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Automechanikerinnen und Automechaniker – wie Sprache die kindliche Wahrnehmung von Berufen prägt

Studie der Freien Universität Berlin zur Wirkung von geschlechtergerechter Sprache veröffentlicht

Nr. 223/2015 vom 14.07.2015

Wenn Berufe in einer geschlechtergerechten Sprache dargestellt werden, also sowohl die männliche als auch die weibliche Form genannt wird (Ingenieurinnen und Ingenieure statt Ingenieure), schätzen Kinder typisch männliche Berufe als erreichbarer ein und trauen sich selbst eher zu, diese zu ergreifen. Zu diesem Ergebnis kommen Dries Vervecken und Bettina Hannover von der Freien Universität Berlin: In zwei Experimenten lasen sie fast sechshundert Grundschülerinnen und -schülern aus Deutschland und Belgien Berufsbezeichnungen entweder in geschlechtergerechter oder in männlicher Sprachform vor und ließen die Kinder die Berufe bewerten. „Wir wollten untersuchen, ob man durch eine geschlechtergerechte Sprache die Wirkung des Geschlechtsstereotyps aushebeln kann“, sagt Dr. Dries Vervecken, inzwischen am Karel de Grote University College tätig, der die Studie gemeinsam mit Prof. Dr. Bettina Hannover von der Freien Universität durchgeführt hat. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift Social Psychology veröffentlicht.

Hintergrund der Studie ist, dass in vielen Ländern Mädchen nach wie vor seltener als Jungen Berufe aus dem sogenannten MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) wählen. „Das kann daran liegen, dass Mädchen an diese Themen im Alltag weniger selbstverständlich herangeführt werden, wie etwa selbst das Fahrradlicht zu reparieren“, erläutert Dries Vervecken. Eine wichtige Rolle spielten aber auch die stereotypen Vorstellungen über diese Berufe. „MINT Berufe gelten als typisch männlich, ihre Ausübung gilt als schwierig, gleichzeitig sind sie sehr wichtig und viele – nicht nur Mädchen – haben nicht genügend Selbstvertrauen, solche Berufe zu ergreifen“, erklärt Bettina Hannover, Psychologin und Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung an der Freien Universität Berlin.

Vervecken und Hannover führten zwei Studien mit 591 Kindern im Alter von sechs bis zwölf Jahren aus deutschen und belgischen Schulklassen durch. Den Kindern wurden Berufsbezeichnungen vorgelesen: entweder geschlechtergerecht, also mit männlicher und weiblicher Form, oder nur in der männlichen Pluralform. Insgesamt waren es 16 Berufe, von denen acht typisch männlich (Frauenanteil kleiner als 30 Prozent, zum Beispiel Automechanikerin / Automechaniker), fünf typisch weiblich (Frauenanteil größer als 70 Prozent, zum Beispiel Kosmetikerin / Kosmetiker) und der Rest geschlechtsneutrale Berufe waren. Die Kinder schätzten in einem Fragebogen für jeden Beruf ein, wie viel man in dem jeweiligen Beruf verdient, wie wichtig er ist, wie schwer er zu erlernen und auszuführen ist und ob sie sich selbst zutrauen würden, diesen Beruf zu ergreifen.

Die Studie zeigte, dassKinder, denen die geschlechtergerechten Berufsbezeichnungen präsentiert worden waren, sich viel eher zutrauten, einen „typisch männlichen“ Beruf zu ergreifen als Kinder, denen nur die männliche Pluralform genannt worden war. Die typisch männlichen Berufe wurden nach der geschlechtergerechten Bezeichnung als leichter erlernbar und weniger schwierig eingeschätzt als nach der rein männlichen Bezeichnung. Eine Erklärung könnte darin liegen, dass Kinder bereits im Grundschulalter gelernt haben, männlich besetzte Aufgaben mit höherer Schwierigkeit zu assoziieren.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass geschlechtergerechte Sprache die Zuversicht von Kindern verstärkt, in traditionell männlichen Berufen erfolgreich sein zu können“, sagt Bettina Hannover. „Mit der systematischen Verwendung solcher Sprachformen – zum Beispiel durch Lehrkräfte und Ausbildende – kann also ein Beitrag dazu geleistet werden, mehr junge Leute für eine Karriere in diesen Berufen zu motivieren.“ Allerdings hätten die Analysen auch gezeigt, dass bei der Verwendung geschlechtergerechter Sprache die Berufe als weniger wichtig angesehen wurden und dass die Bezahlung niedriger eingeschätzt wurde als nach Nennung der rein männlichen Berufsbezeichnung. „Die Studie vermittelt also eine ermutigende und eine weniger ermutigende Botschaft“, konstatiert die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Prof. Dr. Andrea Abele-Brehm. „Ermutigend ist, dass geschlechtergerechte Berufsbezeichnungen das Selbstvertrauen steigern können, entsprechende Berufe zu ergreifen. Weniger schön ist, dass geschlechtergerechte Berufsbezeichnungen die Bewertung des Berufs, also dessen Wichtigkeit oder die Höhe des Gehalts, negativ beeinflussen.“

Weitere Informationen

Die Studie

Vervecken, D., & Hannover, B. (2015). Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy. Social Psychology, 46, 76-92.

Kontakt

  • Prof. Dr. Bettina Hannover, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-56950, E-Mail: bettina.hannover@fu-berlin.de
  • Dr. Dries Vervecken, Karel de Grote University College, E-Mail: dries.vervecken@kdg.be