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150 Millionen in den Unikliniken zu sparen, ist unmöglich

Der Akademischer Senat der Freien Universität Berlin hat sich einstimmig der Erklärung des Präsidiums der Freien Universität Berlin zu den Einsparungen in der Universitätsmedizin angeschlossen

Nr. 111/2001 vom 23.05.2001

Der Akademischer Senat der Freien Universität Berlin hat sich in seiner heutigen Sitzung einstimmig der Erklärung des Präsidiums der Freien Universität Berlin zu den Einsparungen in der Universitätsmedizin angeschlossen. Den Wortlaut der Erklärung geben wir Ihnen nachfolgend zur Kenntnis:

Vor Abschluss der Hochschulverträge für 2003 bis 2005 Erklärung des Präsidiums der Freien Universität Berlin

In großer Sorge und mit Empörung nimmt das Präsidium der Freien Universität Art und Inhalt öffentlicher Äußerungen führender Vertreter der Berliner Politik zur Kenntnis, die sich ohne ausreichende Würdigung der Tatsachen mit Vorschlägen zu den Hochschulverträgen zu Wort melden. Es ist unerträglich, wenn Vertreter der Koalitionsparteien in aller Öffentlichkeit erkennen lassen, dass ihre Vorschläge sich nur noch an dem Ziel orientieren, den jeweils der anderen Partei zugehörigen Senatsressorts das größte Kürzungspaket zuzuschieben. Angesichts von Dringlichkeit und Bedeutung der anstehenden Entscheidungen, durch die das Leistungsniveau und die Wettbewerbsfähigkeit der Berliner Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen auf Jahrzehnte bestimmt werden wird, sind die Vorsitzenden beider Koalitionsparteien, an die wir uns mit dieser Erklärung wenden, dringlich gefordert, den unmöglichen Zustand eines kaum noch verdeckten Wahlkampfes, für den niemand ein Verständnis haben kann, sofort zu beenden und sich einer sachbezogen Problemlösung zuzuwenden.

Nach Presseberichten (Berliner Morgenpost, 22.5.2001) setzt sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Wowereit dafür ein, dass die Berliner Universitätskliniken "in diesem Jahr bis zu 150 Millionen Mark erbringen sollen", und zwar durch "eine Strukturentscheidung, die die Schließung des Klinikums Steglitz bedeuten könne". Herr Wowereit sollte wissen, dass selbst bei einer Schließung gemäß der geltenden Rechtslage

  1. die Studenten einen Vertrauensschutz beanspruchen können, der eine Fortführung ihrer Ausbildung noch für mehrere Jahre erzwingt
  2. die Personalkosten wegen der von der Politik zugesicherten Beschäftigungssicherung der Mitarbeiter/innen auf Jahre nicht absinken werden
  3. das Land Berlin die Zuschüsse des Bundes zum Hochschulbau in dreistelliger Millionenhöhe zurückzahlen müsste
  4. mit dem Verlust der vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin eingeworbenen Drittmittel - jährlich 50 Millionen DM - weitere etwa 500 hochqualifizierte Arbeitsplätze entfallen.

Damit ist klar, dass auch die von Herrn Wowereit empfohlene "Strukturentscheidung" keineswegs "in diesem Jahr bis zu 150 Millionen Mark erbringen" kann – insofern wird die Öffentlichkeit durch solche Äußerungen getäuscht. Herr Wowereit schädigt überdies mit seiner Empfehlung einseitig die Freie Universität, deren Medizinbereich durch den Verlust des Virchow-Klinikums im Jahre 1995 schon einmal halbiert wurde. Dass dies "mit einer langfristigen Bestands- und Standortgarantie" (UniMed-Gesetz) für die Einrichtungen der Universitätsmedizin geschah, ist auch schon wieder vergessen: In der Berliner Politik muss man mit allem rechnen, nur nicht mit Verlässlichkeit politischer Garantien.

Dass auch Unkenntnis eine Rolle spielt, zeigen die Äußerungen (DUZ 10/2001) des wissenschaftspolitischen Sprechers der SPD, Herrn Schuster, der auf die schon 1995 beschlossene Reduktion der Studienanfängerzahl in der Medizin hinweist: "Nach dem Abbau der Medizinstudienplätze muss der Stellenabbau in der Forschung und Lehre erfolgen". Herr Schuster scheint nicht zu wissen, dass

  1. ein der Reduktion der Studentenzahlen entsprechender Stellenabbau längst – nämlich seit 1995 - beschlossen ist und umgesetzt wird
  2. die Universität durch Entscheidungen der Verwaltungsgerichte jahrelang gehindert wurde, den politischen Beschluss einer Verminderung der Studienanfängerzahlen umzusetzen
  3. selbst ein gerichtsfester Stellenabbau keine Einsparung ergibt, solange die Politik zusichert, dass die auf diesen Stellen Beschäftigten vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt werden
  4. umfangreiche Einsparungen bereits jetzt durch die Nicht-Besetzung von Soll-Stellen gerade auch in ausbildungsintensiven Disziplinen des Universitätsklinikums Benjamin Franklin erbracht werden, wodurch der Personalbestand inzwischen fast auf die Hälfte dezimiert wurde, was unerträgliche Verhältnisse in der Lehre erzeugt hat.

