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„Beute machen beim Volk“

Jan Jekal, Student der Nordamerikastudien an der Freien Universität, hat am Autorenkolleg des diesjährigen Heiner-Müller-Gastprofessors Feridun Zaimoglu teilgenommen

05.07.2016

Jan Jekal studiert Nordamerikastudien an der Freien Universität und war einer von zehn Teilnehmern im Autorenkolleg von Feridun Zaimoglu.

Jan Jekal studiert Nordamerikastudien an der Freien Universität und war einer von zehn Teilnehmern im Autorenkolleg von Feridun Zaimoglu.
Bildquelle: Privat

Bei der Antrittsvorlesung: Feridun Zaimoglu im Mai 2016 an der Freien Universität.

Bei der Antrittsvorlesung: Feridun Zaimoglu im Mai 2016 an der Freien Universität.
Bildquelle: Melanie Hansen

Die Verleihung des Berliner Literaturpreises der Stiftung Preußische Seehandlung an den Schriftsteller Feridun Zaimoglu im Februar war eine große öffentliche Veranstaltung. Auch seine Antrittsvorlesung als Heiner-Müller-Gastprofessor an der Freien Universität, die mit dem Literaturpreis verbunden ist, hatte im Mai zahlreiche Studierende, Wissenschaftler und Interessierte nach Dahlem gezogen. Exklusiv dagegen war das Autorenkolleg, das Zaimoglu als Gastprofessor anbot: Mit zehn persönlich ausgewählten Studentinnen und Studenten hat der Schriftsteller vier Tage lang zusammengearbeitet, gemeinsam haben sie an ihren eingereichten literarischen Texten gefeilt. „Harte Arbeit“ werde das, hatte Zaimoglu bei seiner Antrittsvorlesung angekündigt. Wie es tatsächlich war, weiß Jan Jekal: Der 22-jährige Literaturstudent war einer der ausgewählten Seminarteilnehmer.

Feridun, wir dürfen ihn duzen, hat uns einiges beigebracht in diesen vier Tagen, die er „Heiner-Müller-Gastprofessor für deutschsprachige Poetik” war. Die akademische Welt, zum Beispiel, sei Gift für einen Autor: „Raus aus der Uni!”, riet er uns mit Nachdruck. „Uni ist Sekundärliteratur, wir sind Primärliteratur!” Ins Wirtshaus müsse man gehen, zum Friseur, zum Volk, dort sei es zwar meist unangenehm und die Leute sprächen nicht politisch korrekt, aber die Wahrheit sei eben auch selten politisch korrekt, und dort, beim Volk, könne man richtig „Beute machen”.

Das macht Feridun nämlich die ganze Zeit: Beute. Er verschlingt unterwegs Redewendungen, Gesprächsfetzen, Weltbilder, Aberglauben, kritzelt seine Beobachtungen in kleiner Schrift auf Notizpapier, das er immer in der „Arschtasche” (seine Wortwahl) bei sich trägt, setzt sich dann zu Hause an den Schreibtisch und webt aus der Beute Figuren und Erzählungen.

Moment, würde Feridun sagen: „Webt aus der Beute? Kann man aus Beute etwas weben?” Auch das haben wir gelernt: nicht leichtfertig mit Sprache um sich schmeißen (da, schon wieder). In der Lyrik gilt, sagt Zaimoglu, diese Regel nicht, da ist die Schwerkraft aufgehoben und dort kann mit Sprache geschmissen werden, in der Prosa aber sind keine logischen Fehler erlaubt; Bilder müssen stimmen, Metaphern dürfen nicht kippen. Feridun hat die Texte, die wir mit unseren Bewerbungen eingereicht haben, alle lektoriert und in erster Linie auf sprachliche Schwächen untersucht, und da gab es einiges zu holen. „Eine Stimme fluchte”, hieß es zum Beispiel in meinem Text, da sagte Feridun: „Herr Stimme war da und fluchte?” Und ich verstand natürlich: nicht Stimmen fluchen, sondern Menschen.

Feridun sprach immer mit Ausrufezeichen, aus Begeisterung und Freude an den Texten, nicht aus autoritärem Geltungsbedürfnis. Seine Ausrufe waren amüsant und machten Spaß; wenn ihm eine Passage besonders gefiel, sagte er „Halleluja!” oder „Leck mich am Arsch, ist das geil!”. Er sagte auch häufig: „abgrölen” oder „Jetzt kommt wieder Onkel Hugo” oder „Opa Horst”, wenn er zum wiederholten Male auf sprachliche Ungenauigkeiten hinweisen musste. Er sagte auch: „Wir sind eine schnuckelige Truppe.”

Wir waren zehn Teilnehmer. Die Bewerbungstexte, die wir alle zur Vorbereitung gelesen hatten und die von Feridun lektoriert worden waren, dienten als Grundlage für die Diskussionen im Autorenkolleg. Es waren formal konventionelle Kurzgeschichten darunter, Auszüge aus Romanprojekten, viele Gedichte und poetische Collagen.

Für eine kurzfristig anberaumte Abschlussveranstaltung schrieben wir alle noch ein paar Zeilen, Feridun auch, und stellten sie in kleinem Kreis vor. Danach gingen wir essen, in Dahlem, es war sehr nett und unverhältnismäßig teuer, und wir sprachen über die vier Tage literarische Werkstatt, und wir waren uns einig, dass wir viel Wertvolles gelernt haben. Zum Abschied riet Feridun uns, weiterzumachen, er würde es auch tun. Nach diesem inspirierenden Seminar wäre es auch ein Verbrechen, nicht weiterzumachen. Halleluja!

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