Neuzeit und Gegenwart angewendet: Eine Studie hat gezeigt, dass Kinder aus sozial schwachen Familien in der Regel kleiner sind.

Weitere Informationen

Dr. Eva Rosenstock, Freie Universität Berlin, Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften / Institut für Prähistorische Archäologie, Tel.: (030) 838-57424, E-Mail: rsnstck@zedat.fu-berlin.de