Genau an dem Tag, als die Äußerungen von Herrn Wowereit und Herrn Schuster in der Presse zu lesen waren, tagten die Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Universitätsklinikum Benjamin Franklin zur Begutachtung eines 7-Millionen-Antrags – sie werden sich ihre Gedanken über Berlin als "Stadt des Wissens" gemacht haben. Dieser Antrag ist übrigens einer von ursprünglich 58 bundesweit eingereichten Anträgen für klinische Forschergruppen, von denen die DFG nur 14 nach erster kritischer Prüfung zur eingehenderen Begutachtung ausgewählt hat – 2 von diesen 14 stammen aus dem UKBF. Die Berliner Universitätsklinika stehen im bundesweiten Vergleich glänzend da, ihre Drittmitteleinwerbung ist auf eine Höhe gestiegen, die dem Finanzvolumen ihrer sämtlichen Wissenschaftlerstellen entspricht, in der DFG-Statistik nehmen sie erste Rangplätze ein, ihre Studenten absolvieren das Studium in der Regelstudienzeit und mit im Bundesvergleich überdurchschnittlichen Leistungen.

Das Präsidium veröffentlicht diese Erklärung in großer Sorge über den Umgang der Berliner Politik mit den Hochschulverträgen, die jetzt unterschrieben werden müssten, wenn sie nicht in das zunehmende Gerangel der Senatsverhandlungen über den Landeshaushalt geraten sollen. Unvergessen ist das Schreiben des Staatssekretärs der Finanzverwaltung, das – jenseits aller bis dahin abgelaufenen Einsparauflagen und Abbauvereinbarungen – "endlich" einen Beitrag der Hochschulen zur Haushaltskonsolidierung einforderte. Nun liegen seit Wochen paraphierte Verträge vor, seit Wochen verhandeln Finanz- und Wissenschaftssenator über das Finanzierungsvolumen, seit Wochen qualifizieren sich Koalitionspolitiker wie oben dargelegt, seit Wochen belegen Vertreter der Wissenschaftsverwaltung, der Hochschulen, der Universitätsklinika, wie groß der Strukturabbau und der Beitrag der Hochschulen zur Haushaltskonsolidierung bereits war und welche Anstrengungen zur Leistungssteigerung die Hochschulen und Universitätsklinika erfolgreich unternommen haben. Es sei daher mit Nachdruck an die Grundvereinbarung der Hochschulverträge erinnert: Die Politik verlangte von den Hochschulen einen bisher in Deutschland noch nicht dagewesenen Abbau von Personal, Stellen und Budgets – mehr als ein Drittel der gesamten Hochschulhaushalte – und den Hochschulen wurde dafür Planungssicherheit durch die Verträge zugesichert. Wir haben den Abbauprozess akzeptiert, jetzt fordern wir die Planungssicherheit ein, die ständige Infragestellung muss ein Ende haben.

Das Präsidium der Freien Universität sieht mit der größten Sorge, dass die Motivation derjenigen, die die derzeitigen Leistungssteigerungen ermöglicht haben, durch das Verhalten der Politik ruiniert wird und in weitere Entmutigung umschlägt – dazu tragen vor allem verantwortungslose Äußerungen der Politiker bei. Seit Wochen hören wir die unglaubwürdigen Bekenntnisse der Politik, dass es sich bei Bildung und Wissenschaft um eine Zukunftsinvestition handle. Es waren nicht die Hochschulen, deren Verhalten den Landeshaushalt an den Rand des Ruins getrieben hat, sondern es waren Vertreter auch der Politik, denen Berlin nun erneut eine katastrophale Schuldenlast zu verdanken hat.

Das Präsidium sieht die Substanz der Freien Universität als einer Bildungs- und Forschungseinrichtung von internationaler Reputation gefährdet, wenn durch politische Entscheidung nunmehr die ganze Medizin verloren ginge und damit auch andere Universitätsbereiche, insbesondere die Naturwissenschaften, schwer geschädigt würden. Dies käme einer Gefährdung gleich, gegen die sich nicht nur die Universitätsleitung, sondern alle Universitätsmitglieder mit allem auch öffentlichen Nachdruck wehren werden. Daher appellieren wir noch einmal an die Vorsitzenden der Koalitionsparteien: Die Glaubwürdigkeit der Berliner Politik darf nicht restlos zerstört werden. Wenn ausgerechnet in diesen Jahren in allen Universitäten Deutschlands ein Generationswechsel ansteht, der qualifizierte Neuberufungen im Wettbewerb mit anderen Hochschulen nötig macht, wird Berlin sein Leistungsniveau auf 25 Jahre ruinieren, wenn nicht umgehend und nachhaltig deutlich andere Akzente gesetzt werden.