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Im Land der Gegensätze

Julia Lorenz, Biologiestudentin an der Freien Universität, stürzte sich im Sommersemester 2017 in Indien ins Abenteuer Auslandsstudium / Ein Bericht

20.12.2017

Gruppenfotos und Selfies gehören einfach bei jedem Treffen dazu. Dieses Bild zeigt einige meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen und mich.

Gruppenfotos und Selfies gehören einfach bei jedem Treffen dazu. Dieses Bild zeigt einige meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen und mich.
Bildquelle: Privat

Ich stehe im Eingangsbereich des Verwaltungshauses von Buniyadhipur, hunderte Augenpaare sind auf mich gerichtet, Kinder drängen sich zu mir nach vorn, ein klappriger Bus fährt vorbei, ungläubige Blicke treffen mich, Handys werden hervorgeholt und von jeder Seite zuckt das Blitzlichtgewitter. Mir fallen die Worte nur so aus dem Mund, neben mir steht Mahesh und übersetzt mein Englisch ins Telugu, die Hauptsprache Telanganas, einem erst 2014 gegründeten Bundesstaat Indiens. „Wir kommen in die Zeitung!“, ruft mir Mahesh mit seinem breiten Grinsen entgegen, und ich kann kaum fassen, was ich da höre.

Hätte mir vor fünf Monaten jemand gesagt, dass ich vor einem ganzen indischen Dorf eine Rede über Bildung halten würde, hätte ich nur lachend den Kopf geschüttelt. Denn so etwas erwartet man wirklich nicht, wenn man sich auf ein Auslandssemester vorbereitet. Aber genau da liegt der Knackpunkt: Was stellt man sich denn unter einem Auslandsaufenthalt in Indien vor? Was erwartet mich als Biologiestudentin aus Berlin an einer Universität im Land der Gegensätze, obendrein noch als erste ihres Fachbereichs?

Vor zwei Jahren war ich schon einmal durch Indien gereist. Demnach bin ich im Sommer 2017, als ich mich für ein Auslandssemester in Zentralindien entscheide, schon ganz gut auf den Kulturschock vorbereitet. Hyderabad ist eine rasant wachsende Stadt, die unter anderem IT-Größen wie Microsoft und Google beherbergt und deshalb auch den Namen „Cybercity“ trägt. Hier gibt es sogar ein „Genome Valley“ mit ansässiger Pharmaindustrie und Biotechnologie – einer der ausschlaggebenden Gründe für mich als Biologiestudentin, nach Hyderabad zu gehen. Zustande gekommen ist der Auslandsaufenthalt schließlich durch den Kontakt zum Verbindungsbüro der Freien Universität in Neu-Delhi. 

Der dschungelartige 930 Hektar große Campus der University of Hyderabad liegt im Nordwesten der Stadt. Man begibt sich hier in die „grüne Lunge“, was man gleich merkt, sobald man das Gelände betritt, denn das Klima dort ist ganz anders als mitten in der Stadt. Ich bin im sogenannten Monsunsemester dort: Manchmal regnet es sintflutartig, doch ein paar Minuten später strahlt wieder die Sonne und es herrschen 30 Grad im Schatten. Wasserbüffel, Pfauen Schlangen und Skorpione begleiten mich auf dem Unigelände, welches von einer Mauer umgeben ist und dessen Eingänge stets bewacht werden. Ich wohne im Tagore International House, einem Wohnheim für internationale Studierende, mit landestypischer vegetarischer Mensa. Alles, was ich sonst noch zum Leben brauche, finde ich am Südtor des Campus. Und wenn ich in die Stadt will, buche ich mir ein Uber – eine Art Privattaxi, das ich über eine App bestellen kann – oder fahre ganz klassisch mit der Rikscha.

Jeden Sonntag wurden Trekkingtouren auf dem Campus angeboten, sodass ich überall Yoga machen konnte.

Jeden Sonntag wurden Trekkingtouren auf dem Campus angeboten, sodass ich überall Yoga machen konnte.
Bildquelle: Privat

Das Studium ist wesentlich strikter organisiert und es herrscht Anwesenheitspflicht für alle Lehrveranstaltungen. Dennoch begegnen mir alle Professorinnen und Professoren mit Neugier und Freundlichkeit. Während meines Bachelorstudiums an der Freien Universität hatte ich sehr viel mit den Themen Biodiversität und Zoologie zu tun und wollte während meines Auslandsaufenthalts nicht nur kulturell, sondern auch wissenschaftlich über den Tellerrand blicken.

In der School of Life Sciences im Department Animal Biology hatte ich alle Freiheiten und durfte belegen, was ich wollte. In den ersten Wochen sah ich mir einige Kurse und Praktika an, bevor ich mich endgültig auf die Fächer Immunbiologie, Endokrinologie und Stammzellbiologie festlegte. Ich hatte so gut wie kein Vorwissen, wodurch mein Studium sehr interessant, aber auch zeitaufwändig und eine Herausforderung war – gerade in meinem ersten Monat, in dem ich noch nicht so recht wusste, wie das Unileben tatsächlich abläuft. Aber meine Kommilitonen haben mich zum Glück unterstützt und standen mir immer mit Rat und Tat zur Seite. Ich wurde gleich am ersten Tag allen vorgestellt und war fester Bestandteil der Gruppe. Wir tauschten uns ständig untereinander aus, was ich in Deutschland oft vermisse.

Besonders beeindruckt hat mich das Erlebnis, das ich anfangs geschildert habe. Ein Freund, den ich an der Uni kennengelernt habe, nahm mich mit in sein Heimatdorf. Dort hielt ich eine Rede über die großartigen Möglichkeiten, die Bildung eröffnet, und sprach vor allem mit den jungen Frauen vor Ort. Ihre Eigeninitiative, um Zugang zu Bildung zu bekommen, und die Tatsache, dass sie trotzdem noch ihre Familien versorgen, bewundere ich zutiefst. Ich selbst komme aus einem Land, in dem es so selbstverständlich und einfach ist, zur Schule zu gehen und zu studieren. Daher lässt mich diese Erfahrung dafür umso dankbarer sein.

Die Herzlichkeit und die damit verbundene Selbstverständlichkeit, mit der mir die Menschen begegnet sind, haben mich jedes Mal umgehauen. Ich wurde in Heimatdörfer und auf Festivals mitgenommen, habe traditionelle Bräuche kennengelernt und während des zehntägigen Festivals Navratari die Nächte durchgetanzt. Ich habe an Diwali am 7. November das neue Jahr mit unfassbar lauten Krachern begrüßt, meine Schmerzgrenze für scharfes Essen ist ins Unermessliche gestiegen, und kann mir meinen Sari in nur fünf Minuten anziehen. Als mein Freund zu Besuch war, haben wir mit Nachtzügen den Norden Indiens bereist und dort das Taj Mahal besucht. Und nicht zuletzt habe ich in Indien wunderbare Menschen aus allen Teilen der Welt kennengelernt, die ich nun meine Freunde nennen darf.